Wisst ihr noch, vor Corona? Da galt es ganz anderes zu bekämpfen, etwa den Klimawandel. Die Bewegung "Fridays for Future" demonstrierte zu Tausenden auf den Straßen, heute ginge das nur noch zu zweit. Anerkennung bekommen die Demonstranten jetzt dank eines neuen Buches über die Klima-Initiative und das Kommunikationsmittel der Wahl, die Plakate. Unübersehbare, anklagende Konfrontation auf einem Schild aus Pappe. "End coal now!". "There Is No Planet B!"
Die Fotografin Andrea Baumgartl nimmt seit Frühjahr 2019 an den "Fridays for Future"-Demonstrationen teil. Sie hat die einfallsreich-alarmierenden Forderungen und Statements fotografiert und aus ihnen den Band "Wir sind hier, wir sind laut: Fridays for Future" zusammengestellt. 180 Abbildungen wechseln sich ab mit Textbeiträgen von unter anderem "Scientists for Future" und Greta Thunberg, der jungen Gründerin der Bewegung.
Online Masse schaffen
Greta streikt jetzt auf Instagram, statt auf der Straße. Unter dem Hashtag #climatestrikeonline versammeln "Fridays for Future" ihre Mitglieder auf den Social-Media-Kanälen für die 82. Woche Klimastreik, die erwähnten Plakate werden gepostet, nicht auf die Straße getragen. Digitalstreik. Seit dem 27. März gibt es freitags statt Massenprotest ein Webinar, unter #TalksforFuture sprechen Wissenschaftler, Journalisten und Aktivisten zu den Demonstranten in Isolation. Außerdem launchte "FFF" am Freitag seinen YouTube Kanal. "Diesen Monat können wir es nicht auf die Straße bringen, deswegen bringen wir es online!", steht dabei.
Online-Demonstration klingt irgendwie unbefriedigend, wenn mit dem Begriff ein massenhaftes Blockieren von Straßen und Plätzen assoziiert wird. Doch durch die nötige Corona-Quarantäne wird die öffentlich sichtbare, politische Meinungsäußerung erschwert, kritische Masse auf der Straße geht nicht mehr. Es ist schwierig, sein Hirn nicht ganz dem Virus zu widmen und darüber hinaus zu sehen, wer und was nicht vergessen werden darf, und andere daran zu erinnern. Widerstand zeigen in der Krise, reicht das mit Bannern und Petitionen? Die "Seebrücke" ruft dazu auf, am 5. April einzeln und nacheinander mit farbgetränkten Schuhen die gleichen, öffentlichen Plätze zu kreuzen, um Spuren zu hinterlassen. So überlegen sich neben der Online-Variante soziale Organisationen wirksamen Ersatz.
Demonstration auf Distanz
Eine Formation von Menschen mit anderthalb Metern Abstand zu jeder Seite zwischen einander, in weißen Atemmasken und Latexhandschuhen. So zogen am Wochenende beharrliche Protestler für sofortige Evakuierung der Lager an den EU-Außengrenzen durch Berlin-Kreuzberg. Sie wurden mit Platzverweisen bestraft, teilweise verhaftet. #LeaveNoOneBehind, ist ihr Hashtag und auch der, der in der ganzen Solidarität zu Coronazeiten erinnert, dass die am besten nirgends stoppt, so, wie das Virus auch nicht.
Einheit durch die Schulter an der Schulter, ein dynamischer Pulk, an die Hände nehmen oder in die Arme. Äußerlich bündelt eine klassische Demo gerade alles das, was es zu vermeiden gilt. Innerlich aber das, was auch jetzt hilft. Sich nicht kennen, aber zusammen gehören, sich für das Gleiche einsetzen und damit füreinander. Diese Verbundenheit gilt es nicht zu verlieren, auch ohne Massenveranstaltung, die eine Bewegung sichtbar macht. Sondern zu erweitern, auf andere Plattformen zu bringen, neue Ansätze zu finden, die in Zukunft greifen. Denn keiner weiß, was nach Covid-19 kommt.
Eine Bewegung für alle
"Socialmovement in der Quarantäne" hieß ein Online-Plenum des linken Leftstyle Magazins "Supernova" am 28. März, in dem Vertreterinnen unterschiedlicher sozialer Bewegungen diskutierten, wie es jetzt weiter gehen kann für die, die sonst die Straße als Protestplatz besetzen. Sich online organisieren und vernetzen, noch viel mehr. Kontakte knüpfen, die sonst nicht zustande kämen. Die Hashtags nutzen, das sei jetzt entscheidend. Sie fragen sich, wie man im Internet stört, Druck aufbaut, körperloses, ziviles Ungehorsam erreicht. Das müsse noch gebrainstormt werden und ausprobiert, mit mehr Zeit. Worin sich alle einig sind, ist, dass durch den Bezugspunkt "Corona" sämtliche sozialen Fragen verschärft würden und nun endlich genügend Aufmerksamkeit erfahren könnten. Und dabei sollten die Organisationen nicht hierachisiert, sondern Parallelen entdeckt und gemeinsam Forderungen gestellt werden. Nicht nur kritisieren, sondern Alternativen formulieren, dazu sei nun die Gelegenheit, als eine große Bewegung.
Vielleicht kann ja die Corona-Krise eine beispielhafte sein. Eine, die mehr Menschen sensibilisiert, weil sie selber betroffen sind oder von Missständen erfahren, die nicht mehr auszublenden sind. Die zeigt, wie mit einer Notsituation umgegangen werden kann, wenn sie alle betrifft. Denn gerade kann keiner ausweichen, es herrscht ein kollektives Innehalten mit Blick gen Ungewissheit. Digital aber wird darauf hingearbeitet, im Danach auch Krisen zu lösen, die nicht alle aushalten müssen, die aber nicht weniger wichtig sind. Irgendwann wohl wieder mit einem Plakate-Meer.