Debatte
Eigentlich wollte das Kunsthaus Zürich erst in zwei Wochen neue Ergebnisse zur Restitutionsforschung und NS-Raubgut in der umstrittenen Bührle Sammlung präsentieren. Nun ist die Stiftung Bührle dem Museum jedoch zuvor gekommen und hat angekündigt, für sechs Werke aus ehemals jüdischem Besitz neue Lösungen zu finden. Dazu schreibt Philipp Meier in der "NZZ": "Die Stiftung Bührle vertrat lange die Auffassung, dass Restitution im Fall von Fluchtgut ausgeschlossen sei. Sie hatte seinerzeit die Herkunft der Bestände der Sammlung Bührle selber aufgearbeitet und dokumentiert. In der Diskussion um Raubkunst und Fluchtgut wurde allerdings der Ruf nach einer Überprüfung dieser Arbeit durch unabhängige Fachleute laut. Das Kunsthaus und die Stadt Zürich erteilten vergangenes Jahr ein solches Mandat dem Schweizer Historiker Raphael Gross. Vor diesem Hintergrund kommt die jetzige Neubeurteilung der Stiftung Bührle von einigen Bildern unter dem Gesichtspunkt von NS-Verfolgungs-bedingtem Verlust, unter den auch Fluchtgut fällt, nicht völlig überraschend. Vielmehr macht es den Anschein, dass die Stiftung, die letztlich die Verantwortung über ihre Sammlung trägt, das Heft in der Hand behalten will: Dem Bericht von Raphael Gross, der Ende des Monats vorgelegt werden soll, kommt sie mit ihrem Manöver jedenfalls zuvor."
Für Aufsehen sorgt derzeit das Programm "Kinder, hört mal alle her" in der Kunsthalle Osnabrück, in dem auch die Künstlerin Sophia Süßmilch mit einer Ausstellung vertreten ist und Werke zum Thema Kannibalismus zeigt. Die lokale CDU forderte bereits einen Boykott der Ausstellung (wir berichteten). Von "verstörender Kannibalisten-Kunst" spricht nun die "Neue Osnabrücker Zeitung". Autor Stefan Lüddemann kritisiert in seinem Artikel auch die Reaktion der Institution. "Es hilft nichts, wenn die Kunsthalte diese Inhalte mit einer Triggerwarnung belegt. Was soll eine Familienausstellung, die für Kinder nicht zugänglich ist?". Weiter konstatiert Lüddemann, dass provokante Kunst heute wieder auf eine empfindlichere Öffentlichkeit trifft. "Was früher mit Gleichmut hingenommen wurde, verstört heute wieder. Der Raum der Toleranz für provizierende Kunst ist spürbar enger geworden. In diesem Fall ist das sogar verständlich. Die Freiheit der Kunst ist ein sehr hohes Gut. Aber diese Freiheit setzt auch besondere Maßstäbe der Verantwortung."
Auf den ersten Blick wirkt ein Artikel über den Kulturpolitischen Bundeskongress nicht besonders brisant. Innerhalb dieses Zusammenschlusses wurden jedoch sehr grundsätzliche Themen diskutiert, wie Julia Hubernagel in der "Taz" berichtet. Es ging nämlich um die Frage, wie die Kultur auf den europäischen Rechtsruck reagieren kann - und was zu tun ist, wenn die Rechte selbst die Kultur entdeckt. Der Soziologe Armin Nassehi dämpfte dabei die Erwartung, dass die Kunst stets Ausdruck politischer Ideale sein solle: "Vielleicht sei es ein Fehler, von der Kultur stets nur das Gute zu erwarten, sagt er. 'Kultur kann die Lösung sein' – müsse aber immer auch Problem bleiben. Kulturpolitik und Kultur erreichen sich nie, sagt Nassehi. Erstere formuliere Leitbilder und entwerfe Bahnen, Kultur sei indes nur gut, wenn sie Abweichung ist, nicht Abbild von Politik oder Wissenschaft."
Architektur
In der "Zeit" staunt Hanno Rauterberg über die sich konkretisierende Verwandlung des Hochbunkers auf dem Hamburger Heiligengeistfeld, der im Zweiten Weltkrieg von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern in nur einem Jahr errichtet wurde und in dem nach dem Krieg Fernseh- und Zeitungsredaktionen, Galerien, Agenturen und Clubs untergebracht waren. Inzwischen ist der Unternehmer Mathias Müller-Using dabei, so berichtet Rauterberg, den Bunker entscheidend umzugestalten. Die Wehrhaftigkeit "sollte zum Sockel werden, damit obendrauf etwas Neues entstehe, nicht grau, sondern grün, nicht abweisend, sondern offen für alle. Aus dem Unort würde ein Wahrzeichen werden, eine Ikone des Aufbruchs". Umrundet von Treppen, mit üppigen Aufbauten und noch mehr Pflanzen versehen, finden hier ein Hotel, Restaurant, Bar, Cafe, ein Shop und eine riesige Veranstaltungshalle Platz. "Die fixe Idee ist himmelhoch emporgewachsen", schreibt Rauterberg, "und wenn nicht alles täuscht, könnte der neue, blühende Bunker das Selbstbild der Stadt verändern. Ein Selbstbild, zu dem auch der Krieg gehört, die Zerstörung, das Leid". Leider besiedelten die meisten Pflanzen den neu geschaffenen Aufbau "nicht so schön unsortiert, wie die Entwürfe es vorsahen", bemängelt Rauterberg, aber vor allem kritisiert er die Behörden, die er dafür verantwortlich macht, dass von der geplanten Ausstellung über NS-Zwangsarbeit am Bunker noch nichts zu sehen sei, "was recht typisch ist für die Stadt Hamburg, die solche Erinnerungsorte gern kleinen Initiativen überlässt, obwohl es ungemein wichtig gewesen wäre, schon während der Eröffnungstage die Zeitzeugen und -zeugnisse sprechen zu lassen".
Ausstellung
In der "FAZ" entflammt Katinka Fischer für die Soloschau der einst als eine der "Young British Artists" gefeierten Bildhauerin Sarah Lucas in der Kunsthalle Mannheim. In einem roten Mundstück – der Abguss einer Gesichtspartie der Künstlerin – steckt eine Zigarette und zwar so, wie "nur ein Cowboy" raucht, schreibt Fischer, um die Täuschung sogleich aufzulösen: Lucas entlarve nämlich "die geschlechtsspezifische Attribuierung der Zigarette als Klischee". Entstanden sei die Kleinskulptur "Where does it all end?" 1994, "in einer Zeit also, als Rauchen noch so salonfähig war wie die Auffassung, dass es männliche und weibliche Formen des Rauchens gibt. Beides ist heute Geschichte. Überkommene Rollenzuschreibungen zu hinterfragen, ist trotzdem ein noch immer berechtigtes künstlerisches Anliegen. Zumal die Ironie, mit der Lucas dies tut, in diesem Zusammenhang selten ist". Auch mit ihren "Bunnies", halb sexualisierten, aber doch unerotisch unförmigen Strumpfskulpturen nehme die britische Künstlerin verkrampfte Geschlechterdebatten aufs Korn. "Die beste Zeit für die geist- und bildfindungsreiche Körper-Kunst, die Lucas seit drei Jahrzehnten hervorbringt", resümiert Fischer, "ist womöglich jetzt erst gekommen. Der Unernst, mit dem sie ernste Fragen formuliert, könnte die sauertöpfischen Gender-Debatten dieser Tage ungemein auflockern".