Bis mindestens 2037 wird es dauern, bis das Pergamon-Museum in renovierter und um einen Querflügel vervollständigter Form wiedereröffnet werden kann. Oder erst 2040? Keiner weiß es so genau, keiner will sich auf ein konkretes Datum festlegen. Denn zu oft schon wurden Termine gerissen, mussten Fertigstellungstermine verschoben werden, Jahr um Jahr. Immer wieder musste die Öffentlichkeit neue Hiobsbotschaften hinnehmen, was Dauer und Kosten der Sanierung anbelangt, bei der Berliner Museumsinsel insgesamt, vor allem aber bei ihrem größten Einzelgebäude, dem Pergamon-Museum am Kupfergraben, dem Seitenarm der Spree.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat sich die Sache einmal näher angeschaut. Ein ganzes Jahr lang hat Redakteur Hannes Schrader recherchiert und vor allem das nachgelesen, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist: die Sitzungsprotokolle der beteiligten Institutionen. Herausgekommen ist ein Horrorbild an Unkenntnis, Inkompetenz, an Planungswirrwarr und gegenseitigem Nicht-Verstehen. Mit der heute offen zutage liegenden Folge, dass die Sanierung allenfalls noch irgendwie bewältigt werden kann, unter Hoffen und Bangen, dass nicht noch weitere Pannen auftreten und in möglicherweise gerichtsanhängige Konflikte münden.
Denn Prozesse gibt es mittlerweile einige. Jeder klagt gegen jeden, beteiligte Planer und Baufirmen gegen das federführende Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) und umgekehrt. Immer geht es um Geld, meist vergleichsweise kleine Summen für irgendwelche Detailarbeiten. Geld, das die einen fordern und die anderen nicht zahlen wollen, Geld, das aufgrund zusätzlicher Planungsleistungen wegen mangelhafter Abstimmung fällig wurde, deren Berechtigung umgekehrt bestritten wird.
Im Wortsinne unsicheres Terrain
Insgesamt wird die Sanierung des Pergamonmuseums nach heutigem Stand anderthalb Milliarden Euro kosten – das wird sich jedoch über die kommenden Jahre zweifellos noch ändern, und zwar nur in eine Richtung: nach oben. Der "Spiegel" hat verschiedene Zwischenstände dokumentiert, von der ersten groben Schätzung bei umgerechnet 250 Millionen Euro, die sich bereits im Jahr 2001, nach der Beauftragung des Architekten Oswald Mathias Ungers, schlagartig verdoppelte, über die dann schon genauer berechneten Kosten, die nicht zuletzt der Optik halber nach Süd- und Nordflügel des Gebäudes aufgeteilt wurden und mal 400, mal 800 Millionen Euro betrugen. Man landet bei der heutigen, auch nur vagen Schätzung von anderthalb Milliarden.
Fest steht, dass beim Projektauftakt im Jahr 1999 nicht die geringste Vorstellung davon bestand, auf was für – im Wortsinne – unsicheres Terrain man sich da begeben würde. 1999, man erinnerte sich, hieß der Bundeskanzler Gerhard Schröder, und der wollte sich auch in Kulturdingen als Macher präsentieren. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als Hüterin von Museumsinsel und allen Staatlichen Museen stand vor der Herausforderung, die ganze, in leidlichem bis maroden Zustand überkommene Insel sanieren zu müssen - und das nach dem bis dahin gültigen Finanzierungsmodus mit Beteiligung aller Bundesländer nicht stemmen zu können. Da sprangen Schröder und der Bund ein. Fortan wurden und werden die Baumaßnahmen der Stiftung aus dem Bundessäckel bezahlt.
Schröder stellte die Komplettsanierung der Museumsinsel binnen eines Jahrzehnts in Aussicht. Das BBR, das die Baumaßnahmen des Bundes betreut, von den deutschen Schulen im Ausland bis zum Ministeriumsanbau in Berlin, ließ sich diese Aufgabe gerne übertragen und hielt an dieser utopischen Zeitvorgabe fest. Politiker, so die heutige, hemdsärmelige Rechtfertigung des damals eben erst ins Amt gekommenen BBR-Chefs, wollten schließlich "gerne etwas eröffnen".
Was der "Spiegel" zwar berichtet, aber gegenüber dem nun einsetzenden Kompetenzwirrwarr und den mangelhaften Planungsleistungen unterbelichtet, sind die objektiven Probleme des Gebäudes und der ganzen Museumsinsel. Sie steht oder besser gesagt, sie schwimmt auf einem Kolk, einer eiszeitlichen Wasserrinne im Untergrund. Schon die Erbauer des Museums zwischen 1910 und 1930 hatten damit ihre liebe Not, die sie erfindungsreich durch ein unterirdisches Brückenbauwerk, durch gewaltige gemauerte Stützen und durch ein Raster von Stahlträgern bewältigten. Bei der nun fälligen, seit 2013 ausgeführten Sanierung musste all das erneuert und stabilisiert werden, ein ungeheurer Aufwand im schlammigen Untergrund (in dem schon der benachbarte Neubau des Eingangsgebäudes namens James-Simon-Galerie fast versank, mit am Ende vierfachen Baukosten, was der "Spiegel" am Rande streift).
Unendliche Pannengeschichte
Als ebenso marode erwiesen sich die stählernen Dachstühle, die komplett erneuert werden müssen, samt Einbau von Klimaanlagen, die der Altbau nicht besaß. Dass der zwischenzeitlich aufgekommene und mit entsprechenden Planungsänderungen berücksichtigte Wunsch nach Photovoltaik in dem Energiefresser-Gebäude die Sache nochmals verteuert, ohne jedoch großen Nutzen zu stiften, ist ein weiteres Puzzleteil in der unendlichen Pannengeschichte der Sanierung.
Um solche Einzelheiten geht es der "Spiegel"-Recherche auch, aber nicht in erster Linie. Was sie offenlegt und was sich tatsächlich erst aus dem konzentrierten Überblick über mehr als zwei Jahrzehnte Planungs-Hickhack erschließt, ist die immer weiter angewachsene Inkompetenz. Von Anfang an hatte keiner der Beteiligten, weder die SPK noch das BBR, einen Überblick über die Probleme, die erforderlichen Maßnahmen und die entstehenden Kosten. Doch statt sich zu bessern, verschlimmerte sich dieser Zustand im Laufe zahlloser Firmeninsolvenzen, Kündigungen und Zahlungsstreitigkeiten immer mehr. Bis zum gereizten Eingeständnis des wegen der Kostensteigerungen von der Politik angegriffenen BBR, "dass für die Wahrnehmung der Projektsteuerungsleistungen kein Personal zur Verfügung steht, seit in erheblichen Maße Stellen beim BBR abgebaut wurden". Der entsprechende Vermerk stammt bereits aus dem Jahr 2016.
Inzwischen will sich keiner der Beteiligten mehr öffentlich äußern, auch der "Spiegel" scheitert an einer Mauer des Schweigens. Keiner will zitiert werden. Das Fazit, das das Magazin gleichwohl zieht, ist ebenso schlicht wie niederschmetternd: "Die Verantwortlichen haben schon vor Jahren die Kontrolle über das Projekt verloren."