Kunsthaus Zürich

Empfehlungen zur Sammlung Bührle vorgelegt

ournalisten verfolgen die Medienkonferenz zum Ergebnisbericht und den Empfehlungen im Umgang mit der Sammlung Bührle
Foto: Ennio Leanza/KEYSTONE/dpa

Journalisten verfolgen die Medienkonferenz zum Ergebnisbericht und den Empfehlungen im Umgang mit der Sammlung Bührle

Ein Jahr lang hat der Historiker Raphael Gross die Sammlung Bührle am Kunsthaus Zürich geprüft. Jetzt legt sein Bericht offen: Zu den Werken aus jüdischem Vorbesitz wissen wir noch viel zu wenig

Immer stärker wurde zuletzt die Kritik an der Präsentation der Sammlung Bührle im 2021 eröffneten Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich. Die Herkunft zahlreicher Gemälde aus einstmals jüdischem Besitz war auch mit der Neupräsentation und Kontextualisierung im Herbst 2023 nicht deutlich geworden, so der Vorwurf. Zuvor bereits, im Mai vergangenen Jahres, war der Schweizer Historiker und derzeitige Präsident des Deutschen Historischen Museums Berlin, Raphael Gross, von Stadt und Kanton Zürich sowie der Zürcher Kunstgesellschaft als der Trägerin des Kunsthauses mit der Erstellung eines "Expertenberichts" zur Evaluierung der bisher geleisteten Provenienzforschung an der Sammlung Bührle beauftragt worden.

Termingerecht legte Gross seinen 167 Seiten umfassenden Bericht jetzt vor. "Die Überprüfung sollte insbesondere klären", rekapituliert Gross darin seinen Auftrag, "ob es substantiierte Hinweise gibt, dass sich unter diesen Werken NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter befinden. Im Kunsthaus sollen keine solchen Werke gezeigt werden."

Wenngleich der Bericht die frühere Provenienzrecherche seitens der Stiftung Sammlung E. G. Bührle ausdrücklich würdigt, zeigt er doch gravierende Unzulänglichkeiten auf. Insbesondere die von Stiftungsseite vorgenommene Einstufung von nicht weniger als 90 von insgesamt 205 untersuchten Gemälden der Sammlung in eine "Kategorie B" als "ohne Hinweis auf problematische Zusammenhänge" wird von Gross rundheraus verworfen: "Gravierend ist die Erkenntnis, dass die Kategorie B der Stiftung Sammlung E. G. Bührle in Gänze zu falschen Ergebnissen führt. In jedem Fall müssten die 90 Werke, die die Stiftung in die Kategorie B eingeordnet hat, daher neu untersucht werden. Denn für eine Einordnung in die Kategorie B genügte der Stiftung das Fehlen von Hinweisen auf einen problematischen Handwechsel."

Dass also nach bisheriger Kenntnis keine Hinweise etwa auf verfolgungsbedingten Verkauf oder Verkauf unterhalb des seinerzeitigen Marktwerts vorlagen, soll nicht länger zugunsten Bührles ausgelegt werden.

Noch eine enorme Forschungsleistung zu erbringen

Denn natürlich geht es bei der Diskussion um die ingesamt 633 Positionen umfassenden Sammlung Bührle stets nicht allein um deren Präsentation im Kunsthaus als öffentlicher Einrichtung Zürichs, sondern zugleich um die Person des Sammlers. Dazu heißt es im Bericht gleich auf der ersten Seite in aller Klarheit: "Bührle profitierte sowohl vom Verkauf von Waffen an NS-Deutschland als auch indirekt von der Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern und direkt von (…) Schweizer Einrichtungen, in denen Frauen zur Arbeit gezwungen wurden. Emil G. Bührle baute seine Sammlung in den Jahren 1936–1956 auf. Damals wurden auf dem Kunstmarkt zahlreiche Werke gehandelt, die jüdischen Sammler*innen geraubt worden waren oder die diese unter Druck und Verfolgung verkaufen mussten."

Im Hauptteil befasst sich der Bericht eingehend mit fünf Kunstwerken, zu denen bislang keine ausreichenden Nachforschungen angestellt worden waren. Es handelt sich um Vincent van Goghs "Kopf einer Bäuerin" von 1885, Willem Kalfs "Nautilusschale" um 1600, Paul Gauguins "Straße" von 1884 sowie Paul Cézannes Landschaft um 1879 und dessen "Bildnis Madame Cézanne mit Fächer“"von 1879/88. In allen Fällen zeigt sich, dass die Geschichte wesentlich komplexer ist, als bislang angenommen. 

Insgesamt hält der Bericht fest, "dass sich unter den 205 Werken, die sich seit 2021 als Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich befinden, 62 Werke mit jüdischem Vorbesitz innerhalb des Verfolgungszeitraums von 1933 bis 1945 befinden". Das aber bedeutet, dass – die Mühen der "Tiefenüberprüfung" der fünf einzeln untersuchten Werke als Maßstab genommen – noch eine enorme Forschungsleistung zu erbringen ist, bevor über diese Kunstwerke mit eindeutig jüdischem Vorbesitz abschließend geurteilt und damit über ihre mögliche Präsentation in Kunsthaus entschieden werden kann.

Ein Damoklesschwert

Drei Empfehlungen beschließen den Expertenbericht. Erstens soll die Provenienzforschung weitergeführt werden. Dazu soll zweitens ein "fachlich und biografisch multiperspektivisch besetztes" Expertengremium gebildet werden, dass ein entsprechendes "Prüfschema" für die Werke der Bührle-Sammlung wie auch weitere Dauerleihgaben erarbeiten soll, und zwar auf der Grundlage der Washingtoner Empfehlungen in deren Konkretisierung von 2024.

Drittens empfiehlt der Bericht "dem Kunsthaus Zürich eine weitere, vielleicht auch öffentlich geführte Auseinandersetzung mit dem Titel 'Sammlung Emil Bührle'." Immerhin stelle die Präsentation eines Teils der zwischen 1936 und 1956 angelegten Sammlung eine Nobilitierung seines Namens und der Sammlung als Ganzer dar. "Vor dem Hintergrund der Resultate stellt sich die Frage, ob eine öffentliche Einrichtung dies mit ihrer moralisch-ethischen Haltung in Übereinstimmung bringen kann."

Man kann diesen Satz nur als Anstoß verstehen, das Zeigen der Sammlung Bührle überhaupt zu hinterfragen - oder sogar als Appell, eher auf ihre Präsentation zu verzichten. Die Zürcher Kunstgesellschaft dürfte das als Damoklesschwert empfinden, ist doch der Erweiterungsbau des Kunsthauses überhaupt erst im Hinblick auf die Übernahme der Bührle-Sammlung in Gang gesetzt worden.