Wer Refik Anadol öffentlich kritisiert - den derzeit wohl bekanntesten Vertreter von KI-generierten Bilderwolken in der Kunst -, muss mit einer Reaktion rechnen. So rügte der türkisch-amerikanische Künstler auf X (vormals Twitter) kürzlich Jerry Saltz, den Chefkritiker des "New York"-Magazins. Saltz hatte es Ende 2023 gewagt, Anadols Blockbuster-Installation "Unsupervised" im Foyer des MoMA als effekthascherische Luftnummer abzutun. "Refik Anadols betäubendes Multi-Millionen-Dollar-Spektakel ist ein Kartenhaus und Spiegelkabinett", schrieb Saltz. "Kurzweilige Gimmick-Kunst. Nimmt man die Musik weg, ist sie nur ein banaler Bildschirmschoner."
Einige Monate zuvor hatte der Kritiker Anadols riesige Videowand, auf der eine KI ausgehend von der MoMA-Sammlung abstrakte Farbwirbel in verschiedenen Stilen generiert, leicht polemisch als "Lavalampe" bezeichnet. Diesmal konterte der Angegriffene jedoch mit einem Tweet, der an der Urangst vieler Autorinnen und Autoren rühren dürfte: "Chat GPT schreibt besser als du", schleuderte er dem Verfechter menschlicher Urteilskraft entgegen. Die Fehde hielt ein kunstaffines Publikum über Tage amüsiert. Schnell kursierten Memes; der NFT-Künstler Beeple animierte eine Art "Celebrity Death Match" zwischen Saltz und Anadol.
Man könnte aus diesem Anlass natürlich über das Verhältnis zwischen Kunst und Kritik im Zeitalter sozialer Medien philosophieren. Haben reichweitenstarke Künstler mit treuer Fanbase nicht inzwischen viel mehr Macht als Journalisten, die sich verzweifelt an ein paar ästhetische Kriterien klammern? Und besteht nicht die Gefahr, dass alle, die die inhaltliche Qualität von KI-Kunst in Frage stellen, schnell als fortschrittsfeindliche Kulturdinosaurier abgetan werden, die die Genialität der neuen Maschinenkreationen einfach nicht verstehen? Anadol selbst hat negative Reviews einmal als "einfach noch ein paar Daten" bezeichnet, die später wieder von KI verwendet werden können.
Die Serpentine Gallery zieht nach
Am berühmtesten der zeitgenössischen KI-Künstler lässt sich aber noch ein anderes Phänomen festmachen. Denn Refik Anadol ist längst kein Außenseiter mehr, der sich mit den Vorurteilen des "klassischen" Kunstbetriebs herumschlagen muss. Inzwischen hat er die mächtigsten Institutionen der Welt hinter sich. Das MoMA gab seinem Werk "Unsupervised - Machine Hallucinations" nicht nur einen prominenten Platz in einem der heiligsten Häuser der Moderne, das New Yorker Museum hat die algorithmusbasierte Installation, die laut des Künstlers eine "alternative Version" der Kunstgeschichte heraufbeschwört, auch angekauft.
Die Serpentine Gallery in London zieht nun nach und zeigt ab dem 16. Februar die bisher größte Einzelschau von Refik Anadol in Großbritannien. In Deutschland waren seine Projektionen unter anderem im Kraftwerk Berlin, dem Kurhaus Baden-Baden und dem Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen.
Die Werke, die außerordentlich social-media-tauglich sind und vor denen man sich zu sphärischer Musik in eine Art Farbtrance schauen kann, sind echte crowd pleaser. Sie ziehen nicht nur eine große Zahl von Besucherinnen und Besuchern an, sondern gerade die Gruppen, auf die Museen besonders scharf sind: junge Menschen und auch Familien, die sonst nicht jeden Sonntag eine Ausstellung aufsuchen.
Dass Kunsthäuser auf Popularität setzen, ist nachvollziehbar und an sich unterstützenswert. In einem Kulturtanker wie dem MoMA ist Platz für verschiedenste Arten von Kreativität - und schließlich haben sich Künstlerinnen und Künstler schon immer für Automaten und Kunstmaschinen interessiert. Dass die neuesten Strömungen dieser Auseinandersetzung abgebildet und auch archiviert werden, spricht für eine gewisse Flexibilität gegenüber dem Zeitgeist. Allerdings fällt auf, wie unkritisch Museen die Selbstdarstellung Anadols als KI-Magier übernehmen - und damit eine Praxis weiter symbolisch aufladen, die sowieso schon von Superlativen und Überhöhung lebt.
Wenn man es nüchtern betrachtet, füttert der Künstler eine leistungsfähige KI mit Millionen bis Milliarden von frei zugänglichen Fotos zu einem bestimmten Thema. Auf dieser Basis kreiert die Maschine dann neue Bild-Kombinationen, die sich in Strukturen und Farben unterscheiden, meist aber aus pixelig-cremigen Farbstrudeln bestehen, die sich sekündlich zu neuen Konstellationen zusammenfinden. Diese werden hochauflösend projiziert und mit epischer Musik unterlegt. Das Thema der jeweiligen Installation lässt sich aus den Bildern selbst kaum herauslesen, sodass der Inhalt ausschließlich durch Texte vermittelt werden muss.
Immer müssen die Maschinen "träumen" oder "imaginieren"
Die Arbeiten sind gleichzeitig so ästhetisch, so verlässlich und so diffus, dass sie so ziemlich überall Anklag finden. Sie können im Museum genauso laufen wie in der Walt Disney Arena in Los Angeles oder auf der Fassade des neuen, kugelrunden Konzerthauses The Sphere in Las Vegas. Anadol war "Artist in Residence" bei Google und gerade wieder beim Weltwirtschaftsforum in Davos zu Gast, wo er seine neue Arbeit "Living Archive: Nature" uraufführte - die danach nach London in die Serpentine weiterzieht.
Interessant ist, dass im Kunstkontext kaum über Anadols Verfahren gesprochen wird, das für eine gesamte Künstlerkarriere ziemlich repetitiv ist. Es geht nicht um sein Quellenmaterial, die Ethik von Urheberschaft, wenn sich eine KI die gesamte kreative Energie einer Museumssammlung einverleibt, oder die ästhetischen Qualitäten der einzelnen Werke. Immer wird gleich die große metaphorische Keule geschwungen. Die Maschinen müssen natürlich "träumen" oder "halluzinieren", sie müssen "transzendieren" und "verzaubern" oder, wie es das MoMA ausdrückt, "die Kunstgeschichte neu imaginieren". Da dieser Ansatz für alles funktioniert, wird gleich noch eine Dimension der Weltrettung hinzugefügt. Wenn sich Anadol mit Bildern von bedrohten Ökosystemen beschäftigt, sollen die Ergebnisse selbstverständlich "Agents of Change" sein, die zu mehr "Awareness" beitragen. Welche Energiemengen beim Trainieren der Algorithmen verbraucht werden, ist dagegen kein Thema.
Oft werden die technischen Rahmendaten als Argument für die Relevanz von Anadols Werk herangezogen: die größte Quelldatensammlung, die leistungsstärkste KI, die längste 3-D-Animation. Auch die Pressemeldung der Serpentine Gallery liest sich wie ein Guinessbuch der digitalen Rekorde. Eine Auseinandersetzung mit der künstlerischen Qualität bleibt die Ausnahme.
Tech-Unternehmer fördern sich selbst
Museen können ein Ort sein, wo man der rasanten Entwicklung von Künstlicher Intelligenz auf einer sinnlichen Ebene begegnet. Aber sie müssten auch Orte sein, wo man diese Entwicklung, die derzeit maßgeblich von Tech-Konzernen und ihren Interessen getrieben ist, kritisch reflektiert. Anadol bewegt sich scheinbar mühelos zwischen Kunst und Wirtschaft und liefert diesen differenzierten Blick gerade nicht. Seine Kunst wirkt zuweilen wie ein digitaler Futurismus, der den technischen Fortschritt an sich als Wert propagiert.
Umso wichtiger ist es, dass das Thema "Machine Learning" im Museum nicht nur bedeutet, sich möglichst schnell eine Refik-Anadol-Wand zu besorgen (es gibt zahlreiche komplexere, wenn auch nicht ganz so leicht verdauliche Alternativen). Außerdem sollten sich die Kunsthäuser nicht zu abhängig von der Branche machen. Denn eine Kanonisierung von KI-Kunst ist nicht nur inhaltlich, sondern auch unternehmerisch motiviert. Kunst kann das symbolische Kapital liefern, das die KI-Firmen dann wieder in harte Währung umwandeln. "Unsupervised" konnte das MoMA nur ankaufen, weil unter anderem der Krypto-Investor und Digital-Unternehmer Ryan Zurrer dafür bezahlte. Ein passendes NFT zum Werk gibt es natürlich auch.
Die Anadol-Ausstellung in der Serpentine Gallery wird ebenfalls von Zurrer unterstützt - was zeigt, dass das Museum auch als Schaufenster einer boomenden Branche genutzt werden kann. Die Maschinen generieren vielleicht die Bilder. Zur Aufladung mit Aura und Geschichten braucht es aber weiterhin die Menschen.