Medienschau

"Es geht nicht um Gesinnungsprüfung"

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Künstler boykottieren deutsche Kulturveranstaltungen, Joe Chialo verteidigt seine "Antidiskriminierungsklausel" und Reaktionen auf die Auswahl für den deutschen Pavillon: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Nahostkrieg und Antisemitismus-Debatte

Cécile B. Evans, Hannah Black, Jesse Darling, Jumana Manna, Lawrence Abu Hamdan, Lydia Ourahmane, Rosalind Nashashibi, Yuri Pattison und zahlreiche andere internationale Kulturschaffende unterstützen den Boykott-Aufruf "Strike Germany" vom staatlichen Kulturveranstaltungen in Deutschland, "so lange, wie die deutsche Obrigkeit den 'völ­ker­mör­de­ri­schen Feldzug in Gaza' unterstütze, Waffen nach Israel liefere und hier im Land jedes Mitgefühl mit den Palästinensern als antisemitisch denunziere, jede Solidarität unterbinde und jede Demonstration mit Polizeigewalt auflöse", fasst Claudius Seidl in der "FAZ" zusammen. Die Ernsthaftigkeit des Anliegens wurde angezweifelt, "weil der Ton so krass, die Vorwürfe so überzogen waren, dass man auch vermuten konnte, es handle sich um eine seltsam verdrehte Parodie oder Satire", schreibt Seidl in einem weiteren "FAZ"-Artikel. Auch die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux unterstützt den Boykott. Der Suhrkamp Verlag bestätigte das am Dienstag und teilte mit, dass sich die 83-Jährige nicht weiter dazu äußern wolle. Das Staatsministerium für Kultur und Medien reagierte nach einem Bericht der "Rheinischen Post" zurückhaltend auf "Strike Germany". "Zu Boykottaufrufen in der Kultur hat die Kulturstaatsministerin mehrfach betont, dass sie davon nichts hält. Sie schätzt die Situation in der deutschen Kultur auch völlig anders ein", zitierte die Zeitung das Ministerium. "Was wären aber die Freiheit, die Kühnheit, die Neuheit der Künste wert, wenn sie ohne Senatsgeld nicht existieren könnten?", fragt Claudius Seidl. Und geht auf die "Antidiskriminierungsklausel" von Berlins Kultursenator Joe Chialo ein: "Die Zensur, welche 'Strike Germany' herbei zu imaginieren versucht, ist Joe Chialos Initiative nicht. Und wenn einer wie Hamja Ahsan trotzdem Deutschland boykottiert, kann er sich auch im Internet darüber informieren, wie viel Sympathie für die palästinensische Sache es hier gibt. Und dass niemand dafür im Gefängnis sitzt." Für "Die Zeit" berichtet Tobias Timm. 

Joe Chialo erklärt in der "Berliner Zeitung", warum er Fördergelder künftig nur mehr an Künstler vergeben wird, die das Existenzrecht Israels anerkennen – und verteidigt die umstrittene "Antidiskriminierungsklausel": "Es geht bei der Klausel nicht nur um Antisemitismus, es geht auch um Islamfeindlichkeit, um Rassismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus. Es gibt auch in Berlin leider viele Ausgrenzungstendenzen. Das war für mich Anlass, etwas zu unternehmen." Dass die Umsetzung schwierig wird, weiß der Berliner Kultursenator: "Es sind wahnsinnig viele Fragen, die kommen werden, die werden wir erst mal durchgehen. Es geht nicht um Gesinnungsprüfung. Ich weiß, es gibt Ängste, die da lauten: Können wir dann überhaupt noch Israels Politik kritisieren, solche Streitgespräche gehören ja auch zu einer Demokratie. Und ich sage: Ja, natürlich! Aber die rote Linie ist überschritten, wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird."

Deutscher Pavillon

Rund drei Monate vor Beginn der Venedig-Biennale steht nun der Beitrag für den deutschen Pavillon fest: Die Künstlerin Yael Bartana und der Regisseur Ersan Mondtag sollen das Projekt unter dem Titel "Thresholds" gestalten. Für die "Welt" kommentieren Kunstkritikerin Swantje Karich und Theaterkritiker Jan Kueveler gemeinsam: "Yael Bartana aber wird vielleicht die erste Künstlerin sein, die keine Angst hat vor der Schuld, Propaganda, nicht vor historischen Traumata, politischen Symbolen. Und auch Mondtag scheut keine Auseinandersetzung, ist sich seiner Verantwortung aber bewusst. Was wir mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit machen, wie die Öffentlichkeit darauf reagieren wird, ob es sie überzeugt, zu viel ist, verärgert, Tabus bricht, werden wir nach dem 20. April wissen, dann eröffnet die 60. Kunstbiennale von Venedig." Für Monopol kommentiert Elke Buhr.

Kunstmarkt

Ursula Scheer schreibt in der "FAZ" über den Rücktritt Stephen Brooks als Chef des Auktionshauses Phillips. "Einer Stellungnahme von Phillips gegenüber 'Artnews' zufolge steht der Rücktritt von Stephen Brooks jedoch nicht mit den Geschäftszahlen in Zusammenhang. Sein Rückzug, der schon im Dezember erfolgte, sei persönlich motiviert. Brooks' Rolle und damit die Verantwortung für das Management des Hauses wird nun vorläufig wieder Ed Dolman, der bereits vor Brooks die Rolle des CEO inehatte, übernommen." 

Brasilianische Medien berichten, dass Brent Sikkema, der Gründer der New Yorker Galerie Sikkema Jenkins & Co., am Montag in einer Wohnung in Rio de Janeiro tot aufgefunden wurde. Unter Berufung auf einen Bericht der örtlichen Feuerwehr berichtet die Zeitung "Estadão", Sikkema sei mit Stichwunden aufgefunden worden. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. CNN Brasil berichtet, dass die Wunden mit einer Schere, einem Teppichmesser oder einem Schraubenzieher zugefügt worden sein könnten. Sikkema wurde 75 Jahre alt.

Das besondere Kunstwerk

Kim Gordon hat einen neuen Song veröffentlicht. Im Video zur Single "Bye Bye" ist ihre Tochter Coco Gordon Moore zu sehen. "Es wurde mit Liebe und Spaß gemacht. Ich hoffe es gefällt euch", schrieb Gordon auf Instagram zu dem Clip. Auch kündigte sie dort ihr zweites Solo-Album an ("The Collective" erscheint am 8. März) und mehrere Tourtermine in den USA. Gordon hatte 1981 die avantgardistische Noise-Rockband Sonic Youth gegründet. Das Album "Daydream Nation" (1988) gilt bis heute als prägend für eine ganze Ära - selbst bei der Entdeckung Nirvanas war Gordon mit im Spiel. Mit der Trennung Gordons von Sänger Thurston Moore (65) zerbrach Sonic Youth im Jahr 2011. 2019 brachte Gordon ihr Solo-Debüt "No Home Record" heraus.