Warum will Particolare nun doch keine Messe sein? Was führte zur Insolvenz der Münchner Galerie Thomas? Haben in der Debatte um Antisemitismusklauseln beide Seiten recht? Das ist unsere Presseschau am Montag
Debatte
In der Diskussion um Antisemitismusklauseln hat Verfassungsrechtler Christoph Möllers in seinem Gastbeitrag für den "Spiegel" keine einfache Antwort. Einerseits betont er, dass der Staat keine Pflicht zur Kunstförderung hat: "Wenn er fördert, muss er diese Entscheidung nicht nach rein kunstimmanenten Kriterien treffen, er darf sie mit anderen Prioritäten verbinden und tut dies auch." Anderseits ist er skeptisch, wie sogenannte Antisemitismusklauseln etabliert werden können: "Offen ist bisher nicht nur, wie solche Klauseln auf ihre Einhaltung kontrolliert und durchgesetzt werden, sondern bereits, worauf sie sich konkret beziehen: auf Handlungen, also etwa auf die Pflicht, keine antisemitische Kunst zu zeigen, oder auch auf die Gesinnung der Geförderten?" Er plädiert aber dafür, in dieser aufgeheizten Debatte Befürworter und Gegner zu hören: "Sich wechselseitig darauf einzulassen, dass Meinungs- und Kunstfreiheit gerade die schützen, deren Ansichten man schrecklich findet, ist momentan eher ein frommer Wunsch als ein relevanter Vorschlag. Zu seiner Verwirklichung kann man immerhin selbst beitragen: Indem man die eigene Empörung infrage stellt, sich jeden Fall einzeln anschaut, ohne zu schnell zu verallgemeinern, sich dabei ein eigenes politisches und moralisches Urteil zutraut, ohne zu erwarten, dass alle anderen es teilen, und nicht darauf hofft, dass es auch staatlich durchgesetzt wird."
Russische Kunst sollte aus Sicht der US-russischen Politikwissenschaftlerin Nina Chruschtschowa gerade in Zeiten des Ukraine-Krieges vor den Vorhang geholt werden. In der diesjährigen Festrede der Salzburger Festspiele, die nun als Gastbeitrag in der "SZ" erschienen ist, kritisierte die Urenkelin des sowjetischen Partei- und Staatschefs Nikita Chruschtschow (1894-1971) aktuelle Tendenzen, russische Kunstwerke abzulehnen. Denn schon in den Zeiten des Kommunismus habe die Kunst den Menschen in Russland eine Möglichkeit geboten, zumindest auf geistiger Ebene dem politischen System zu entfliehen. "Kultur war unsere Freiheit", sagte Chruschtschowa. In ihrer differenzierten Rede entschuldigte sich die Expertin für russische und internationale Politik nicht nur für den Angriffskrieg in der Ukraine, sondern kritisierte auch die antirussische Kulturpolitik in der Ukraine. Doch in Russland führe der Kreml einen "noch unerbittlicheren Krieg" mit den Kulturschaffenden des Landes, weil diese die Kriegspolitik von Präsident Wladimir Putin nicht unterstützten, sagte sie. Die an der New Yorker New School lehrende Chruschtschowa lobte die Salzburger Festspiele für ihren diesjährigen Russland-Schwerpunkt. Mit Weinbergs "Der Idiot" und Prokofjews "Der Spieler" stehen zwei Opern nach Romanen des russischen Schriftstellers Dostojewski auf dem Programm. Und in einer Lesung trägt der Schauspieler Michael Maertens die Gefängnisbriefe des im Straflager verstorbenen Putin-Gegners Alexei Nawalni vor. Chruschtschowa erinnerte daran, dass zuvor schon Schriftsteller wie Dostojewski oder Solschenizyn ihre Erfahrungen in zaristischen und kommunistischen Lagern beschrieben hatten. "Diese Werke belegen, dass Kunst nicht allein Unterdrückung dokumentiert, sondern auf der Suche nach einem Lebenssinn auch einen Weg zum Überleben darstellen kann", sagte sie.
Museen
Kuratorin Ken Aïcha Sy spricht mit der "Taz" über radikale Ansätze der Museumsarbeit im Senegal: "Wir müssen die Museen in Europa von denen im Senegal oder in Westafrika unterscheiden, die lokale Bevölkerung hier wird kaum dazu ermutigt, Museen aufzusuchen. Man müsste vielmehr dabei ansetzen, den Zugang zu Kunst, zur Kunsterziehung und zum Erhalt von Kunst zu demokratisieren. Einige im Senegal, wie die Künstlergruppe Laboratoire Agit’Art, fordern, dass Kunstwerke die Museen und Galerien verlassen und auf der Straße gezeigt werden sollten, an Orten, die alle Menschen erreichen. Kunst müsse mit der Gesellschaft geteilt werden können. Oder das Kollektiv Huit Facettes meint, Kunst solle aus den Städten herausgenommen und der Landbevölkerung in ihrem täglichen Leben gegenübergestellt werden. Dort könne sie ihre wesentliche Funktion erfüllen: einen kritischen Sinn wecken."
Kunstmarkt
Als "innovative Kunstmesse" war das neue Wiener Ausstellungsformat Particolare angekündigt worden. "In der Wiener Galerienszene sorgte das für etwas Irritation", schreibt Olga Kronsteiner im "Standard". Denn der russische Unternehmer Dmitri Aksenow war letztes Jahr als Eigner der Kunstmesse Viennacontemporary ausgeschieden, "da potenzielle Teilnehmer der Kunstmesse infolge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine einen Reputationsverlust fürchteten. Mit einer neuen Kunstmesse, so der erste Eindruck in der Wiener Galerienszene, wolle er offenbar gezielt eine Konkurrenzsituation herbeiführen: in einem aktuell ohnedies schwierigen Marktumfeld, wie manche kritisieren. Nun rückt der Veranstalter vom Begriff 'Messe' ab. Auf Nachfrage bekennt Cult-Tech-CEO Marc Brandsma eine verunglückte Kommunikation. Denn das Konzept sieht eine gezielte Auswahl von Kunstschaffenden und deren Kunstwerken vor. Erst dann kämen die Galerien ins Spiel, die bei Verkäufen eine Provision von bis zu 20 Prozent an den Veranstalter zahlen."
Die "SZ" berichtet über die Insolvenz der Münchner Galerie Thomas (s. Medienschau vom Donnerstag). "Wer nach den Gründen sucht, die zur Insolvenz führten, bewegt sich auf dem Feld der Spekulation", schreibt Susanne Hermanski. "Der klassische Kunsthandel erfährt in diesen Zeiten heftige Erschütterungen durch die weltweite Online-Konkurrenz etwa der Auktionshäuser. Und überraschend ist die finanzielle Schieflage auch im Fall der Galerie Thomas nicht. Bereits im September 2023 war die Villa von Raimund Thomas in Grünwald zur Zwangsversteigerung mit einem Verkehrswert von 19,1 Millionen Euro ausgeschrieben worden."