Plakatwände von Anne Imhof zerstört, Matthew Barneys fulminantes Comeback und europäische Museumsleute als "kulturelle Feigenblätter" in Saudi-Arabien: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch
"Wo viel Geld vorhanden ist, da treten die in der Kulturszene gern lautstark bemühten moralischen Werte in den Hintergrund", kommentiert ein resignierter Ingo Arend in der "taz". "Dass die Bereitschaft groß ist, sich zum kulturellen Feigenblatt der kompromittierten saudischen Regierung zu machen, beweist mit Hartwig Fischer nun der jüngste Fall. Der 62 Jahre alte deutsche Kunsthistoriker soll Direktor des Museum of World Cultures werden." 2026 soll das Haus eröffnen. "Die Aussicht, beim Aufbau der gigantischen Prestigeobjekte aus dem Vollen der Erdöldollars schöpfen zu können, dürften eine ausschlaggebende Rolle für die Annahme des Jobs gespielt haben." Zwar sei noch ist nicht klar, was in dem von Hartwig geleiteten Museum gezeigt werden soll. "Trotzdem interessiert sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz schon für eine Zusammenarbeit. Noch-SPK-Chef Hermann Parzinger bestätigte Gespräche mit dessen designiertem Chef. Eine Anfrage der taz zur Art der kulturellen Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und zur moralischen Verantwortung der SPK ließ die Stiftung bislang unbeantwortet."
Vandalismus
Sechs Plakatwände der deutschen Künstlerin Anne Imhof wurden im österreichischen Bregenz zerstört, meldet "The Art Newspaper" und bezieht sich dabei auf ein Instagram-Post der Künstlerin. Die Plakate tragen die Aufschrift "Wish You Were Gay" – Titel der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Imhof bezeichnete den Vandalismusakt als "Hassverbrechen" und einen "Angriff auf lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, queere, Two-Spirit- und zweifelnde Menschen".
Hunderte von Kunst- und Designwerken sowie historische Objekte wurden bei den Unruhen am 8. Januar 2023 in der brasilianischen Hauptstadt Brasília nach der Amtseinführung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva angegriffen. Der Schaden wird auf 4 Millionen Dollar geschätzt. Die letzte Phase des Restaurierungsprojekts betrifft elf Gemälde, von denen sechs bereits vollständig repariert wurden, meldet "The Art Newspaper". " Die Forscher konzentrieren sich nun auf 'As Mulatas' (1962) des Malers Emiliano Di Cavalcanti, ein Werk im Wert von 1,5 Mio. $, auf das während des Aufstands sieben Mal eingestochen wurde. Neben den Gemälden befinden sich auch neun Werke aus Holz, Eisen und Papier in der Endphase des Restaurierungsprozesses. 'Bei jedem von ihnen fehlen noch einige Details, wie zum Beispiel die letzte Lackierung', sagte der Koordinator des Projekts, Andrea Bachettini, in einer Erklärung. 'Außerdem müssen wir noch die wissenschaftliche Dokumentation der einzelnen Stücke vervollständigen.'" Anlässlich des diesjährigen Jahrestags des Aufstands wurden im Palácio do Congresso Nacional in Brasília mehrere Kunstwerke und andere Gegenstände ausgestellt, die aus den Gebäuden geborgen wurden und zum Teil noch sichtbare Spuren der Beschädigung aufweisen, wie etwa Fragmente von Porzellanvasen, die Brasilien als diplomatische Geschenke erhalten hatte.
Porträt
Jason Farago porträtiert in der "New York Times" den Künstler Matthew Barney, der jetzt in seinen 50ern "die beste Arbeit seiner Karriere leistet". Das sieht der Kritiker etwa in den aktuellen Einzelausstellungen des US-Amerikaners in der Gladstone Gallery in New York und der Pariser Fondation Cartier (hier die Monopol-Review von Brigitte Werneburg). "Barney litt jahrelang unter dem in der Öffentlichkeit aufgrund des "Cremaster Cycle" entstandenen falschen Eindruck, er sei ein wagnerianischer Individualist, besessen von einer einzigen großen Vision. In Wirklichkeit war er immer ein beeindruckend kooperativer Künstler, der sich auf andere verließ - die Künstler Richard Serra und Elizabeth Peyton, die Komponisten Jonathan Bepler und Arto Lindsay, die Choreographen Eleanor Bauer und David Thomson -, um seine Kunst zu vergrößern und Barney zurücktreten zu lassen."
Architektur
Was tun mit leerstehenden Kaufhäusern in den Innenstädten? Florian Heilmeyer schaut sich für die "taz" das von Investor MREI und Architekt Max Dudler umgebaute Warenhaus Kalle in Berlin an. "Die Schließung von Kaufhäusern muss keine schlechte Nachricht bedeuten. Steht man auf der Dachterrasse des Kalle, fragt man sich jedoch: Ist es wirklich das, was die Stadt braucht? Diese Mischung aus Läden, Gastronomie, Büros, Fitness-Studios und Dachgärten gehört mittlerweile zum Standardrepertoire von Kaufhausumbauten privater Investoren. Es lässt sich bei den Arkaden am Potsdamer Platz in Berlin seit ihrem Umbau zu 'The Playce', beim N30 in Leipzig oder beim alten Kaufhof am Stachus in München finden. Spannender wird es, wenn Kaufhäuser von Städten oder Kommunen übernommen werden." Macht leerstehende Shoppingmalls zu Kunstorten, forderte Elke Buhr kürzlich in Monopol.
Social Media
Susan Vahabzadeh macht in der "SZ" einen neuen Trend in den USA aus, in dem eigentlich die olle Frauenrolle steckt: Sogenannte "Tradwives" inszenieren sich auf Social Media als patente wie glückliche Hausfrauen. Es gebe aber Abstufungen, räumt die Autorin ein. Den Tiktok-Videos der Amerikanerin Nara Smith entnimmt sie wenig missionarischen Eifer, "richtig schwierig" werde es bei "Gwen the Milkmaid", "die auf Tiktok nicht nur gärtnert, gart und in die Kamera plinkert, sondern auch textet, sie lebe, wie Gott es gewollt habe". Spätestens der Hashtag #Antifeminism sollte hellhörig machen, schreibt Vahabzadeh, und verknüpft das reaktionäre Hausfrauenmärchen mit den Weltanschauungen der Republikaner, von Trump und seiner rechten Hand J.D. Vance, die gegen Kamala Harris, so ziemlich das Gegenteil eines Tradwife, hetzen. Insbesondere störe die beiden Kandidaten, dass Harris gerne laut lacht, was laut Trump zeige, dass sie "verrückt" sei. "Das Problem, das Trump und Vance mit Kamala Harris haben", schreibt Vahabzadeh, "ist eben nicht, dass sie mit ihrem Lebensentwurf hadern würde – sondern dass sie, ganz im Gegenteil, so wirkt, als würde sie ihn genießen". Und die Tradwives? Sind am Ende wohl nur Nebelkerzen für eine Politik, die sich gegen Abtreibung und für Männerherrschaft ausspricht. Vahabzadeh. "Es geht hier nicht ums Keksebacken. Rechte Ideologie will das Rad der Zeit zurückdrehen, das sieht man an keiner Stelle so deutlich wie dort, wo es um die Rechte von Frauen geht".
Buch
Maximilian Gillessen bespricht in der "FAZ" das Buch "Hundert Jahre Zärtlichkeit", das Pierre-Héli Monot über die französischen Surrealisten anlässlich des 100. Geburtstags der Bewegung geschrieben hat. Monot gehe es um politische Inhalte, so Gillessen, "ihn interessiert der Surrealismus nicht als künstlerische Avantgarde, als die er heute zumeist rezipiert wird, sondern als revolutionäres Projekt einer bürgerlichen Aufbruchsbewegung". Als "elegante Pointe einer zuweilen mühselig mäandernden Argumentation" macht der Rezensent aus: "Keine Bewegung des vorigen Jahrhunderts war weniger phantastisch als der Surrealismus. Das wahre Surreale wäre die Realität ohne Selbstbetrug. Nicht umsonst richten sich die Invektiven der Surrealisten zunächst und vor allem gegen die bürgerlichen Intellektuellen. Sie würden die ideologische Vermittlung zwischen Sein und Schein garantieren". Gillessens Fazit: Der Surrealismus bleibe "in diesem zwischen literaturwissenschaftlichem Essay und politischem Pamphlet schwankenden Buch ein schemenhaftes Phänomen".
Film
Wenige Monate vor dem Kinostart von "Joker: Folie à Deux" stimmt ein düsterer Trailer auf die Fortsetzung des preisgekrönten Thrillers "Joker" (2019) ein. Zusammen tanzen Joaquin Phoenix und Lady Gaga zu einem Sinatra-Song und küssen sich, im Wechselspiel mit finsteren Szenen im Gefängnis und in den Straßen von Gotham City. "Joker: Folie à Deux" unter der Regie von Todd Phillips soll Anfang Oktober in die Kinos kommen. Phoenix (49) kehrt in der Rolle des gescheiterten Komödianten Arthur Fleck zurück, der in "Joker" als Batman-Gegenspieler am Rande der Gesellschaft lebt. Jetzt ist er im Arkham Asylum eingesperrt. Lady Gaga (38, "A Star is Born") spielt die Figur Harley Quinn. Im Batman-Universum freundet sich Quinn in einer Anstalt mit dem psychisch kranken Joker an. Seit sie ihn zum ersten Mal gesehen habe, würde sie sich nicht mehr so alleine fühlen, sagt Quinn in dem Trailer zu dem gewalttätigen Fleck. Der Begriff "Folie à Deux" beschreibt eine psychische Störung, die von einem Betroffenen auf eine nahestehende Person übertragen wird. Mit seiner "Joker"-Rolle holte Phoenix 2020 den Oscar als bester Hauptdarsteller.