Nicht den richtigen Zug genommen? Über dem Eingangsportal der Kleinen Schalterhalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs leuchtet das Wort "Brasilien". Hinter der verwirrenden Ortsbezeichnung steckt aber nicht etwa ein verwirrter Bahnhofsmanager, es ist auch kein Planungsfehler im Rahmen des Bauprojekts "Stuttgart 21", sondern eine Kunstaktion des Kollektivs Soup.
Den Codenamen "Brasilien" trug im Zweiten Weltkrieg eine militärische Scheinanlage der Stadt Stuttgart in der Nähe von Lauffen am Neckar, mit der den britischen Bombern ein Nachtbild von Stuttgart vorgetäuscht werden sollte. Auf einem großen Feld war damals der Hauptbahnhof in groben Zügen mit Holzattrappen und Backsteinmauern nachgestellt worden, um die Alliierten zu irritieren. Strohmatten imitierten Straßenzüge. Lichter und das Aufblitzen elektrischer Leitungen erweckten den Eindruck von Weichen und fahrenden Straßenbahnen.
Das Täuschungsmanöver gelang zunächst, denn die Piloten mussten sich bei ihren nächtlichen Angriffen und aus großer Höhe orientieren. Auf dem Anflug nach Stuttgart kamen sie zunächst in direkter Luftlinie in Lauffen vorbei. So half die Stadt zwar, Stuttgart vor schweren Angriffen zu schützen, wurde aber auch selbst getroffen, bis die Briten ab 1942 über eine Radarsteuerung verfügten. 1943 wurde die Scheinanlage "Brasilien" abgebaut.
"Der Schriftzug Brasilien auf dem Dach des Stuttgarter Hauptbahnhofs beleuchtet die Ambivalenz zwischen Täuschung, utopischen Versprechen und gegenwärtigen wie zukünftigen Wirklichkeiten", erklärt Soup (Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene) ihr Projekt. Die Gruppe zieht auch eine Verbindung zur brasilianischen Hauptstadt Brasilia, einer Modellstadt vom Reißbrett. Das Kunstprojekt ist Teil des Festivals "Current - Kunst und urbaner Raum" (9. – 19. September). Soup hat sich bereits wiederholt mit dem Thema Scheinanlage auseinandergesetzt.