"Die Flucht vor der Kritik" in Pere Borell del Casos gleichnamigem Gemälde von 1874 ist eine Flucht nach vorn: Ein Junge scheint geradewegs aus dem Bilderrahmen hinaus zu klettern. Entsprechend neugierig schaut er sich um. Auch wenn das Bild erst später zu seinem Titel kam, könnte man die Ausstellung "1863 • Paris • 1874: Revolution in der Kunst" im Kölner Wallraf-Richarz-Museum kaum besser eröffnen als mit diesem ikonischen Höhepunkt der Trompe-l’œil – Malerei, der Kunst der Augentäuschung.
Auch eine andere Kunstbewegung, die in diesem Jahr reüssierte, kam erst spät zu ihrem Namen, den sie sich ausgerechnet von einem despektierlichen Kritiker angeeignet hatte – die Impressionisten. Oft ist diese Geschichte erzählt worden, meist als Triumph einer rebellischen Avantgarde gegenüber den Platzhirschen des Akademismus, den Wächtern über Tradition und Repräsentation. Eine Lesart der Kunstgeschichte, die nach 150 Jahren in Teilen revidiert werden muss.
Denn nicht nur waren viele spätere Impressionisten auch zuvor in den Salons vertreten, auch gab es natürlich noch weitere Avantgarden, für die man sich dort durchaus einsetzte. Schließlich bot auch der Realismus, dem man sich schon lange gehöffnet hatte, ein starkes subversives Potential. Und auch in der technischen Verfeinerung der Malkunst, wie in Pere Borell de Casos noch heute bestechendem Gemälde, kann man eine eigene Avantgarde sehen. Es war wohl eher die Politik, die einer Wertschätzung des Alltäglichen und Profanen bei den Impressionisten feindlich gegenüber stand.
Wettstreit mit der Fotografie
Es ist nicht das einzige Werk in der Ausstellung, das im Wettstreit mit der längst etablierten Fotografie eine glänzende Figur macht. Auch wenn das damals bereits etablierte Lichtbild in der Ausstellung keine Rolle spielt, ist es doch indirekt präsent. Schließlich hatten sich die 30 Künstler um Monet und Degas das ehemalige Atelier des Photopioniers Nadar für ihre eigene Ausstellung ausgesucht.
Auch wenn in Köln weder Gemälde aus dieser Präsentation noch aus dem gleichzeitig stattfindenden Salon zu sehen sind – die finden sich dieses Jahr in einer großen Gemeinschaftsausstellung des Pariser Musee d’Orsay mit dem Washington Gallery of Art, mit der man sich im Vorfeld arrangierte –, ist das Konzept im Wallraf-Richartz-Museum vielleicht noch interessanter. Es rekonstruiert im Dialog mit spektakulären Werken des Impressionismus, insbesondere aus diesen beiden Museen, die Vorgeschichte einer der größten künstlerischen Revolutionen der Kunstgeschichte. Und verzichtet dabei auf die Überheblichkeit späterer modernistischer Betrachtungen gegenüber der damals etablierten Kunst. Ungewöhnlich ist auch die Einbeziehung politisch-sozialer Kontexte.
Mitte des 19. Jahrhunderts war Paris die größte Baustelle der Welt. Während unter der Leitung des Architekten Georges-Eugène Haussmann die Stadt entstand, die wir heute kennen, begrub sie ihre Vorgängerin für immer. Und vertrieb die Arbeiter, die sie errichteten, in die primitiven Behausungen der Banlieue. Und weil auch die Landbevölkerung als billige Arbeitskräfte in der Stadt gebraucht wurden, mussten die verbliebenen Bauern noch mehr schuften. Der Maler Jean François Millet, oft zu Unrecht der Verklärung der Armut verdächtigt, setzte 1860-62 einem von harter Arbeit gezeichneten "Mann mit der Hacke" ein Denkmal. Das großformatige Gemälde aus dem Getty-Museum gehört zu den Schlüsselwerken der Ausstellung.
Beleg für überraschende Vielfalt
Welche Fremdkörper müssen Millets Werke in den Pariser Salons gewesen sein, wo ihr sozialer Realismus mit den verklärenden Oberflächenreizen der akademischen Maltradition konkurrierten. Dass sie jedoch gezeigt wurden, ist ein Beleg für deren aus heutiger Sicht überraschende Vielfalt. Und lässt zugleich jenen großen ästhetischen Richtungsstreit erahnen, von dem diese außerordentliche Ausstellung erzählt: Die Revolte der Unabhängigen gegen das Diktat der einer Deutungshoheit, das von der Auswahljury der monumentalen Kunst-Schau "Salon de Paris" jährlich exerziert wurde.
Ausgerechnet Kaiser Napoleon III. erfand 1863 als Friedensangebot einen "Salon der Zurückgewiesenen" – und gab damit unfreiwillig einen Startschuss für die Kunst der Avantgarde. Vor genau 150 Jahren, vom 15. April bis 15. Mai 1874, fand schließlich die erste Ausstellung der bald so genannten Impressionisten und Impressionistinnen statt. Die Kölner Ausstellung lässt nun den Kontext dieses historischen Umbruchs so überwältigend nacherleben, als sei man mit der Zeitmaschine unterwegs.
Es ist eine schwelgerische Riese - auch wenn man mit manchem Sujet heute fremdeln mag, wie dem "Ausflug des Harems", den Jean-Léon Gérôme 1869 malte. Aber jede Revolution begräbt nun einmal das Vergangene. Und es fällt schwer, im 21. Jahrhundert einen Maler oder eine Malerin zu nennen, die das Handwerk dieses Akademikers beherrschte, die hauchzarte Lichtfärbung in der Abendstimmung über der in behutsamer Spannung austarierten Bildkomposition.
Ein subtiler Angriff?
Die Kölner Ausstellung speist sich aus Original-Exponaten der Pariser Salons von 1863 – 1873. Sie verweisen nicht nur auf eine sterbende Kunst sondern auf die Parallelentwicklungen der damaligen Kunstgeschichte. Auch sie war keineswegs bereits am Ende, sondern bereitet sich auf ihre späteren großen Auftritte in den Strömungen des fin de siècle vor.
Wer das Wort Kitsch leicht bei der Hand hat, wird an Alexandre Cabanels "Geburt der Venus" seine Freude haben, einem lasziven Akt, der sich auf Wellen gebettet und von Putten umschwärmt lasziv dem Betrachter zuwendet. Aber auch die Impressionisten, die hier versammelt werden, zeigen mitunter durchaus eine überraschende Nähe zu den Vorlieben des Salons. Oder liegt, wenn Monet mit der Höhe seines Gemäldes "Frauen im Garten", 1866/67 in Konkurrenz zu den großen "Schinken" tritt, gerade ein subtiler Angriff? Schließlich war es das unbeschwerte Glück, das sich das repräsentative Format im wahrsten Wortsinn anmaßte.