Nicht nur die Formen fliegen. Auch die Leinwände schweben manchmal vor der Wand, als könnten sie sich nicht ganz dazu durchringen, ein Tafelbild zu sein. Alles ist in Anführungszeichen gesetzt. Florian Meisenbergs Werken merkt man noch einen Rest der Schwierigkeit an, ernsthaft zu sagen: "Ich male."
Später wollte das zwar niemand mehr hören oder zugeben, aber die Malerei war ja vor einem Vierteljahrhundert wirklich fast gestorben an Irrelevanz und Langeweile. Auf der epochemachenden Documenta X von Catherine David 1997 spielten Gemälde überhaupt keine Rolle, und als fünf Jahre später Luc Tuymans’ Obst-Stillleben in Okwui Enwezors Documenta 11 auftauchte, maß die Leinwand zwar verrückte fünf Meter, das Motiv selbst aber schien sich in nebulösen Pastelltönen nicht nach vorne zu trauen. Die einzige intellektuelle Legitimation der Malerei war ihre kritische Selbstbefragung.
Anfang der Nullerjahre stabilisierte sich der Zustand des Patienten, aber ein Rest Skepsis blieb: Geht es der Malerei nur wegen der vielen Millionen Euro so gut, die in sie hineingepumpt werden? Sind es heimlich operierende restaurative Kräfte, die ihr lebenserhaltende Maßnahmen bis zur Zombifizierung ermöglichen, um der diskursgesteuerten Biennale-Kunst nicht das Feld zu überlassen? Ist sie nur dem Tod ein letztes Mal von der Schippe gesprungen, um gegen die Kälte der glatten Touchscreens aufzubegehren?
Sie ist wieder da
Doch die letzte Venedig-Biennale erzählt es ganz anders: Es gibt da dieses aufregende Medium, in dem die Wirklichkeit katalysiert wird, das nie gesehene Welten zu generieren vermag. In dem aktuelle Fragen wie Migration, Geschlecht, Rassismus, Natur auf dem neuesten Stand verhandelt werden. Und dieses Medium heißt Malerei.
Dass immer gemalt wurde, ist genauso eine Binse wie der Spruch vom Tod der Malerei. Wie also ist der Stand in den Ateliers der Malerinnen und Maler von heute? Wer heute um die 40 ist und Malerin oder Maler, muss wild entschlossen und skrupulös zugleich sein ‒ wie Florian Meisenberg.
Die Ausstellung "Jetzt! Junge Malerei in Deutschland" will diesen Status quo festhalten. Sie fand gleichzeitig in Bonn, Chemnitz und Wiesbaden statt. Jetzt sind die Werke unter dem Dach der Deichtorhallen in Hamburg zu sehen.
Warum aber die nationale Begrenzung, wozu "Deutschland" im Titel? "Wir brauchten einen Beschreibungsrahmen", sagt Stephan Berg, Direktor des Kunstmuseums Bonn, der schon 2007 das Ausstellungskonzept der Reihe "Made in Germany" für Hannover mit entwickelte. Es geht nicht um Herkunft, aber um Produktion. Und der produktive Nukleus sind die Akademien in Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig und Hamburg.
Auch die Grenzen des Mediums sind äußerst eng gesteckt: keine installative Erweiterung, nichts Bildhauerisches, bitte. Es geht strikt um das Tafelbild, als habe man sich an uralte Wettbewerbsregeln zu halten. Inhaltlich greift es dafür expansiv in alle Richtungen aus: von Lydia Balkes figurativen surreal-düsteren Szenarien oder dem Hyperrealismus von Mona Ardeleanu über poppig-abstrakte Kompositionen von Anna Nero bis hin zu meditativen Farbverläufen von Benedikt Leonhardt, die fast an konzeptuelle Fotografie erinnern. Innerhalb des flachen Vierecks geht alles. So sieht es zunächst aus, als solle die Ausstellung eine Generation definieren, die kaum künstlerische Gemeinsamkeiten hat außer Pinsel und Leinwand, und einen irgendwie geteilten territorialen Hintergrund.
Traditionen, die es zu überwinden gilt
Doch auch der ist natürlich durchdrungen von einem Erbe, dem sich alle jungen Maler stellen. "Es gibt eine Tradition, die durchschlägt", sagt Alexander Klar, der als Direktor im Kunstmuseum Wiesbaden die Schau mit verantwortete (seit August 2019 leitet er die Hamburger Kunsthalle). "Die Frage war, wie man diese Tradition gleichzeitig überwindet und fruchtbar macht."
Israel Aten, geboren 1986 in Detroit, kam wegen dieser Tradition vor sieben Jahren an die Akademie nach Düsseldorf. Fragt man ihn, bei wem er studiert habe, antwortet er: "Bei sehr vielen verschiedenen Professoren." Sein Studium fiel in die Zeit eines Direktorenwechsels und dessen Folgen, doch Aten vermeidet so auch geschickt eine Festlegung auf Labels wie "Schüler von". Gegen die Festlegung auf Deutschland für diese Schau hat er nichts. Er findet die explizite Kennzeichnung höchstens vielleicht ein bisschen, nun ja, deutsch. Seine Malerei, die Darstellungen von robotischen super humans, seine rätselhaften Glyphen wirken wie Ausgrabungsfunde, Nachrichten aus einer Welt jenseits der Zivilisation und ihrer Grenzen, postapokalyptisch und utopisch zugleich.
Wen man auch immer anschaut, die Einflüsse der Akademien auf die jungen Malerinnen und Maler sind als Inkubatoren im Hintergrund spürbar. Auch wenn dort längst keine Stile mehr gelehrt werden, sondern Herangehensweisen. Ohne diesen shift hätte die Malerei sich nicht erneuern können.
Als Jagoda Bednarsky an die Städelschule in Frankfurt kam, war die Malereiklasse noch ein magisches, barockes Refugium. Doch Professoren wie Michael Krebber und Monika Baer, bei der sie weiterstudierte, gaben konzeptuellen Input, neue Fragen für die nächste Reflexionsebene, die man braucht, wenn man, wie Bednarsky, überhaupt nur Malerin sein kann.
Zwischen gestisch und gegenständlich
"Auffällig ist, die Künstlerinnen und Künstler schwanken fast alle zwischen gestisch und gegenständlich", sagt Anja Richter von der Kunstsammlung Chemnitz. "Natürlich gibt es ein vorhandenes Spektrum, auf das zurückgegriffen wird. Aber in der Neukombination entzieht sich das, was bekannt zu sein scheint, wieder."
Als Nicolaus Schafhausen mit der Ausstellung "deutschemalerei2003" im Frankfurter Kunstverein eine neue Markierung in der Zeitleiste des Mediums setzte, ging es auch darum, einen Kontrapunkt zur Neuen Leipziger Schule zu setzen: Deutsche Malerei war mehr als historisierende, grüblerisch-verträumte Befindlichkeiten, die sich international extrem gut verkaufen ließen. Katharina Grosse und Corinne Wasmuht beeindruckten da erstmals mit starken abstrakten Setzungen, die es mit der visuellen Realität von heute aufnehmen können. Es hat sich seither gezeigt, dass die Malerei an Relevanz einbüßt, wenn sie vor allem Gegenwelt zur digitalen Display-Realität sein will. Natürlich eignet sie sich als Antipode des Digitalen, mit ihrem Versprechen auf Einzigartigkeit und als Refugium von Subjektivität. Die Vorstellung vom Maler im Atelier sei "angesichts der Kolonisierung des Privaten etwa durch soziale Medien wie ein begehrenswerter Rest-Schutzraum", schreibt Isabelle Graw in ihrem 2018 erschienen Buch "Die Liebe zur Malerei". Aber die Maler von heute wissen und denken mit, dass das vermeintlich Authentische selbst ein Konstrukt ist.
Aneta Kajzer hält die Balance zwischen Machen und kritischem Reflektieren, in dem sie in beides voll reingeht. Aus zunächst abstrakten Farbflächen und -feldern arbeitet sie Andeutungen von Erzählungen und Figuren heraus, die oft grotesk und ungeschickt sind, zu ängstlich oder einfach viel zu nah. Wie das formatfüllende traurige Comicgesicht eines Stoppelbartträgers, Titel: "Old White Man". Es liegt auch an jungen Künstlerinnen wie ihr, dass der Rechtfertigungszwang, unter dem Malerei die letzten vier Jahrzehnte stand, nachlässt. Viele konzeptuelle Impulse und Inhalte kommen von Frauen, ihr lässiger, souveräner Umgang sowohl mit dem Malen selbst als auch mit den Themen der Zeit prägt die ganze Generation. "Es sind nicht mehr die wilden Maler-Boys", sagt Aneta Kajzer. Wären Frauen auf der Künstlerliste der Ausstellung in der Unterzahl gewesen, hätte sie sich beschwert. Sind sie aber nicht.
Überschreibung eines alten Blickes
Was passiert mit dem ältesten Sujet überhaupt, dem weiblichen Körper, wenn er durch den Prozessor der bestinformierten, global vernetzten jungen Frauen geht? Das kann man zum Beispiel bei Kristina Schuldts auf gute Weise seltsamen Bildern überprüfen. Sie malt glänzende Gliedmaßen in plakativen Hauttönen, malerisch sehr eigen, als wolle sie Fernand Léger und Pablo Picasso die Umformung der Frau zur Säule nicht allein überlassen. Ganz selbstverständlich haben die männlichen Maler an den weiblichen Nackten die verschiedensten Deformationen des Körpers vorgenommen. Dieser jahrtausendealte Blick ist noch irgendwo im Bewusstsein, aber er wird von einem eigenen Programm überschrieben, das mit Wissen, Witz und eigenen Erkundungen zu Werke geht.
"Das, was man früher 'Malerschwein' genannt hätte, haben wir nicht gefunden", sagt Stephan Berg nach den zweieinhalb Jahren Recherche mit mehr als 200 kursierenden Namen und über 100 Atelierbesuchen, die der Ausstellung voranging. Es gibt den genialischen Tunnelblick nicht mehr, sondern eine topinformierte Rundumsicht. Malerinnen und Maler sind reflektierte, gebildete, sensible Wesen, die sich mit ihrer Welt mindestens genauso intensiv auseinandersetzen wie mit ihrem Drang, zu malen. Es scheint, als habe also nicht das Medium Malerei zu Grabe getragen werden müssen. Sondern nur das uralte Klischee vom solitären Genie.