Die Ausstellung "Entartete Kunst", die im Jahr 1937 in München begann, ist hier das düstere Erbe von Kunstverein und Haus der Kunst. Beide Institutionen stellen sich dieser Vergangenheit in letzter Zeit sehr ausführlich. Auch an Münchens Gymnasien wird man früh und dann in mehreren Schulfächern gleichzeitig über die berüchtigte Ausstellung aufgeklärt. Doch vor lauter entarteten Künstlern, von denen sich manche während der NS-Zeit noch prächtig verkauft haben, werden manchmal die ermordeten Künstler vergessen.
Der jüdische Bildhauer Otto Freundlich gehörte dazu. Seine Arbeit wurde für das Cover des "entarteten" Ausstellungskatalogs benutzt, sein Leben endete 1943 gewaltvoll im Konzentrationslager Lublin-Majdanek. Die Jahreszahl und der Ort seines Todes stehen in der Pinakothek der Moderne klein neben seiner abstrakten Bronzeskulptur "Ascension" (1926).
Seit ein paar Wochen muss sich diese Skulptur ausgerechnet neben einem Gemälde von Adolf Ziegler behaupten. Ziegler war der Organisator der "Entarteten Kunst" und somit der ideelle Mörder von Otto Freundlich. Als einen Künstler will man Adolf Ziegler nicht bezeichnen. Ohne Hitlers Gunst hätte er es niemals dazu gebracht. Sein dreiteiliges klassizistisches Bild "Die vier Elemente" mit vier blonden nackten Frauen als Allegorien (Feuer, Wasser, Erde, Luft) ist vor allem eine Propaganda und hing auf Hitlers Wunsch in der NSDAP-Zentrale.
"Schmuddelige Art"
Dazu schreibt die Pinakothek der Moderne in ihrem Wandtext: "Das Triptychon gehört zu den bekanntesten Werken nationalsozialistischer Kunstproduktion. Die vier stilisierten Frauenakte repräsentieren rassistische Körperideale des NS." Ein Link verweist auf weitere Informationen im Internet (Aufsätze, Vorträge und eine Podiumsdiskussion) und bittet die Besucher um Feedback (unter einem Hashtag oder im Kontaktformular).
Man war hier also schon auf Kritik vorbereitet gewesen. Das Bild war seit 2015 in der Pinakothek der Moderne zu sehen, aber noch nie in diesem Kontext. Seitdem die Sammlungen unter dem Titel "Mix & Match" komplett durchmischt worden sind, gibt es keine Chronologie der Epochen mehr, sondern Themenräume. Der Kontext sind ab jetzt also die Körperideale, von denen Ziegler ein restriktives vertrat. Früher dienten der Faschismus und seine Auswirkungen als entwaffnender Kontext.
Hier setzt die Kritik von Georg Baselitz an. Baselitz sieht Adolf Ziegler jetzt erstmals als einen Künstler gewürdigt – auf Augenhöhe mit Otto Freundlich und Pablo Picasso, die sich mit ihm einen Raum teilen müssen, ohne dass man sie um Erlaubnis fragen könnte. In einem Brandbrief an das Museum und die Landesregierung hat Baselitz die Entfernung von Zieglers Bild gefordert. "Es schockiert, dass Nazipropaganda auf diese schmuddelige Art in einem Münchner Museum möglich ist", schreibt er.
Kunst- oder Geschichtsmuseum?
Ein Brief wie ein Paukenschlag: "Das Wort von Georg Baselitz, einem der wichtigsten Künstler der Gegenwart, hat natürlich Gewicht." So lautet die sich selbst bewahrheitende Antwort des bayerischen Kunstministers Markus Blume (CSU). Blume hat das Museum dazu aufgefordert, sich Baselitz' Argumente anzuhören. Die Kuratoren kennen die Argumente ihrer Gegner schon seit langem und bestreiten den Vorwurf, Propaganda zu machen. Trotzdem sind sie offen für eine Veränderung des Konzepts. Die Dauerausstellung war ohnehin als dynamisches Experiment angekündigt.
Baselitz hat recht, dass der Ausstellungsraum mit Ziegler missglückt ist. Das Thema heißt eigentlich "Panoptikum". Es soll um Vielfalt versus Normierung gehen ("Jeder Mensch ist anders!"). Aber das titelstiftende Bild von Joseph Scharl fehlt bisher in dem Raum. Ersatzweise kann man am ehesten Henrik Olesens Arbeit als ein Panoptikum verstehen. Seine Collage "Nach Magnus Hirschfeld" (2008) ist eine Enzyklopädie der verschiedenen Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten, die es trotz Unterdrückung seit Jahrhunderten gegeben hat. Olesens Arbeit besteht aus historischen Dokumenten, es geht um die Hinrichtungen von Homosexuellen, um queeren Widerstand. Das kontert Ziegler, aber macht es den Raum zu einem Geschichtsmuseum?
Obwohl Baselitz mit seinem Machtwort eine konstruktive Debatte losgetreten hat, hat es auch einen Beigeschmack. Für "Mix & Match" löste die Pinakothek die genialischen Künstlerräume auf, von denen Baselitz einen eigenen besetzt hatte. Laut seinem Brief fürchtet er jetzt, dass Zieglers Gemälde "das prominente und wesentliche Werk" in dem Raum sein könnte – ganz so, als würde künstlerischer Adel allein durch die Hängung entschieden, sobald alle anderen Hierarchien weggefallen sind.
Gefahr der Verführung ist gering
Dahinter steht die Sorge, dass ein Picasso (in dessen direkter Nachfolge Baselitz sich selbst sieht) zu schwierig für die einfachen Leute wäre und deshalb in Zukunft nochmal als entartet gelten könnte. Der Text zur Einordnung Zieglers ist sehr deutlich formuliert. Doch die Gefahr der Verführung ist bei Zieglers "Vier Elementen" ja nicht nur eine politische, sondern eine sinnliche.
Diese Sorge wird dem Publikum nicht mehr länger gerecht. Viel Anleitung braucht es heute nicht, um Picasso zu schätzen zu wissen und zu mögen. In der Pinakothek der Moderne interessiert sich eine Schulgruppe auf Klassenausflug, die mit sehr vielen Darstellungen von Nacktheit aufgewachsen sein dürfte, herzlich wenig für Zieglers glattgebügelte Frauenakte. Die Jugendlichen stehen mit Notizblöcken vor Otto Freundlichs abstrakter Skulptur. Sie machen Handyfotos von den zwei Picassos im Raum. Und ihre Vorstellungen möglicher Körper dürften Henrik Olesens Collage am nächsten kommen.