Ein Quodlibet in der Musik ist ein nicht ganz ernst gemeintes Medley. In der bildenden Kunst sind es hyperrealistisch gemalte oder gezeichnete, scheinbar auf einer Fläche angeordnete Gegenstände wie handschriftliche Notizen, Schreibwerkzeug, Bilder, Federn. "Wie es euch gefällt" wäre die Übersetzung des Genrebegriffs. Und wie häufig bei der Simulation gelungener Beliebigkeit ist daran nichts dem Zufall überlassen: ohne präzise Technik keine Illusion, ohne gut gewählte Korrespondenzen zwischen den Gegenständen keine Geschichte.
Die herausragende Malweise von Lucy McKenzie ist zugleich das Wichtigste und das Unwichtigste in ihrer Arbeit. Im Alter von 30 Jahren schrieb sie sich am Institut für dekorative Malerei Van Der Kelen Logelain in Brüssel für einen Intensivkurs ein und arbeitete an ihrer Trompe-l’œil-Technik zur illusionistischen Darstellung von Holz oder Marmor. Ihre großen Leinwände in den hohen Räumen des Museums Brandhorst erzeugen tatsächlich den Eindruck von hinter den Bildern liegenden Jugendstil-Räumen oder viktorianischen Architekturen.
Es gehört viel Coolness dazu, die dekorativen Täuschungsmanöver derart akribisch durchzuziehen. Ihre Könnerschaft und auch ihr Fleiß könnten alles ersticken. Aber sie bilden im Gegenteil die Kulisse für eine große Leichtigkeit. Auf diesen perfekt imitierten Oberflächen aus vermeintlichem Teakholz, Marmor, pittoreskem Himmel blau tanzen Witz, Gegenwartswissen, Popbegeisterung, Subversion.
Krimi ist hier nur Methode
In einem engen formalen Rahmen wie den konservativen Quodlibets entdeckt sie große Freiheiten und fertigt sehr direkte Porträts von bestimmten Menschen an, ausgedrückt durch die ausgewählten Gegenstände, oftmals Partyflyer oder Buchcover. Zugleich wächst ihr Interesse für übersehene oder heute nicht mehr hoch angesehene Fin-de-Siècle-Architekturen. Sie kauft ein Haus in Belgien, dessen Bauherr und Architekt überzeugte Faschisten waren. Ein späteres Quodlibet sieht aus wie das Moodboard eines Inneneinrichters, der seine Ideen auf einer Pinnwand organisiert. Es soll, so die Künstlerin, die Ideensammlung für das Badezimmer eines Faschisten sein.
Dinge wie diese geben Aufschluss über die detektivischen Methoden der Lucy McKenzie, die sich wie eine Kriminalpsychologin in die Situationen und Gedankengänge anderer hineinwirft und sie im Machen durchdringt. Darauf bezieht sich der Ausstellungstitel "Prime Suspect" (Hauptverdächtiger) schon ziemlich selbstironisch, noch mehr allerdings die Darstellung der legendären Detektivin Miss Marple in einem Video durch die Künstlerin selbst.
Richard Kern hat den Film gedreht, in dessen cooler New Yorker Softporno-Fotografie McKenzie in früheren Jahren bereits auftauchte. Jetzt ist sie die schrullige Hobby-Ermittlerin im Seniorenkostüm, das sie aber gegen Ende des zehnminütigen Films auszieht. Zu kombinieren gibt es da höchstens die eigenen Tabus. Peinlicher als strippende Großmütter sind nur noch Regelblutungsflecken, und prompt stammt das Blut auf dem Boden einer Luxusboutique nicht von einem Mord, sondern aus einer Menstruationstasse. Der Krimi ist hier nur Methode, die Auflösung des Whodunit? ist von vornherein bekannt: Es war eine faszinierend schlaue und talentierte Künstlerin, die seit 20 Jahren voll auf der Höhe ihrer Zeit ist.