Prada hat Grund zu feiern. Wie der Mailänder Luxus-Konzern Anfang März mitteilte, stieg der Einzelhandelsumsatz im letzten Quartal des vergangenen Jahres um zehn Prozent, während er beim Kleine-Schwester-Label Miu Miu sogar explosionsartig um 82 Prozent wuchs. Auch belegen Prada und Miu Miu Platz eins und zwei des Modemarken-Rankings der Online-Plattform "Lyst" für das erste Quartal 2024.
Keine andere Marke scheint so sehr den Zeitgeist zu treffen, auf keinen anderen Stil können sich so viele Modebegeisterte einigen wie auf den, der aus Miuccia Pradas Feder fließt. Immer noch, oder schon wieder? Und auch, wenn so im Hause Prada wohl jeder Tag mit einem Glas Champagner beginnen könnte, wird heute wohl vor allem die Frau gefeiert, die den Erfolg des Unternehmens bedingt und stetig fortführt: Miuccia Prada wird 75 Jahre alt.
Das Geburtstagskind hinterfragte Mode schon vor dem Start ihrer Karriere, etablierte innovative Materialien, verlagerte Perspektiven und ästhetisches Empfinden. Uniformen spricht sie mehr Sexappeal zu als kurzen Kleidern, das Subtile gewinnt vor dem Offensichtlichen, das Interessante vor dem Schönen. Wenn sie heute zusammen mit ihrem Co-Direktor Raf Simons nach einer umjubelten Prada-Show für eine knappe Verneigung hinter den Vorhängen hervortritt, würde ein Blick auf ihre Outfit-Wahl schon reichen, um sich modisch auf die nächste Saison vorzubereiten.
Im Luxuskostüm kommunistische Flyer verteilen
Ihre legendären Seidenröcke mit Bügelfalte, die nuancierten Farben der feinen Pullover und die exzellente Schuhwahl gleichen einer Modenschau für sich. Dass sie als linksgerichtete Feministin einmal als absolute Fashion-Koryphäe Berühmtheit erlangt, hätte Miuccia Prada selbst vielleicht am wenigsten erwartet.
Im Jahr 1913 eröffnen die Brüder Mario und Martino Prada "Fratelli Prada", ein Geschäft für Lederwaren. Mario, ein Unternehmer durch und durch, ist es von Beginn an wichtig, wie seine Marke von den Kunden wahrgenommen wird. Die Positionierung, das Branding, wie man es heute nennt, stehen stets im Fokus. Seine Strategie geht auf, und nur sechs Jahre später stattet Prada die italienische Königsfamilie aus – mehr Luxus geht nicht. Nach seinem Tod dann übernimmt nicht sein Sohn, sondern überraschenderweise die Tochter Luisa die Führung des Hauses und etabliert es als einen der besten Lederwarenhersteller weltweit. Als herausragend entwickelt sich die Marke jedoch erst, als wiederum ihre Tochter Maria Bianchi - verniedlicht Miuccia genannt - sich in der Firma einfindet.
Geboren am 10. Mai 1949 hegt Miuccia zwar eine Leidenschaft für Mode, ist jedoch davon überzeugt, dass die Branche in den 60er-Jahren "der schlechteste Ort für eine Feministin" sei. Stattdessen widmet sie sich einer fünfjährigen Ausbildung in Pantomime und tritt im Mailänder Piccolo Teatro auf. Allerdings erst, nachdem sie ihre Dissertation in Politikwissenschaften abgeschlossen hat. Später schließt sie sich der kommunistischen Partei Italiens an und verteilt, in Courrèges-Kostümen aus dem Kleiderschrank ihrer Mutter, Flugblätter.
Radikale Feministin an der Spitze der Modewelt
Während ihres Studiums engagierte sich Miuccia Prada für die Gleichberechtigung der Frauen und betont auch heute noch oft, wie herausfordernd es für sie ist, sowohl eine radikale Feministin als auch Teil der Modewelt zu sein. Sie erlebt, wie ihre Mutter sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, in dem Familienunternehmen an die Spitze arbeitet und entscheidet sich schließlich, es ihr gleich zu tun. So beginnt in den 1970er-Jahren ihre Karriere in der Mode – zum Glück!
Gerade ihr kritischer Blick von außen und ihre Erfahrungen in weit entfernten Themenfeldern helfen Miuccia, das stagnierende Prada weiterzuentwickeln. Nachdem sie kurz vorher ihren Ehemann Patrizio Bertelli kennengelernt hat, bringt Miuccia 1979 mit seiner Unterstützung Pradas erste Schuh-Kollektion heraus. Und statt sich weiterhin in Leder zu vertiefen, sorgt sie 1985 für Aufsehen, als sie Rucksäcke und Taschen aus schwarz glänzendem Fallschirm-Nylon präsentiert: Ein Material, das bis dato vom Luxus-Sortiment ausgeschlossen und höchstens für Regenkleidung genutzt wurde. Und gerade dadurch großen Anklang findet. Es ist eine Innovation, der noch viele folgen sollten. Heute gehören die Stücke aus der Re-Nylon-Linie zu wahren Klassikern, damals gelten die robusten, avantgardistisch anmutenden Taschen mit dem Kopfüber-Dreieck-Logo schnell als Symbol einer neuen Modebewegung, die Eleganz mit Funktionalität verbindet.
Dazu gehört auch Miuccia Pradas erste Ready-To-Wear-Kollektion, durch die sich die Marke erst zu einem Modehaus etabliert. Statt den Glamour des Jahrzehnts auszureizen, spricht Prada mit klaren Linien, nüchterner Eleganz und dezentem Luxus zu den Zuschauenden und kündigt so den Minimalimus-Trend der 1990er Jahre an. "Was man trägt, ist die Art und Weise, wie man sich der Welt präsentiert, vor allem heute, wo die menschlichen Kontakte so schnell gehen. Mode ist eine unmittelbare Sprache", lautet ein bekanntes Zitat der Designerin. Ein weiteres: "Hässlich ist attraktiv, hässlich ist aufregend. Vielleicht, weil es neuer ist."
Zurückhaltend provokant
Dieser Theorie zugrunde liegt die 1995 gezeigte "Ugly Chic"-Kollektion mit dem Titel "Banal Eccentricity", die sich durch eine kühne Kombination clashender Muster, schräger Farben und einer ungewöhnlichen Materialwahl auszeichnet. Prada bricht damit radikal mit dem damals vorherrschenden Trend des minimalistischen italienischen Designs und setzt stattdessen auf eine eigenwillige Ästhetik, die Frauen neue Möglichkeiten der Inszenierung und Identitätsfindung bietet. Weder sollen sie sich wie Männer kleiden, noch alles als weiblich Assoziierte negieren müssen. Zurückhaltend provokativ, nie zu sehr aus der Form fallend, dennoch auf positive Weise irritierend.
Die auf den ersten Blick befremdlichen Designs formen eine eigene Nische für Mode, die zum Nachdenken anregt und dem Gegenüber nicht sofort gefällt. Vielmehr schwankt sie zwischen dem bekannten Schönen und dem unbekannten Hässlichen und gilt so allem voran als interessant. "Die Vorstellung von einer Frau als schöne Silhouette - nein! Ich versuche, Frauen zu respektieren. Ich neige nicht dazu, Kleider zu entwerfen, die supersexy sind. Ich versuche, auf eine Art und Weise kreativ zu sein, um Kleider zu kreieren, die getragen werden können, die nützlich sind", sagt sie einst der "Vogue". Nützlich, um sich in einer von Männern dominierten Welt zu positionieren, durch von Ironie geküsste, auf die Spitze getriebene und durch die richtigen Elemente ausbalancierte Kleidung, die ihres Gleichen sucht.
Miuccia Pradas intellektuelle Mode wird bis heute adaptiert. Ihre selbst geschaffene Design-Balance, die jeden Look abstoßend-begehrenswert macht, wird in TikTok-Trends wie "Cringe Chic" zitiert. Prada kann durch diese reizvoll eigenwillige Ästhetik gefühlt nie aus der Mode kommen. Und doch ist die Mode an sich Miuccia Prada nie genug gewesen, sondern stellt nur eine von vielen Arenen dar, in denen sie sich misst.
Mode ist der Beruf, Kunst die Leidenschaft
Die Kunst scheint der Ausgleich zu sein, nach dem sich Miuccia Prada sehnt, um den Zirkus-Aspekt der Mode zu überleben. Sie und ihr Ehemann gehören zu den wichtigsten internationalen Sammlern – in ihrer Mode wird dies jedoch nicht zitiert. "Ich hielt eine klare Trennung immer für eine Geste gegenseitiger Achtung," erklärt die Designerin. Künstler-Kollaborationen finden sich also nicht auf dem Laufsteg, dafür besitzt Prada eine Rutsche von Carsten Höller, die von ihrem Büro auf den Hof führt. "Mode ist mein Beruf und ich mache ihn mit Leidenschaft, aber er ist auch das finanzielle Mittel, das es mir erlaubt, Zeit und Energie dem zu widmen, was mir am wichtigsten ist: Der Kunst."
Die Sammlung der Prada-Bertellis entsteht in den 1990er-Jahren, zuerst ohne konkretes Ziel, sondern aus dem Wunsch heraus, von Kunst umgeben zu sein. 1993 gründen sie die Fondazione Prada, die ihren Sitz in Mailand und Venedig hat und Ausstellungen und Veranstaltungen zur zeitgenössischen Kunst organisiert. Zu den wichtigsten Künstlern, deren Werke sie besitzen, gehören Lucio Fontana, Jeff Koons, Damien Hirst, Francesco Vezzoli, Mariko Mori, Sam Taylor Wood, Anish Kapoor, Tom Sachs, Tom Friedman und Marc Quinn.
2015 findet der Milano-Zweig der Fondazione Prada ein neues Zuhause in von Rem Koolhaas entworfenen Räumlichkeiten, einer Mischung aus neuen Gebäuden und alten Industrielagern, die in Kunsträume umgewandelt wurden. Die Fondazione beherbergt mehrere Ausstellungsräume, in denen über 900 Werke aus der Sammlung von ausgestellt werden. Darüber hinaus enthält der Gebäude-Komplex auch Räume für Installationen und Tanzaufführungen, einen Kinosaal sowie die Bar Luce, die von Wes Anderson gestaltet wurde.
Erst, wenn man weiß, wer man ist, zieht man sich gut an
Miuccia Prada ist nun 75 und steht vor einem Lebenswerk, das weit über sie als Person hinaus reicht. Ob sie will oder nicht, hat die Designerin eine Mode erschaffen, mit der sich Menschen auf der ganzen Welt identifizieren können, mit der sie sich verstanden fühlen und vor allem: gut angezogen.
Miuccia Pradas Geschichte selbst zeigt, dass Umwege einen oft genau mit den speziellen Fähigkeiten und Eindrücken versehen, die es braucht, um das zu erreichen. "Denn erst wenn man weiß, was man mag und wer man ist, erst dann zieht man sich gut an."