Alle Augen auf Mailand! Nicht nur wurde Guccis neue Ära durch Creative Director Sabato de Sarno eingeleitet, auch die Marke Tom Ford bekam eine neue kreative Leitung. Nach 18 Jahren hatte der legendäre Designer Ford sein gleichnamiges Label im April an Estée Lauder verkauft. Ihm folgt als kreativer Kopf nun Peter Hawkings nach, der mit und neben Ford 25 Jahre lang gearbeitet hatte, begonnen mit dessen Tagen bei Gucci.
Die Ford-Jahre waren einige der prägendsten und erfolgreichsten des italienischen Modehauses gewesen. Ford hatte unverschämt freizügige, aber immer elegante und vor allem glamouröse Looks über die Laufstege geschickt und so "Sexy Gucci" geschaffen. Gerade diese Periode zitierte Hawkings in seiner Debüt-Kollektion, so dass Tom Ford fast mehr an Gucci erinnerte, als die von de Sarno gezeigte Kollektion. "Wer hat Gucci besser getroffen?" titelte "The Business of Fashion", und ja: Die Antwort darauf könnte eine überraschende sein.
Peter Hawkings startete sein Debüt mit goldenen, skulpturalen Gürtelschnallen, einem Element aus Fords Frühjahrsshow 1996 für Gucci. Damals an weißen, statuesken, bodenlangen Jerseykleidern mit Cut-Out, heute an schwarzen Modellen mit Rückenausschnitt. Samtanzüge, die zuletzt auch Alessandro Michele in seiner "Aria"-Kollektion für Gucci 2021 gezeigt hatte, tauchten ebenfalls aus dem Ford-Vermächtnis auf. Seidene, glänzende Hemden und lange, den Körper fast küssende Kleider erinnerten sehr an Guccis 90er-Jahre.
Das Verlangen bewegt die Welt
Und sonst? Mondän, luxuriös und ein deutliches Kopfnicken in Richtung der 1970er-Jahre: Schlitze von Hals bis Bauchnabel, weit aufgeknöpfte Hemden, schimmernder Stoffe, Krokodil-Leder, wohlplatzierter, breiter Goldschmuck, dunkle Sonnenbrillen und schmerzhaft hohe Stilettos. Sexyness war schon immer ausschlaggebend in der Ästhetik der Marke Tom Ford.
"Ich habe viel darüber nachgedacht, und ich möchte das unbedingt berücksichtigen, wenn ich die Marke vorantreibe. Letzten Endes ist es das Verlangen, das die Welt bewegt, und Tom Ford ist ein Synonym für Verlangen", erklärte Hawkings vor seiner Show der "Vogue". Der Vibe ist eindeutig. Trotzdem glitt die Kollektion nicht in reizüberflutenden Kitsch ab, sondern behielt Fords anspruchsvolle Note bei, zeigte ausgefeilte Schneiderkunst und eine hohe Qualität, auch bei der Materialauswahl.
Doch nicht nur seinen Maestro hatte Hawkings im Kopf, als er die Frühjahrskollektion für das Jahr 2024 entwarf. Eine weitere seiner Inspirationen war das erste schwarze Supermodel Donyale Luna. Sie galt als Muse von Andy Warhol und Fotograf Richard Avedon, der sie immer wieder in Szene setzte.
"Ich bin fasziniert von ihrer Mysteriösität und ihrer meisterhaften Körperbeherrschung - und von der Art und Weise, wie sie alles, was sie trägt, auf ihre einzigartige Weise in Besitz nimmt. Sie ist katzenartig, geheimnisvoll, äußerst elegant und hat eine versteckte, aber nicht zu leugnende Sexyness in ihrem 70er-Jahre-Glamour, die ich versucht habe, im Casting, dem Schnitt, den Stoffen, der Haltung der Models und der allgemeinen Stimmung der Show einzufangen." Auf einem besonders ikonischen Bild posiert Luna in einem schwarzen, gehäkelten, bodenlangen Kleid – und auch dieses fand sich in Hawkings erster Kollektion.
Zwischen den edlen Amazonen liefen auch männliche Models über den Laufsteg, deren Looks sich nahtlos in die der weiblichen Models einfügen ließen. Eine Entscheidung Hawkings, die sich hinter den Kulissen angekündigt hatte: Dieser hatte die Produktionsstätte von Herren- und Damenmode zusammengelegt, nachdem bisher das eine in Los Angeles, das andere in London gefertigt worden war.
Das Tom-Ford-Pärchen soll sich so näher kommen, nicht nur räumlich, sondern auch in seiner Kleiderwahl. Ein männliches Model in hellrosa Anzug lief zwischen zwei kurzen, pinken Ensembles an seinen weiblichen Kolleginnen. Goldene, schmale Suits, braune, gerade Hosen und cremefarbenes Leder sieht Hawkings an dem Ford-Mann für den Sommer.
Ein Tribut an die großen Zeiten
Keine großen Überraschungen, kein neuer Pfad im Sinne von einer komplett neuen DNA für die Marke: Dieses Debüt war eher ein Tribut an die großen Zeiten von Mentor Ford. Ein kurzes Sich-Sammeln, eine Frontenklärung und Grundsteinlegung für einen Neubeginn. Ohne den Mann selbst, aber mit allen Kapiteln der von ihm geschriebenen Modegeschichte im Gepäck.
Was noch passierte während der Mailänder Modewoche? Kylie Jenner kam 45 Minuten zu spät zur Schau von Dolce& Gabbana. Nach dem verzögerten Start schloss Naomi Campell die Modenschau unter Applaus ab, Claudia Schiffer wiederum krönte die Präsentation von Versace.
Die erste Begeisterungswelle kreierte Prada, wie eigentlich immer. Miuccia Prada und Raf Simons schickten die vielleicht berührendsten, fast übersinnlichen Kleider über ihren, erneut mit Schleim-Vorhängen verzierten Laufsteg. Horizontale Bänder aus federleichtem Chiffon waren so um knielange Shiftkleider drapiert worden, dass sie während des Laufens wie vom Winde verweht hinter den Models herflatterten.
Wenn die Front Row die Entwürfe bewertet
Die Inspiration rührte von einer Szene aus Hitchcocks "Vertigo", in der Mantel und Chiffon-Schal des Characters Madeleine wild hinter ihr her wehen. Moschino hingegen feierte sein 40-jähriges Bestehen. Und das ohne Jeremy Scott, der zehn Jahre als Creative Director des italienischen Modehauses fungierte und zu Beginn des Jahres abgedankt hatte.
Vier Stylistinnen und Freunde des Hauses wurden eingeladen je zehn Looks zu designen, die Marken-Gründer Franco Moschino ehren sollten. Unter dem Titel "40 Years of Love" kreierten Carlyne Cerf de Dudzeele, Gabriella Karefa-Johnson, Lucy Liu und Katie Grand ein Spektakel zwischen Modenschau und Performance. Inklusive Geigenkonzert.
Besonders fantasievoll und selbstkritisch zeigte sich Sunnei. Nach der Stage-Diving-Show im Frühjahr stellten sich die Models in dieser Saison der Meinung des anwesenden Publikums. Den Gästen wurden vor Beginn der Show mit Nummern versehene Paddels ausgehändigt, so dass sie jeden der sich präsentierenden 30 Looks bewerten konnten - von 1 (Lippenkräuseln ) bis 10 (fast ein Lächeln).
Ledercouches auf der Straße
Eine Kombination aus schwarzem kantigen Blazer mit weißen Nähten und passender Shorts sah besonders viele Zehner. Ebenso ein Ensemble aus weißem Crew-Neck-Pullover und roten Leder-Baggy-Pants und auch eine blaue Lederjacke im Zusammenspiel mit schwarzen, weiten Hosen und grün-gestreifter Tasche.
The Attico, ein in Mailand von Gilda Ambrosio und Giorgia Tordini gegründetes Modelabel, zeigte seine erste Schau - auf der Straße. Ledercouches säumten den Schauplatz, auf ihnen unter anderen Guccis Sabato de Sarno und Ferragamos Maximilian Davis, die das Show-Debüt der Kolleginnen nicht verpassen wollten. Weite Mäntel über engen, glitzernden Party-Kleidern, oder auch transparenten Catsuits, federne Schuhe, Blazer mit Bodybuilder-Schultern und voluminöser Kunstpelz in grellen Farben wurden gezeigt.
Bottega Veneta unter Matthieu Blazy verzückte erneut. Wie wenige Designer versteht er es, die Codes des von ihm übernommenen Modehauses in ein modernes, von ihm gestaltetes Jetzt zu versetzen – auf immer wieder atemberaubende Art und Weise. Die geflochtenen Signatur- Ledertaschen des Hauses wurden so groß wie Reiserucksäcke, die Garne der Strickkleider endeten in riesigen Pompoms, Fransen flogen um Beine. Dazwischen immer wieder klassische Anzüge mit Twist, skulpturale Kleider und Mäntel und dekonstruierte Trenchcoats. "Die Welt durch Kleidung erkunden" ist das Sujet der Frühjahres-Kollektion Bottega Venetas und das möchte man in diesen wunderschönen Stücken unbedingt.