Plakate im öffentlichen Raum, mit denen vermisste Personen gesucht werden, kann man als Erschütterungen im Alltag beschreiben. Plötzlich wird man mit einem Schicksal konfrontiert, kann sich die Verzweiflung von Freunden und Angehörigen vorstellen und sich selbst fragen, ob man irgendetwas zu den erbetenen "Hinweisen aus der Bevölkerung" beitragen könnte.
Dass solche Plakate in einem anderen Kontext auch eine politische Botschaft sein und an kollektive Verantwortung appellieren können, zeigt sich gerade in der Dresdner Innenstadt. Dort hat der in Nigeria geborene Künstler Emeka Ogboh eine Serie von Postern aufgehängt, auf denen die Benin-Bronzen zu sehen sind, die sich in der Sammlung des Museums für Völkerkunde Dresden befinden. "Vermisst in Benin", heißt das Projekt, das noch am heutigen Montag im öffentlichen Raum zu sehen ist. Die Botschaft ist unmissverständlich: Was zu den kulturellen Schätzen Dresdens gezählt wird, fehlt im Herkunftsland der Werke, dem heutigen Nigeria.
Die Exponate, die zwischen 1899 und 1904 ins Museum der sächsischen Landeshauptstadt kamen, verlassen mit den Plakaten die Institution und werden auch für Menschen sichtbar, die eher nicht zum Kunstpublikum gehören (und entfliehen so auch dem anhaltenden Coona-Lockdown). Außerdem wird die Debatte um koloniale Raubkunst und Restitution buchstäblich auf die Straße getragen.
"Ein Gefühl der Notwendigkeit"
"Ich schuf die Intervention aus einem Gefühl der Ungeduld und Notwendigkeit heraus", sagt Emeka Ogboh über sein Projekt, das in Kooperation mit dem Museum für Völkerkunde entstanden sind. "Mein Ziel war es, die stagnierenden und abstrakten Diskussionen über Wiedergutmachungen in Verbindung mit der kolonialen Vergangenheit mit der Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit einer öffentlichen Ankündigung darzustellen. Indem ich Poster in die Straßen von Dresden bringe, auf denen 'Missing Benin Bronzes' steht, hoffe ich das zu entmystifizieren, was zu einem elitären, auf den Museums- und Kunstsektor begrenzten Dialog geworden ist."
Bei den Benin-Bronzen handelt es sich um Skulpturen aus dem historischen Königreich Benin im heutigen Nigeria, die zu den Sammlungen vieler westlicher Museen gehören und auch in Deutschland im Zentrum der Debatte um koloniale Raubkunst stehen. Die Werke sind nach Angaben der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden von britischen Kolonialtruppen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge einer sogenannten “Strafexpedition” in Benin City geplündert und nach Großbritannien gebracht worden. In den Jahren darauf seien sie von dort aus auch ins Museum für Völkerkunde Dresden gelangt. Seit Jahren erforscht dieses die Provenienz seiner Objekte, Rückgaben an Vertreter der Herkunftsgesellschaft hat es jedoch bisher nicht gegeben.
"Ein neuer Weg nach vorn"
"Die Arbeit ist eine grundlegende Annäherung an ein Gespräch, das einfach schon zu lange andauert und das fest ins öffentliche Bewusstsein gehört", sagt Emeka Ogboh, der unter anderem auf der Documenta 14 und bei den Skulpturprojekten Münster 2017 ausgestellt hat. "Diese Intervention weist in vielerlei Hinsicht auf die Absurdität der Tatsache hin, dass diese Kunstwerke noch immer im Museum sind, während sowohl ihr Ursprung als auch ihr gegenwärtiger Standort öffentlich bekannt sind. Durch die Mitarbeit an diesem Projekt eröffnet das Museum für Völkerkunde Dresden den Dialog für einen neuen Weg nach vorn, einen Weg, der die klaren und zu belastenden Fakten nicht verbirgt oder davor zurückscheut."
Auch durch die digitale Eröffnung des Berliner Humboldt Forums hat das Thema Benin-Bronzen in den vergangenen Wochen an Dringlichkeit gewonnen. Mitte Dezember machte der nigerianische Botschafter in Deutschland eine Rückgabeforderung seines Landes für die Werke öffentlich, die im wiederaufgebauten Stadtschloss ausgestellt werden sollen. "Benin ist ein wichtiges Thema", sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vor einigen Tagen. Die Chancen stehen also nicht allzu schlecht, dass die Debatte diesmal nicht wieder versiegt - auch wenn Emeka Ogbohs Plakate in Dresden abgehängt werden.