Eine Ausstellungsbesprechung mit dem Outfit des Künstlers zu beginnen, ist eigentlich ziemlich schlechter Stil. Doch wenn der nicht gerade selbstdarstellungsscheue Damien Hirst mit kirschblütenrosa Anzug und himmelblauem Haar zur Eröffnung seiner Einzelschau mit Kirschblütenbildern kommt, muss man das wohl als Teil der Inszenierung begreifen. Der 55-Jährige hat pastelliges Camouflage aufgelegt, als wolle er sagen, dass hier zwischen babyblaurosa Künstler und babyblaurosa Werken überhaupt nichts zu trennen ist. Der Autor ist nicht tot und die Malerei schon gar nicht, und irgendwo zwischen dem Pathos der bunt getupften Kirschblütenzweigen muss ein zartes Pflänzchen der Ironie austreiben. Puh. Ganz schön viel der interpretarorischen Steilvorlage. Aber der Reihe nach.
Damien Hirst, einst als schillerndster der "Young British Artists" mit eingelegten Tierkadavern und einem diamantbesetzten Luxusschädel berühmt geworden, ist unter die Maler gegangen. Das heißt, Gemälde aus der Hirstschen Werkstatt gab es schon vorher, doch die "Spot Paintings" aus streng gerasterten bunten Punkten oder die durch Fliehkraft gestalteten "Spin Paintings" sollten antiseptisch und übermenschlich aussehen. Kein sichtbarer Pinselstrich, keine individuelle Handschrift, Bilder wie von Maschinen gemalt. In der Fondation Cartier in Paris stellt der Künstler nun seine neueste Serie "Cherry Blossoms" aus, die genau das Gegenteil von robotisch ist.
Vor einem einfarbigen hellblauen Himmel türmen sich die Farbpunkte auf braunen Ästen. Ins zarte Rosa und Weiß schleichen sich Akzente in leuchtendem Grün, Orange und Dunkelblau. Wirken die blühenden Kirschbäume von Weitem filigran verästelt, fast süßigkeitenhaft, werden sie bei näherer Betrachtung zu völlig abstrakten, fast brutal massiven Farbreliefs, auf denen jeder Pinseltupfer seine Furchen hinterlassen hat. Die Blüten sind nicht fragil, sondern gepanzert. Hellrosa Farbschlieren auf dem blauen Himmel zeugen von gelegentlichen Action-Painting-Sessions mit expressivem Auf-Die-Leinwand-Spritzen.
Im Zweifelsfall will er ja nur spielen
Als würde man ihm nicht glauben, dass er so etwas tatsächlich selbst gemalt hat (sein Kollege David Hockney hat Hirsts Gebrauch von Assistenten mal als "Beleidigung für jeden Handwerker" bezeichnet), zeigen mehrere Videos den Künstler allein in seinem geräumigen Studio in farbverschmierten Hosen und mit ein bisschen Rosa im Bart. Rastlos schreitet er die Leinwände ab, drückt mal hier und mal da den triefenden Pinsel aufs Bild. Nach seiner eher verunglückten Mega-Materialschlacht "Treasures from the Wreck of the Unbelievable" von 2017, einer Serie von protzsüchtigen muschelverkrusteten Fantasy-Skulpturen aus einem fiktiven Schiffswrack, besinnt sich Hirst nun auf die Archetypen der westeuropäischen Malerei.
So zitiert er nicht nur Stilrichtungen wie den pflanzenaffinen Impressionismus und den Pointillismus (aber auf Speed), sondern reiht sich auch in die Tradition des Japonismus ein, wie man in der Kunstgeschichte die Aneignung von typisch japanischen Motiven wie der Kirschblüte bezeichnet. Dann noch ein bisschen Jackson-Pollock in die blühenden Landschaften getropft, und fertig ist die süße Malerei-Melange, die sich einerseits romantisch gibt, gleichzeitig aber durch das Trickster-Image von Damien Hirst einen ironischen Unterton bekommt. Letzterer macht das solitäre Atelier-Projekt ziemlich unangreifbar. Im Zweifelsfall will er ja nur spielen.
Die Doppelbödigkeit und die vielen Rollenspiele in Hirsts über 30-jähriger Karriere retten die "Cherry Blossoms" vor der reinen Seichtheit, weil sie sich immer noch im Kontext seiner radikalen Ausreizung des Vanitas-Themas lesen lassen. Wer Fliegen per Elektroschock getötet, echte Schmetterlinge auf Bilder geklebt und Kälber zerteilt hat, kann im Genre Stilleben kaum noch weiter provozieren. Vielleicht ist die ostentative Harmlosigkeit der Kirschblüten, die Betonung von Liebe, Schönheit und Vergänglichkeit, die logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis. Und damit die letzte verbliebene Ungeheuerlichkeit. Damien Hirst beschwört hier ein Bild des einsamen Malergenies, von dem er genau weiß, dass es nicht mehr existiert, vielleicht nie existiert hat. Der Künstler beherrscht die Klaviatur des Kunstmarkts virtuos wie wenige andere. Er dürfte also wissen, dass seine Bäumchen in Öl nicht nur Selbstfindung, sondern auch Market Candy sind. Sämtliche 107 Werke der "Cherry Blossoms"-Serie sollen bereits verkauft sein.
Kunst ist nun im Wortsinn eine Währung
Gleichzeitig hat Hirst gerade ein bombastisches NFT-Projekt realisiert, bei dem er einzigartige digitale Versionen von 10.000 Papierarbeiten verkauft. Die Rolle des Studiomalers kann er also offenbar jederzeit wieder abstreifen und zum Geschäftsmann werden, der auf den eher wenig romantischen Krypto-Hype in der Kunst aufzuspringen weiß. Jede der Arbeiten kostet 2000 Dollar, die physischen Arbeiten befinden sich in einem Safe, die virtuellen in der Blockchain. Nach einer gewissen Zeit können sich Käuferinnen und Käufer entscheiden, welche Version (Papier oder Daten) sie behalten wollen und welche zerstört wird. Das Projekt heißt praktischerweise "Currency". Kunst ist hier ganz wörtlich genommen nur noch eine von verschiedenen Währungen.
Das kann man jetzt natürlich so verstehen, dass physische und virtuelle Kunst inzwischen ganz selbstverständlich nebeneinander existieren, sogar im Werk eines einzelnen Künstlers. Aber es offenbart auch eine gewisse Leidenschaftslosigkeit bei der Wahl der Ausdrucksmittel, wenn alles gleichermaßen geht und gewürdigt und verkauft werden soll. Und ob Hirst das nun will oder nicht, dieses Gefühl von Austauschbarkeit legt sich auch über seine handwerklichen Farbexzesse in Paris.
Vielleicht haben die Kirschblüten am meisten mit Hirsts verspiegelten Pillenschränkchen zu tun, in denen er den visuellen Minimalismus und das Verführungspotenzial von Pharma-Erzeugnissen zelebrierte. Aus einer Ansammlung von Farben und Formen wird eine direkte Verbindung zu menschlichem Empfinden gezogen, das durch verschiedene Substanzen im Körper beeinflusst wird und das sich gezielt steuern und manipulieren lässt. Pillen seien für ihn auch eine Art von Schönheit, hat Damien Hirst mal gesagt. Vielleicht sind auch die Kirchblüten in ihrer Opulenz als gemaltes Psychopharmakon zu verstehen: ein bisschen Beruhigungsmittel, ein bisschen Stimmungsaufheller, ein bisschen Opium fürs Kunstvolk.
Über die Ausstellung "Cherry Blossoms" von Damien Hirst in Paris spricht Monopol-Redakteurin Saskia Trebing auch im Radio bei Detektor FM.