Taunustor 1, die Adresse des Tower MMK, ist ein Büroturm im Frankfurter Bankenviertel, entwickelt von der Commerzbank und Tishman Speyer. Dass das MMK hier für 15 Jahre eine Dependance hat und Zuschüsse für Miete und Nebenkosten gezahlt werden, liegt an den Auflagen zur öffentlichen Nutzung von Bürogebäuden. Möglich wird es unter anderem durch die Mieten der hier firmierenden Finanzkonzerne wie Barclay’s, Schroders, J.P. Morgan und Credit Suisse. Cameron Rowland hat sie als Nachfolger von Profiteuren der Sklaverei identifiziert.
Die Ausstellung gleicht einem Forschungsprojekt, viele der recherchierten historischen Zusammenhänge haben Sprengkraft. Die Annahme, Sklaverei sei nur von Ländern wie Portugal oder Spanien ausgegangen, widerlegt Rowland. "Alle Europäer*innen, die aus der Existenz von Schwarzen und Indigenen Menschen Kapital schlugen, waren an der Errichtung der Sklaverei beteiligt," schreibt Cameron Rowland in dem zur Ausstellung "Amt 45 i" gehörenden Begleitheft. Dieses Amt ist das MMK, so wird es bei der Stadtverwaltung geführt. Seine Leiterin Susanne Pfeffer beweist hier als Ausstellungsmacherin erneut ihre Bereitschaft, an die Grenzen zu gehen, auch an die der eigenen Institution, zugunsten radikaler Perspektivwechsel.
Zu sehen sind in dieser Ausstellung wenige vorgefundene Objekte. Ein Strick, zwei Eimer mit Putzmitteln, ein Webstuhl, ein Kessel, ein Häufchen Gewürz und andere Dinge. In jedem einzelnen Exponat stecken die Beziehungen zwischen gegenwärtigem Wohlstand und rassifizierter Sklaverei. Die Geschichten materialisieren sich in ihnen vor Hintergrundwissen, das man sich währenddessen anlesen sollte.
Kunsterlebnis durch Fähigkeit zur Erkenntnis
Auf einem 300 Jahre alten Webstuhl aus Osnabrück wurde zum Beispiel billig Leinen für den Export gewebt. Mit deutscher Niedriglohnarbeit wurden "Osnabrigs" hergestellt, die strapazierfähige, wiedererkennbare Kleidung der Versklavten in den Kolonien. Die Bodenskulptur "Seasoning", eine Salz-und-Pfeffer-Mischung, bezieht sich auf eine Foltermethode der Sklavenhalter, bei der durch Einzelhaft, Peitschenhiebe und das Einreiben der offenen Wunden mit Salz und Pfeffer der Wille der Versklavten gebrochen wurde.
All diese Objekte sind aufgeladen mit Bedeutung, das Kunsterlebnis findet vor allem in der Flexibilität des eigenen Verstandes, in der Fähigkeit zur Erkenntnis statt. Exemplarisch ist dafür das Werk "Bankrott", ein gerahmtes Vertragswerk zwischen dem MMK und Rowland. Die "Bankrott Inc.", vertreten durch Cameron Rowland, gewährt dem Museum einen Kredit in Höhe von 20.000 Euro. Es handelt sich um ein "Darlehen auf Abruf", was bedeutet, dass allein der Gläubiger den Zeitpunkt der Rückzahlung festlegt. Beim höchsten gesetzlich erlaubten Zinssatz von 18 Prozent stünde das Museum nach nur 100 Jahren mit 311.591.692.053,27 Euro in der Kreide. Dreihundertelf Milliarden fünfhunderteinundneunzig Millionen.
Dieser vollkommen wahnwitzig scheinende Deal fußt auf realen Umständen: Sklavenhalter erhielten nach der Abschaffung der Sklaverei Reparationszahlungen von den Ländern, in denen die Kolonien lagen. So ließen beispielsweise die britischen Entschädigungszahlungen die Finanzinstitute blühen. (Sie sind, nebenbei, auch der Grund, warum eine Nation wie Haiti finanziell nie auf die Beine kommt. Ihre Bewohner, Nachfahren von Versklavten, bezahlen immer noch.) Diese Entschädigungszahlungen werfen, so Cameron Rowland, immer noch Erträge für europäische Banken ab, genau wie die Profite aus der sklavenbasierten Wirtschaft immer noch real sind.
Frankfurt am Main als besonderes Terrain
Die Verschuldungs-Aktion ziele nicht auf eine Umverteilung des auf Kosten von Versklavten entstandenen Reichtums ab, betont Rowland. Es gehe darum, die institutionellen Erbinnen und Nachfolger derjenigen, die aus der Sklaverei Kapital schlugen, zu belasten. In diesem Fall ist es die Stadt Frankfurt. "Bankrott Inc. wird die Rückzahlung niemals einfordern", steht im Begleitheft, aber ist das bedrohlich oder beruhigend, und für wen? Fest steht nur: Aus diesen Schulden, aus dieser Schuld gibt es kein Entkommen.
Cameron Rowland macht nur eine Ausstellung im Jahr, denn seine Recherchen sind umfangreich und dauern lange. Klar ist, dass diese Ausstellung auch in anderen europäischen Städten mit ähnlich schneidender Evidenz hätte stattfinden können. Klar ist aber auch, dass Frankfurt am Main besonderes Terrain ist. Das bürgerliche Engagement für Kultur, insbesondere die Kunst, ist sprichwörtlich. Frankfurt mit seinem "Amt für Multikulturelle Angelegenheiten" als erste deutsche Stadt. Handelszentrum seit dem Mittelalter, stolz auf Weltoffenheit und Toleranz. Wer Handel treibt, so die Logik, sieht in "Fremden" keine Bedrohung, sondern potenzielle Geschäftsbeziehungen.
Hier steht auch die Rekonstruktion des "Haus zur Goldenen Waage", im Jahr 1619 vom niederländischen Zuckerbäcker van Hamel erbaut. An einer verzierten Auskragung ragt originalgetreu ein schwarzer Arm heraus, der die besagte Waage hält. Selbst am Wiederaufbau der "Neuen Altstadt" Beteiligte konnten darin bislang kein Problem erkennen. Eine "Nostalgiekarte" dieser Touristenattraktion liegt im MMK Tower aus und kann als Edition von Cameron Rowland für fünf Euro erworben werden. Obwohl er diesen schwarzen Arm aus Metall nicht explizit thematisiert, gibt er einen anderen Blick darauf frei.
Eine Ausstellung, die im Kopf stattfindet
Cameron Rowland hat die sonst verschlossenen Notausgänge und Treppenhäuser des Tower geöffnet, auch dies ist ein Werk, es heißt "Public Use". Man kann auf die Dachterrasse des privaten Gebäudes gehen und findet sich unter freiem Himmel auf mittlerer Höhe zwischen all den Bankentürmen wieder, die jährlich wachsen wie Balkendiagramme.
Rowlands Ausstellung findet fast ausschließlich im Kopf statt. Aber sie hat diese ungeheure Kraft, etwas in der Wahrnehmung grundsätzlich umzustürzen, hinter das man nicht wieder zurückkann. Man kann für den Rückweg den sonst verschlossenen Abgang wählen, der durch das Foyer des Gebäudeteils mit den Privatwohnungen und Büros der vielen wohlhabenden Frankfurter führt. Oder man geht durch das Café im Erdgeschoss. Ach, Kaffee. Es gibt kein Entrinnen.