Als "antisoziale Megaskulptur" bezeichnet Carolin Fletscher in der "Taz" das Tunnelsystem der Hamas im Gazastreifen; aber nicht, um das 500 Kilometer umfassende Netzwerk zu ästhetisieren, sondern um die Symbolik zu begreifen, die in ihm liegt: "Gazas unterirdische Welt ist real. Zugleich ist sie sinnbildliche Manifestation einer unterirdischen Ideologie, die destruktiv ist und dystopisch, deren politischer Diskurs dominiert ist von Märtyrertum, Morden und Opfern", schreibt sie. "Sie hätten in die Höhe bauen können, mit Licht und Luft. Stattdessen haben sie sich in den Erdboden eingegraben. Auch das ist Teil der Tragödie von Gaza."
Skulptur
Eine kleinere Version der vergoldeten Viktoria-Bronzeskulptur auf der Berliner Siegessäule können Besucher künftig in der Neuen Nationalgalerie sehen. Künstlerin Alicja Kwade hat eine rund 1,60 Meter hohe Neuinterpretation der "Goldelse" entworfen und dem Museum für dessen Skulpturengarten geschenkt. "Sie hat ihre 'Goldelse' mithilfe der Scan-Technologie Foto-Trigonometrie und eines 3D-Modells gefertigt, um sich möglichst genau an Drakes Viktoria zu orientieren", berichtet Ingeborg Ruthe in der "Berliner Zeitung". "Kwade indes entfernte die traditionellen Machtsymbole der Statue sowie ihre Flügel. Ohne militärische Ausrüstung und kämpferische Gesten hat Kwades Viktoria ihre Arme friedfertig gesenkt. Und die monumentale Größe der auf die Berliner Erde, den "Boden der Tatsachen", geholten Siegesgöttin passte Kwade an menschliche Dimensionen an, mit einer Höhe von 164 Zentimetern entspricht diese "Goldelse" sogar der Körpergröße der Künstlerin. Kwade erinnert mit ihrer ins Popartige übersetzten Skulptur auch an deren Rolle seit den 1990er-Jahren, als sie durch die Loveparade zum Freiheitssymbol der Berliner Techno- und der emanzipierten Queer-Szene avancierte. Zuletzt Mitte August bei der Techno-Parade Rave the Planet."
Street Art
Nachdem Inkognito-Sprayer Banksy mit seiner Serie von Tierbildern in London mal wieder die Welt in Atem gehalten hat, häufen sich gerade Artikel zum Kult um den immer noch unenttarnten Graffiti-Künstler. So schreibt Philipp Meier in der "NZZ", dass Banksy "schon fast so berühmt wie Picasso" sei. Allerdings sei seine Anhängerschaft eine andere: "Warum aber bejubeln so viele Banksy? Und wer sind diese Banksy-Fans eigentlich? Nicht die Museumskuratoren, nicht die Galeristen, und auch nicht die klassischen Kunstliebhaber. Dafür war Strassenkünstlerkunst lange nicht attraktiv genug. Banksys auf Hausfassaden und Hinterhofgemäuer gesprayte Werke sind nicht wirklich geschaffen für tapezierte Museumswände und schicke Kunstvernissagen. Sein massenhafter Zuspruch kommt nicht aus der Kulturelite." Trotzdem seien seine Werke – zum Teil gegen den Willen des Urhebers – in den Kunstmarkt gewandert und damit doch im Establishment und im Medien-Mainstream angekommen. Das verärgere seine Unterstützer aber kaum, genauso wenig wie das von Meier gefällte Urteil, dass seine Kunst "nicht einmal überragend gut" sei. Der Hype füttert also weiteren Hype: "Banksys Erfolg ist einmalig in der Gegenwartskunst."
KI
Der Moderiese Mango hat gerade eine Kampagne mit einem KI-generierten Model veröffentlicht. Wie verändert sich die Branche, wenn Schönheit programmierbar ist und Kleider keine Körper mehr brauchen?, fragten wir kürzlich in einem Artikel. Julia Werner in der "SZ" will echte Fotoproduktionen nicht missen: "Dass die Entmenschlichung kreativer Prozesse langfristig das Ende ebenjener ist, weil KI nichts anderes macht, als von Menschen Kreiertes zu einer Collage zusammenzufügen, ist klar – die moralischen Folgen durch KI-generierte Fotos müssen an dieser Stelle also nicht weiter vertieft werden." Was ihr viel wichtiger ist: "dass vieles auch nicht schiefgehen kann, sondern im Gegenteil etwas völlig Unerwartetes entsteht, wenn Menschen mit Gefühlen Dinge tun. Die Stimmung ist gut, das Model zieht ein Seidenkleid an, das sich unbeschreiblich gut anfühlt, plötzlich also bewegt es sich auch so. Vielleicht fällt ihr dabei eine der frisierten Haarsträhnen ins Gesicht."
Ausstellung
Jana Janika Bach sieht in der "Taz" den brat summer, der mit der Nominierung von Kamala Harris begonnen hat, andauern in vielen Ausstellungen von Künstlerinnen, etwa von Miriam Cahn, Alison Knowles und Carol Rama: "Der Kunstherbst jedenfalls, programmatisch bunt, hat das Zeug zu enthusiasmieren."
Das besondere Kunstmaterial
Eine "radikale Neubesinnung" im kulturellen Diskursraum glaubt Hanno Rauterberg in der "Zeit" entdeckt zu haben. Dabei fermentiert das Thema Kompost schon seit einer ganzen Weile in Ausstellungen und Kunsttexten herum. Dabei geht es darum, das vermeintlich Verrottende als lebensstiftendes Zusammenspiel von Materie und Spezies zu begreifen, aus dem Neues entsteht. Laut Rauterberg spricht aus dieser Hinwendung zum Humus die Hoffnung auf "eine andere Idee von Fortschritt, ein anderes Bild des guten Lebens ... Der Kompost, ausgerechnet, ist dieses Bild. Ein großer Haufen Hoffnung, könnte man sagen. Und für viele – nicht übertrieben – ein neuer Ort der Sehnsucht." Materiellen Ausdruck für die Wertscätzung des composting turn finden sich auch in Kunstwerken. "Ob Lois Weinberger auf der Biennale in Venedig oder Pierre Huyghe auf der Documenta in Kassel – Rotten wird zur ästhetischen Erfahrung: Da ist Zersetzung, da ist Verwandlung, es gärt und dampft, es kommt etwas in Gang, anstrengungslos und ohne, dass man immer wüsste, wie und warum."