Wie beinahe alle Institutionen befinden sich auch Museen in einer systemeigenen Krise, die sich durch die Auswirkungen der globalen Corona-Pandemie verschärft. Der Weltverband der Museen (ICOM) beißt sich die Zähne an der eigenen Definitionsfrage aus, Ausstellungen werden aufgrund ihrer inhaltlichen Brisanz verschoben und die jüngsten Abstands- und Hygienekonzepte verändern grundsätzlich die Veranstaltungs- und Präsentationskultur der staatlich geförderten Ausstellungshäuser.
Mit einem virtuellen Schritt geht nun das Zeppelin Museum in Friedrichshafen einem möglichen Lösungsansatz entgegen und will damit wichtige Impulse für eine Frage geben, die mehrere Diskurse zusammenfasst: Wie wollen wir unsere Museen in Zukunft als Debattenorte gestalten?
Ausgangspunkt des Projektes war die Ausstellung "Beyond States. Über die Grenzen von Staatlichkeit", die im Mai 2020 in dem interdisziplinären Museum am Bodensee eröffnet werden sollte. Dann entschlossen sich die Organisatorinnen und Organisatoren jedoch, den pandemiebedingten Aufschub zum Anlass zu nehmen, die Schau um einen diskursiven Prozess zu erweitern. Damit erfährt nicht nur die Thematik des Programms, an dem Kunstschaffende wie James Bridle, Henrike Naumann und das Peng! Kollektiv mitwirken, einen inhaltlichen Zusatz. Auch die gesamte Diskussion um eine zeitgemäße Rolle, die Museen als Orte gesellschaftlichen Austauschs einnehmen, bekommt mit dem dreiteiligen Projekt neue Argumente.
Bevor die Ausstellung zum neuen Termin im Januar 2021 eröffnet, stellt das Zeppelin Museum im ehemaligen Hafenbahnhof Baden-Württembergs mit dem "Debatorial" eine interaktive Plattform zur Verfügung, die über verschiedene Formate den Austausch zu fünf Themenbereichen ermöglichen soll. Zu den Formaten zählen nebst Künstlerinnen- und Kuratoren-Talks ein Podcast, Chats, Quiz, Zoom-Meetings, Umfragen und animierte Karten, die alle darauf abzielen, Partizipation und Transparenz zu fördern. Die gesammelten Beiträge sollen in die Ausstellung 2021 einfließen und in einem Epilog resümiert werden.
Wird die Hemmschwelle gegenüber Kunst wirklich gesenkt?
Mit dem geplanten Ansatz könnte ein neuer Meilenstein gesetzt werden für das Selbstverständnis der Kulturinstitutionen im Kontext der Evolution, wie man museale Tätigkeit coram publico austrägt. Nachdem ab 1648 die Pariser Öffentlichkeit erstmals die von der Regierung geförderten Ausstellungen der Académie française beäugte und bewertete, wurde dort der Grundstein für das erste staatliche Museum gelegt: den Louvre. Auch mit der "Armory Show" im New York des Jahres 1913 erfuhr die Auseinandersetzung mit Kunst einen entscheidenden Paradigmenwechsel, als das Konzept der Kuration in Kombination mit dem Durchbruch der Moderne in den USA eine Welle der öffentlichen Empörung auslöste.
Obschon letzteres Beispiel nicht getrennt von den zugrundeliegenden ökonomischen Interessen zu sehen ist, beweist es beispielhaft, mit welcher Wucht die Tradition der Selbstbefragung von Kulturinstitutionen und -schaffenden in der Öffentlichkeit einschlagen kann. Vorausgesetzt genügend Menschen interessieren sich dafür. Das "Debatorial" befasst sich im Rahmen des Zeppelin-Pilotprojektes primär mit den ausstellungsnahen Themenbereichen, bietet jedoch das Potenzial, den aktuellen Debatten musealer Tätigkeit einen Weg der öffentlichen Auseinandersetzung zu bereiten.
Diskurse rund um Urheberrecht, Digitalisierung, Restitution, kulturelles Erbe oder soziale Teilhabe könnten zukünftig auf Plattformen dieser Art ausgetragen werden, solange eine breite Öffentlichkeit sich der bereitgestellten Möglichkeiten bedient. Ob die Hemmschwelle zum Austausch über die Grenzen der Kulturblase hinaus damit tatsächlich gesenkt werden kann, wird der angekündigte Epilog nach der Ausstellung in Friedrichshafen bewerten können. Ohne Partizipierende bliebe der Anspruch an Partizipation nämlich herzlich witzlos.