Das hochformatige Bild ist auffallend monochrom violett und zeigt eine Frau am Fenster in Rückenansicht. Sie schaut leicht zur Seite, reglos, obwohl ihrer Körperhaltung eine gewisse Unruhe abzulesen ist. Beinahe wäre dieses Bild das Plakatmotiv eines berühmten Films geworden. Denn der Regisseur Steven Spielberg hatte die Künstlerin Elizabeth Catlett gebeten, einen Poster-Entwurf für "The Color Purple" (1985) zu machen. Ein Remake der vielfach oscarnominierten Spielberg-Verfilmung von Alice Walkers Roman kommt diese Weihnachten als Musicalfilm in den USA in die Kinos.
Warum aber Elizabeth Catlett (1915-2012) unbekannt blieb, ist eine andere Frage. Im MMK Tower in Frankfurt wird ihr verblüffendes Werk erstmals überhaupt in Deutschland gezeigt. Der Duktus ihrer Grafiken, Drucke und Skulpturen ist faszinierend eigenständig. Ihr frühes Werk – Holzschnitte, Zeichnungen und Terrakotten – erinnert vielleicht an Käthe Kollwitz oder hat entfernte Verwandtschaft zum Expressionismus.
Zugleich ist aber klar, dass hier von Anfang an eine starke eigene, weitgehend unbekannte figurative Sprache vorlag, die sich in jahrzehntelanger Praxis immer weiter gefestigt und erweitert hat. Über stilistische Verwandtschaften, künstlerische Herkunft und Kontext des Oeuvres gibt es zu wenig Wissen, zu wenig Vergleichbares.
Präzise Porträts von Frauen und Kindern
Genau das interessierte Susanne Pfeffer, die nun Elizabeth Catlett ausstellt und damit eine Leerstelle im Kanon der Kunstgeschichte untersucht, die erst allmählich aufgearbeitet wird: die afroamerikanische Lebensrealität des 20. Jahrhunderts in der Kunst. Dabei hatte Catlett zu Lebzeiten durchaus einen großen Markt. Ihre bewusst kleinformatigen Skulpturen und Drucke sollten günstig überall erworben werden können, das war ihr ausdrückliches Anliegen. Diese Künstlerin war tatsächlich sehr bekannt – nur nicht in den Museen der weißen Mehrheiten.
Genau wie Kollwitz – und dann enden die Parallelen auch – entwarf sie präzise Porträts, hauptsächlich von Frauen und Kindern. Ästhetisch und handwerklich eindrucksvoll und zugleich klar politisch aufgeladen. Catletts Großeltern waren noch in die Sklaverei hineingeboren worden. Auf Besuchen bei ihnen sah sie "Sharecropper" auf den Feldern, die den Landeigentümern Anteile geben mussten, von denen sie Grund gepachtet hatten. Ein Porträt eines solchen Arbeiters fasst mit wenigen Linien Ausdauer, Leid und Würde in einem einfachen Schwarzweiß-Holzschnitt.
Catlett durchlebte in ihrem langen Leben so viel, dass man sich mehrfach von offizieller Seite bei ihr entschuldigen musste. Dass man sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht an der Kunsthochschule ihrer Wünsche aufgenommen hatte, bereute das Carnegie Institute of Technology später öffentlich. Und auch der US-amerikanische Staat entschuldigte sich, dass er Catlett wegen ihrer politischen Haltung und Aktivitäten – sie steuerte unter anderem Grafiken für die Black Panthers bei – die Staatsbürgerschaft aberkannt und sie als eine "unerwünschte Ausländerin" betitelt hatte. Da lebte sie in Mexiko. 2002 bekam sie die Staatsbürgerschaft zurück. Auf Fotos sieht man sie meist mit einem Lachen.
Eine beeindruckende Künstlerinnenkarriere
Sowohl Anliegen als auch Formensprache waren bei Catlett ganz klar. Ihre Kunst sollte für people of color sein. Empathie und Direktheit vermittelt sich auf künstlerischer und inhaltlicher Ebene. Rückblickend waren das keine Erfolgsgaranten in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Um so nötiger, den Blick dafür jetzt zu öffnen, und im Tower eine beeindruckende Künstlerinnenkarriere von Anfang bis Ende sehen zu dürfen.
Ein klassischer, zurückhaltender Ausstellungsparcours ordnet die Werkgruppen chronologisch, zugleich mit großartigen beiläufigen Bezügen der Werke zueinander und überraschenden Wendungen. Gerade die Skulpturen erscheinen auf einmal vor tiefblauer Wand wie eine zauberhafte Materialisierung des zuvor auf Papier Gesehenen.
Schnell wird klar, wie souverän Catlett sich auch zwischen verschiedenen Stilen hin- und herbewegen konnte, und wie sich ihr Formenrepertoire mit der Zeit erweiterte. In den 1960er-Jahren geht ihr Realismus ins Poppige. Ihre überlebensgroße Statue von Mahalia Jackson steht in New Orleans.
Das Gegenteil von einer Karikatur
Teilweise überzeichnet sie die Merkmale ihrer Porträtierten. Zieht ihre ovale Kopfform in die Länge, betont die Lippen- und Kinnpartie, spitzt Gesichtszüge fast geometrisch zu. Es ist technisch derselbe Vorgang wie beim Karikieren, aber mit umgekehrter Wirkung. Alle Persönlichkeiten, die Elizabeth Catlett je porträtiert hat, sind sehr schön.
Wie sie sich in der Kunstgeschichte bewegte, wird besonders schön sichtbar bei einer Gruppe von Bildern und Skulpturen, die Mutter und Kind zeigen. Ein Sujet, das künstlerisch dermaßen von der Kirche vereinnahmt wurde und so einseitig konnotiert ist, dass es bis heute Künstler und Künstlerinnen die Finger davon lassen.
Nicht jedoch Elizabeth Catlett, die immer das zeigte, was sie selbst am besten kannte, so wie ihr Lehrer Grant Wood es ihr riet. So fand sie mit ihren bewundernswert reduzierten Gestaltungseingriffen einen Weg, diese Mütter und ihre Kinder eigenständig und lebendig werden zu lassen. Bei einem ihrer Bildnisse verwendete sie einen goldenen Hintergrund. Nicht nur mit diesem Wink in Richtung der christlichen Ikonenmalerei macht sie ihren Platz in der Kunstgeschichte souverän geltend.