Zur Zeit des großen Epochenbruchs in Südafrika bekam auch die Fotografie von Roger Ballen eine neue Wendung. Mitte der 90er-Jahre, als Nelson Mandela Präsident des Landes wurde, begann der in Johannesburg lebende US-Amerikaner eine Serie, die er später "Outland" nannte. "Ausgangspunkt für sie war das Bewusstsein", sagte Roger Ballen einmal im Monopol-Interview, "dass Chaos die menschliche Existenz bestimmt. Das hatte gewiss auch mit der Verunsicherung vieler Weißer zu tun. Meine Fragen waren jedoch existenzieller."
Die Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen weiße Südafrikaner, die am Rand der Gesellschaft leben. Aber sie beschränken sich nicht auf die Dokumentation. Die Porträtierten werden zu Darstellern, sie posieren vor schäbigen Interieurs in exzentrischen Verrenkungen, präsentieren Gegenstände und Tiere. In "Outland" tauchen auch erstmalig Zeichnungen an den Wänden auf und funktionslose, offensichtlich für das Foto produzierte Objekte. Fiktives bricht in die Bildwelten ein."Zum ersten Mal habe ich mich als Künstler gesehen, nicht mehr nur als Fotografen", sagt der heute 72-Jährige, der mit Porträts von burischen Landbewohnern bekanntgeworden war, die an die sozialen Studien Walker Evans’ erinnern.
Mit seiner Mitte der 2010er-Jahre entstandenen Serie "The Theatre of Apparitions", die jetzt im südafrikanischen Pavillon auf der Venedig-Biennale zu sehen ist, zeigt Ballen sich nun selbst als Zeichner. Inspiriert durch den Anblick von Kritzeleien auf geschwärzten Fenstern in einem verlassenen Frauengefängnis begann er mit verschiedenen Sprühfarben auf Glas zu experimentieren und die Farbe mit einem scharfen Gegenstand abzuritzen. Entstanden sind dabei Gesichter und geisterhafte Figurenfragmente, die der Künstler wiederum abfotografierte.
In Venedig, wo er gemeinsam mit Phumulani Ntuli und Lebohang Kganye ausstellt, präsentiert Ballen erstmals diese Fotos in großen Leuchtkästen – ein gespenstisches Spiel aus Licht und Schatten, Röntgenbilder der Psyche, ein Höhlengleichnis der Seele, das bei Ballen zum Höllengleichnis wird.
Wenn der Fotograf gewordene Geologe sich hier nun als Zeichner betätigt, hat er sich doch die für ihn typische Intensität und Düsternis behalten. Oder es mit Roger Ballens eigenen Worten zu sagen: "Gegenstand meiner Arbeit ist die andere Seite der Seele."