Aufhören, wenn es am schönsten ist – das können wenige. In der Mode, wo alles rotiert und neue Kreativ-Direktoren kommen und gehen, manchmal nur eine Saison bleiben, und viele große und mächtige Marken um ihre Identität kämpfen, gibt es einen Designer, von dem man sich wünschte, er würde bleiben. Seine Marke und seine Ästhetik sind beständig, werden geliebt, sorgen für wenig Drama, aber viel Begeisterung. Es ist eines der wenigen Häuser, das noch von dem geführt wurde, der es ins Leben gerufen hat. Dries van Noten, ein Sechstel der legendären "Antwerp Six" und gefeierter Modeschöpfer, hat am Dienstag seinen Weggang von dem nach ihm benannten Label verkündet.
In einem emotionalen Post auf Instagram erklärt er: "Anfang der 80er-Jahre, als junger Kerl aus Antwerpen, war es mein Traum, in der Modebranche eine Stimme zu haben." Den hat er sich erfüllt. "Jetzt möchte ich meinen Fokus auf all die Dinge richten, für die ich nie Zeit hatte. Ich bin traurig, aber gleichzeitig glücklich, euch mitzuteilen, dass ich Ende Juni zurücktreten werde. Ich habe mich schon eine Weile auf diesen Moment vorbereitet, und ich fühle, dass es an der Zeit ist, einer neuen Generation von Talenten Platz zu machen, die ihre Vision in die Marke einbringen können." Selten gab es so viele Reaktionen und traurige Abschiedsgrüße wie für ihn. Dries van Noten ohne Dries van Noten – geht das denn?
38 Jahre lang entwarf er unter seinem Namen. "Ich will nicht schocken, das ist das Letzte, was ich möchte. Ich möchte nur ein bisschen necken", sagte der Belgier einst über seine Entwürfe. "Für mich ist es interessanter, die Vorahnung auf etwas zu haben, ein kleines Element, um das man herum träumen kann." Er hoffe, dass Menschen seine Kleidung nutzten, um sich auszudrücken und sie als eine Art Sprache verwendeten.
Unzählige Referenzen aus der Kunst
Seine Materialauswahl und Muster vergleicht er mit den Farben, die Maler für ihre Gemälde auftragen – mit diesen Werkzeugen erzählte er seine Geschichten. In Van Notens Designs kommen unzählige Referenzen aus der Kunst vor. Für seine Frühling/Sommer-Kollektion 2013 etwa, die "Grunge Collection", orientierte er sich an Lucian Freud und wählte Stoffe in Schattierungen aus, die dieser in seinen Ölbildern nutzen könnte. Ein andermal ließ sich Van Noten von den Emotionen inspirieren, die er bekommt, wenn er Werke von Francis Bacon ansieht: Schönheit, Hässlichkeit und Schock habe er in Farben vereint und in passende Kleidungsstücke übersetzt. Er wolle den Denkweisen der Künstler folgen. Klassische Gemälde haben ihn seit seiner Kindheit begleitet, in einer Stadt wie Antwerpen gar nicht anders möglich.
Dort besuchte er die Royal Academy of Fine Arts und studierte Mode. Die vielen Regeln, die heute längst außer Kraft gesetzt sind, sollten seine Kreativität aber nicht einschränken, sondern im Gegenteil verstärken. Zusammen mit Dirk Bikkembergs, Ann Demeulemeester, Walter Van Beirendonck, Dirk Van Saene und Marina Yee bildete Van Noten bald das Kollektiv "Antwerp Six", das durch seine avantgardistischen Entwürfe Belgien für die Modewelt auf den Plan rief.
1986 stellten die jungen Designer ihre Entwürfe zum ersten Mal während der Londoner Modewoche aus: unkonventionelle Schnitte, Farben und Formen. Ihre Kollektionen hingen schnell in den wichtigsten Luxuskaufhäusern. Ein selten gesehenes Gruppenphänomen, das sich so bis heute nicht wiederholen ließ. Vor allem Jugend- und Subkulturen, die Auf-und Umbruchsstimmung des Jahrzehnts und die so entstehende Offenheit für experimentelle Talente halfen den Designern, sich durchzusetzen und ihre eigene Handschrift zu entwickeln.
Gewaltige Bilder mit geringen Mitteln
Zu den Charakteristika von Van Noten gehört eine Balance zwischen Interpretation, Abstraktion und künstlerischer Idee. Der Designer extrahiert Teile künstlerischer Schöpfungen und setzt sie in tragbare, jedoch immer experimentelle und überlegte Mode um. Für seine "Punk Collection" im Jahr 2010 lässt Van Noten den britischen Designer und Musiker Malcolm McLaren den Soundtrack gestalten, ohne dass dieser je die Entwürfe gesehen hätte. David Bowie, ein Rebell, den er früh verehrte, widmet er eine Kollektion. Auch Filme wie "Chariots of Fire" oder "The Piano" inspirierten seine vielschichtige Bildsprache. Kleidung, die so an die Models geschmiegt ist, als würde sie nass an ihnen hängen, Muster, die vortäuschen, sie würden tropfend den Körper umspielen – Dries Van Noten reichen kleinste Ansätze, um gewaltige Bilder zu erschaffen.
Es geht nicht um die bloße Produktion von Kleidung, wie es sich heutzutage oft anfühlt, sondern darum, Visionen weiter zu denken. Ist Mode aber Kunst? Es muss sich auch verkaufen, sagt Van Noten, sonst verliert es seinen Sinn. "Die Kleider müssen von Menschen getragen werden, die ihr eigenes Ding damit machen. Nicht ich diktiere, wie es getragen werden muss, nur weil es meine Vision war."
Kurz vor der Präsentation seiner 100. Damen-Kollektion sagte Dries Van Noten, das alles sei noch immer ein Lernprozess für ihn. Von dem Moment an, von dem er nicht mehr lerne, solle er besser aufhören. Er wolle nie, dass seine Kollektionen einfach zu erkennen sind. "Falls das passieren sollte, würde ich aufhören. Denn dann ist für mich der Spaß vorbei". Jetzt scheint es also so weit zu sein, seine letzte Kollektion wird die Männer-Kollektion im Juni 2025 sein. Ein Abgang, so speziell und mit Bedacht, wie es seine ganze Arbeitsweise war. Seine Marke kam immer ohne Anzeigen, Kosmetik oder Zwischenkollektionen aus. Erst 2018 verkaufte der Modedesigner große Anteile seines Unternehmens an den spanischen Konzern Puig, der erste Schritt, der seinen langsamen Abschied verkündete.
"Leute wie Dries halten die Mode am Leben"
"Die Modeindustrie hat sich ihr Grab geschaufelt. Leute wie Dries halten sie am Leben", sagte die kürzlich verstorbene Stilikone Iris Apfel einst über den Designer. Dries van Noten ist Perfektionist, kümmert sich liebevoll um Details und Elemente, die eine Modenschau zu dem Event machen, das er sich vorstellt. Er ist diskret, filtert heraus, was ihm wichtig ist, und auf was verzichtet werden kann. Van Noten fand schon früh einen Ausgleich in der Gartenarbeit. Hier bestimmt die Natur jeden Aspekt, in der Mode ist er es, der vorgibt.
Nun es ist nicht so, als gäbe es keine neue Kleidung mehr auf dieser Welt, wenn Dries Van Noten sich von nun an hauptsächlich seinen Pflanzen widmet. Jedoch wird der Fashionwelt ein Designer fehlen, der ganz nach seinem eigenen Instinkt gehandelt und gestaltet hat. Seiner Nachfolge wünscht man, dass er oder sie es ihm gleichtun darf.