Ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna

"Russland will unsere Kultur zerstören"

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Die Werke der ukrainischen Künstlerin Lada Nakonechna verhandeln schon seit Jahren Bilder des Krieges. Sie wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für die Kultur und Geschichte ihres Landes

Ein dunkles Waldstück, darauf Blätter und Geäst, die an einen Holzschnitt erinnern. Erst auf den zweiten Blick sind Menschen zu erkennen, Beschilderungen, ein Grenzpfahl. Lada Nakonechna sitzt an einem großen Tisch in den Leipziger Räumen der Galerie Eigen + Art. Für ihre Einzelausstellung "Studium des Menschen" produziert sie noch zwei Tage vor Eröffnung letzte Arbeiten: Das Skalpell in ihrer Hand zerstört die Oberfläche der großformatigen Fotoprints und verfremdet im Netz gefundene Bilder von der polnisch-belarussischen Grenze. Niemandsland, das eigentlich nicht betreten werden darf. Die herausgeschnittenen Teile legen das Fotopapier frei, formen idealisierte Natur. Auf einer anderen Arbeit sind im fleckigen Grün und Schwarz ein am Boden liegender Leichnam und ein Soldat zu erkennen.

In ihren Zeichnungen, Installationen, Videos und Performances arbeitet die 1981 in Dnipropetrovsk geborene Ukrainerin mit Bildern des aktuellen Zeitgeschehens und aus dem kollektiven Gedächtnis. Schon lange war ihre Ausstellung in Leipzig geplant, es ist bereits ihre sechste in der Galerie. Im großen Hauptraum erleuchtet ein Scheinwerfer sechs Skulpturen: Weiße Knie aus Pappmaché, gehalten von Metallstangen auf Marmorplatten, treten miteinander in den Dialog. Stehend, liegend, aus der Wand kommend erinnern sie an antike Skulpturen oder Teile von Denkmälern, lassen an die Kulturgüter denken, die in der Ukraine der Zerstörung ausgesetzt sind. Angesichts der aktuellen Lage werden die Fragmente zu Leichenteilen. Der Mensch ist Objekt, Zahl, Material. Seine Seele wurde ihm genommen: "Es geht nicht um die Menschen, sondern um unsere Bodenschätze", erklärt Lada Nakonechna beim gemeinsamen Rundgang. Eine Wand ist im Kontrast zu dieser Entmenschlichung bis zur Kopfhöhe hautfarben gestrichen.

"Ich habe das Konzept der Ausstellung nicht verändert und ich musste es nicht verändern, weil wir schon seit 2014 Krieg in der Ukraine haben", erklärt sie weiter. "In Kiew haben wir den Krieg nicht direkt gemerkt, aber wir wussten immer davon. Viele Freunde und Bekannte von mir mussten in den letzten Jahren aus dem östlichen Teil der Ukraine fliehen, Menschen starben und kamen als Leichen zu uns." Dennoch hat sie sich nicht vorstellen können, dass einmal im ganzen Land Krieg herrscht.

Flucht nach Leipzig

Nach ihrem Studium an der Nationalen Akademie für Bildende Kunst und Architektur in Kiew blieb sie in der Stadt, in der sie auch ihren Mann kennengelernt hat. Seit vielen Jahren stellt sie immer wieder im europäischen Ausland aus. Das Überqueren von Grenzen ist Teil ihrer Identität. Ihre Werke wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem auf der 54. Venedig-Biennale, im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine in Kiew, im Kunstmuseum Wolfsburg, auf der Kiew-Biennale, in der Kunsthalle Trondheim oder in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig.

Die Ukraine zu verlassen – bisher war das nie eine Option für sie. Ihr zweijähriges Kind war der Grund, es nun doch zu tun. Als am 24. Februar die ersten Bomben fielen, hat sie sich mit ihrer Familie im Auto auf den Weg nach Lemberg gemacht. Mit ihrem Kind passierte sie die Grenze, ihr Mann blieb in der Ukraine. Über 22 Stunden dauerte die Weiterreise nach Polen, dicht gedrängt im Zug – eine Strecke, für die man sonst drei Stunden braucht. Eine Woche blieben sie bei einer Freundin, dann holten zwei Mitarbeiterinnen der Galerie die beiden in Warschau ab. Seit drei Wochen ist sie in Leipzig.

In den vergangenen Jahren ist sie immer wieder für längere Zeit in Kiews Partnerstadt gewesen: 2008 verbrachte sie mehrere Monate auf dem Spinnereigelände als Stipendiatin des LIA, des "Leipzig International Art Programme". Zwei Jahre später realisierte sie mit Bleistift eine große Wandzeichnung im Lesesaal der Albertina, der Bibliothek der Universität Leipzig. Über drei Monate entstanden auf 100 Quadratmetern Wege, Gräser und Kräne. Die Bücher der Regalmeter, die die Zeichnung im unteren Bereich verdecken, sind hinter den Regalen nochmals aufgezeichnet. Sie bleiben unverändert, auch wenn die realen Bücher neu sortiert werden. Bis heute ist die Zeichnung ungeschützt und könnte jederzeit mit dem Radiergummi zerstört werden. Die Kunst sollte, so ihre Überzeugung, wie alles vom Menschen Geschaffene, nur so lange bewahrt werden, wie Bedarf dafür besteht.

"Die ukrainischen Künstler müssen aktiv werden"

Die Ausstellung in Leipzig nun abzusagen, war für sie zu keinem Zeitpunkt eine Option: "Russland ist es ganz wichtig, jetzt nicht nur unser Land zu zerstören, sondern auch unsere Kultur zu vernichten", so Nakonechna. Der Dolmetscherin, selbst Ukrainerin und seit zwei Jahren in Deutschland, stehen die Tränen in den Augen, als sie das Gesagte wiedergibt. "Deswegen müssen unsere Ausstellungen weiter gezeigt werden! Die ukrainischen Künstler müssen aktiv werden. Wir müssen die russische Produktion boykottieren und zeigen, dass die ganze Welt gegen das ist, was gerade passiert!" Die Unterstützung der Galerie war und ist für sie ganz wichtig: "So musste ich nicht darüber nachdenken, wie ich überleben soll, und ich kann meine Kunst weitermachen."

Die sozialen Auswirkungen der politischen Transformation in Bereichen wie Erinnerung, Geschichte, Identität, Territorien und Gesellschaft sind ihre Themen. Vor zehn Jahren hatte sie ihre erste Einzelausstellung bei Eigen + Art: "Sie passt zur Galerie, weil sie an einer Sache wirklich dranbleibt", erklärt Gerd Harry Lybke. "Sie ist eine politische Künstlerin, die mehr macht, als ein Plakat zu malen." Für ihre Performance "Bad Face of Ukraine" platzierte sie sich neben ihren Werken. Mit geschlossenen Augen saß sie bewegungslos im Ausstellungsraum auf einem Stuhl. Für die Berliner Galerieräume entwickelte sie eine Konstruktion, die an einen Turm erinnert: Der von ihm ausgehende Lichtstrahl machte den mit Bleistift an die Wand geschriebenen Satz "After we saw the lighthouse, the majority of us decided to swim ashore." sichtbar. Der Turm, ein verheißungsvoller Leuchtturm in der Ferne? Oder ein Grenzturm, der alle Hoffnungen zerstört?

Perspektivverschiebungen wahrnehmen, darum geht es Lada Nakonechka. Auf einer gezeichneten Karte der Ukraine erkennt man je nach Vorwissen, dass Gebiete fehlen. Oft sind es die Betrachterinnen und Betrachter, die ein Werk aktivieren: 2016 vernahm man das Vibrieren eines Handys aus einer Black Box. Wer versuchte, hier wen zu erreichen, blieb offen. Mit ihrer Ausstellung "Die Musik bricht ab. Die Gäste sind verlegen. Pause." bezog sie sich auf Bertolt Brechts Begriff des epischen Theaters und gestaltete den Ausstellungsraum wie eine Bühne. Kunstwerke, Objekte aus Metall, bearbeitete Fotografien, Videos und Kostüme spielten die Rolle der Requisiten in einem Stück, an dem Betrachtende unweigerlich teilnahmen.

Schon seit 2010 verbringt Lada Nakonechka in verschiedenen Ländern einen gesamten Arbeitstag damit, eine Zeichnung herzustellen. Auch hier sind Bilder aus dem Netz die Vorlage. Jede Zeichnung hat zwei Preise: Den realen Galeriepreis und einen zweiten, abhängig vom Durchschnittslohn des jeweiligen Landes, wo sie gezeichnet worden sind. Die in der Ukraine entstandene Zeichnung entspricht umgerechnet 14,40 Euro, die aus Deutschland 232 Euro.

Auch ihre 2018 auf der Kunstmesse Art Düsseldorf präsentierten "Flags“ stehen nun im Schaulager der Leipziger Galerie: Basis für die Gipsabgüsse ist jeweils ein Stein aus den Ruinen der Reading Abbey in England, einer der wichtigsten Pilgerstätten des Mittelalters und Grabstätte von Heinrich I. Wichtiger als der Ort ist die Präsentation der Steine hinter eingefärbten Scheiben von Museumsvitrinen, die auf verschiedene Nationalfarben und -flaggen verweisen, darunter Deutschland, die Ukraine und Russland. Der Stein wird zum Symbol, das Glas verleiht ihm Bedeutung als Fundament für jede beliebige Nation und jeden Staat.

Nahaufnahmen von Denkmälern hinterfragen diese Form der Erinnerungskultur, auf die die Versteinerten keinen Einfluss mehr nehmen können. Wer hat die Macht über die Geschichtsschreibung? 2012 hat Lada Nakonechna selbst am Wettbewerb für ein Einheits- und Freiheitsdenkmal in Leipzig teilgenommen. Die Unterlagen und Entwürfe dazu sind wie viele ihrer Kunstobjekte in der Ukraine geblieben. Im letzten Jahr hat sie im Nationalmuseum ausgestellt. Alle dort gezeigten Arbeiten stehen noch im Atelier in Kiew.

Was kann die Kunstszene in Deutschland tun, um in dieser Situation zu unterstützen? Es sei jetzt an der Zeit, Raum für Diskussionen zu schaffen, um mehr über die ukrainische Kultur und Geschichte zu erfahren, so Lada Nakonechna. Dahingehend gäbe es bei vielen Menschen noch eine zu große Unwissenheit. Sie habe durchaus Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern aus Russland. Seit 2014 hat sie jedoch konsequent jede Ausstellungsteilnahme und Zusammenarbeit abgelehnt. Auch die Einladung zum Großprojekt "Diversity United", Teil des Deutschlandjahres in Russland, hatte sie ausgeschlagen.

Schnellstmöglich zurück in die Ukraine

Seit vielen Jahren ist Lada Nakonechna Teil des Künstlerkollektivs Revolutionary Experimental Space (R.E.P.), das sich zuletzt mit der Neuinterpretation von sozialistischem Realismus in Nationalmuseen befasste. Geplant war, dass sie anlässlich des 60. Jubiläums der Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Kiew im Leipziger Museum der bildenden Künste ein Rechercheprojekt mit dem Titel "Collection Surfaces" durchführt. Ihre Ergebnisse wollte sie während eines Besuchs der Leipziger Delegation in einer Lecture-Performance in Kiew präsentieren. Die vor Kriegsausbruch vereinbarte Förderung der Stadt Leipzig beinhaltet Reisekosten, eine Wohnung vor Ort und eine kleine Vergütung, die ihr nun erst einmal hilft.

Sie hofft danach wie geplant für ihre Doktorarbeit über die Ausbildung an Kunstakademien ins polnische Łódź weiterreisen zu können. Mit Anna Lazar, Kuratorin am dortigen Museum Sztuki, unterstützt sie Menschen, die in der Ukraine geblieben sind. Derzeit bereiten sie mit 18 Künstlerinnen und Künstler eine Plakataktion für den Alexanderplatz vor, finanziert vom Adam Mickiewicz Institute. Konstant steht sie in Verbindung mit der Ukraine, telefoniert und schreibt. Ihre Mutter ist inzwischen auch in Deutschland. Für Lada Nakonechka ist klar: "Ich möchte auf jeden Fall schnellstmöglich zurück in die Ukraine."