New York Fashion Week

Im Feenland

Auf der New York Fashion Week zeigen junge Design-Talente und alteingesessene Marken ihre neuen Kollektionen. In diesem Jahr dominieren Märchenwelten und literarische Verweise in den Entwürfen

Die New York Fashion Week ist die erste der vier wichtigsten Modewochen dieses Frühjahr, gleichzeitig ist sie die mit der größten Fluktuation. Während Chanel immer in Paris und Gucci immer in Mailand zur erwarten sind, zeigen einige New Yorker Designer wie etwa Tommy Hilfiger später oder früher ihre Kollektionen in ihrer Stadt. Gleichzeitig schwirrt die Luft von neuen, energetischen Design-Talenten und alteingesessene Marken wie Thom Browne kommen aus Paris zurück in die Heimat.

Collina Strada steht für genderlose und nachhaltige Kleidung, agiert als Plattform für Klimabewusstsein, soziale Verantwortung, Veränderung und Selbstwahrnehmung. Die Mode von Designerin Hillary Taymour ist plastisch, witzig, "kostümig", regt immer zum Nachdenken an. Ihre Herbst-Winter-2023-Kollektion trug den Titel "Please Don’t Eat My Friends" – damit gemeint waren tierische Freunde wie Schwein, Frosch, Hund, Delfin und Katze, die auf dem Laufsteg von Models mit Tiergesichts-Prothesen verkörpert wurden.


Als ein Schiaparelli-Anti-Statement konnte die animalische Show gelesen werden: Wir hängen uns Tiere nicht um den Hals, wir werden zum Tier. Um ihre Kleidungsstücke auch über mehrere Saisons hin tragbar zu machen, experimentierte Taymour mit neuen, klareren Silhouetten in Kombination mit den ihr typischen exzentrischen Mustern und Twists, die jedes Outfit mit dem Geschmack eines frischen Center Shock-Kaugummis versehen. Süß-sauer, spritzig, ungewohnt. Viel Layering, abgewandelte Sport-Styles und die Paarung von feinstem Satin und einem Collina-Strada-esken Animalprint, einem Tierhaar-Druck auf unterschiedlichste Materialien, rundeten das Bild ab. Das Herzstück der Kollektion war vermutlich das Tanktop mit Capybara-Gesicht.

In der Collina Strada-Frontrow wurde auch das meistdiskutierte Accessoire der Modewoche gesichtet: die Big Red Boots des Kunstkollektives MSCHF. Ein weiterer Footwear-Skandal der das Internet "trollenden" Initiative MSCHF Sneakers, ein Ableger des Kollektivs, die schon "Jesus Shoes", "Birkinstocks" – Ledersandalen aus einer Birkin-Bag gefertigt – und "Satan Shoes" auf den Markt gebracht hatte. Die gigantischen, runden, manga-mäßigen Gummisteifel seien "Cartoon-Stiefel für eine coole 3D-Welt", wie es in der MSCHF-Pressemitteilung hieß. “Wenn man jemanden in diesen Stiefeln tritt, machen sie BOING!“.

Nach Balenciagas und Loewes Barbie-Pumps und einer generellen Sehnsucht nach übertriebenem Schuhwerk nach der Pandemie-Pause, war es wohl nur eine Frage der Zeit. Im Internet wurden die Plateau-Boots mit den roten Stiefeln von Osamu Tezukas "Astro Boy" verglichen. "Der Big Red Boot ist die Umsetzung einer bestimmten Art von cartoonhafter Abstraktion eines Schuhs", erklärte MSCHF-Mitbegründer Daniel Greenberg. Ab dem heutigen Donnerstag soll der Stiefel auch für Normalsterbliche für 350 Dollar erwerblich sein. 

 


Eckhaus Latta, das sind Mike Eckhaus und Zoe Latta und mit ihnen und ihren, den Coolness-Faktor aufs nächste Level hebenden Shows, kommt auch immer ein unerwartetes, mit Celebrity-Freunden gespicktes Casting. So wird das meistgesehene Outfit der Herbst-Winter-Kollektion der beiden wohl ein feiner, gefleckt-gemusterter Strickpullover und eine helle Leinenhose sein. Dieser Look nämlich wurde von Jon Gries alias Greg, dem Bösewicht der zweiten "The White Lotus"-Staffel, auf dem Runway präsentiert. Strick generell war ein großes Thema der Show; ob als transparentes Kleid, Cropped-Top oder riesige pinke Zipper-Jacke, Masche folgte auf Masche. Weite, mit Lack überzogene Jeans-Hosen, kleine Westen und erstaunlich viele Cut-Outs trafen aufeinander, sowie Schwarz und Neon-Grün.

Die Letzten der 30 Looks fielen durch ihr glitschig anmutendes Material namens "Tech-Organza" auf, das wie eine elegante, braune Plastiktüte um die Körper der Models gerafft war und sie besonders mystisch entblößte.


Der Welt wurde sie in einem karierten Miu-Miu-Mantelkleid bekannt, doch auch sie selbst gehört jetzt zu den Modeschaffenden. Ella Emhoff, Stieftochter der Vizepräsidentin Kamala Harris, lud ein zur Cocktail-Party. Ella Emhoff Likes To Knit, das ist ihre Strick-Marke, deren schrullig-chicen Entwürfe sie gern selbst trägt und während der New York Fashion Week in einer Art Pop-Up-Store präsentierte. Ein kleiner Moos-Hügel in der Mitte des Raumes war mit winzigen Strick-Schleifen verziert, die man so ähnlich auf Emhoffs eigener, cremefarbener Weste wiedererkennen konnte. Wie ein feiner, gemütlicher Feenwald mit ihr als Hauptelfe darin wirkte das Setting, überall hingen kurze, wild gemusterte Mini-Faltenröcken, mit Pilzen bestickte Strickkleider, geringelte Pullover, bodenlange Streifen-Kleider und natürlich Balaklavas, ein Kopfbedeckungs-Trend, der die Modewelt nicht loslässt. Selbst die Cocktail-Spieße trugen kleine Strick-Schleifen. „"ch stricke, seit ich acht bin", schrieb Emhoff später auf ihrem Instagram-Account. Sonst hätte sie diesen Raum wohl auch nicht voll bekommen.


Der Märchen-Vibe war auch bei Rodarte zu spüren. Die Schwestern Kate und Laura Mulleavy hatten ihre Künstler-Mutter gefragt, ob sie ihnen ein paar Feen zeichnen könnte, die später zur Inspirationsquelle ihrer diesjährigen Herbst-Winter-Kollektion werden sollten. Zu "Gothic-Feen2 entwickelten sie die magischen Figuren auf dem Laufsteg, der sich zwischen einer Szenerie aus silber-glitzernden Bankett-Tischen erstreckte. Düster und zutiefst glamourös, so lässt sich die Kollektion aus 61 Looks wohl am besten beschreiben.

Die Show begann mit einer Schar an schwarzen bodenlangen Kleidern, die mit ebenfalls bodenlangen, wie Kleidersäume aufgehenden, Trichterärmeln ausgestattet waren. Bald gesellte sich schwarzer Samt und weiße Spitze dazu, dramatische Blumenkronen und Neon-Blau. Zu den avantgardistischsten Looks gehörten wohl die Kleid gewordenen Lametta-Kugeln in Silber, Gold und Schwarz. Die sich ausbreitenden Tüllröcke, Schleier, präsenten Kragen und ein wie für einen Vampir geschneidertes Cape mit aufgestelltem Revers, gepaart mit einem extra hohen Zylinder, transportierten die Zusehenden in eine dunkle Fantasie, in der sich etwa die Figur Wednesday der gleichnamigen Netflix-Serie sehr wohl gefühlt hätte. Den Abschluss machten fließende, mit den Feen-Zeichnung der Mutter bedruckte Roben, kleine Fledermaus-Flügel hier und da, Pailletten, Perlen und viele Rüschen, die Okkultes mit einer beseelten Traumwelt vermischten.

Thom Browne ist einer derjenigen, der gern ab und an in Paris seine Kollektionen zeigte. 2021 war das letzte Mal, dass seine Show in New York stattfand, und doch war er nun, als offizielles Mitglied des Council of Fashion Designers of America, dazu verdammt zurückzukehren. Gut für alle, die auch dort waren, denn seine Schau war ein fantastisches Spektakel. Auf einem fein mit Sand ausgelegten Laufsteg hatte ein abstrahiertes, weißes Flugzeug notgelandet, aus den Lautsprechern erklang der berühmte Satz: "Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar" – man befand sich in der Welt des Kleinen Prinzen. Der erste Look glich einem extrem elegant-gesteppten Raumanzug in weiß-beige, es folgte ein Model mit einer sternförmigen Frisur. Als nächstes erschienen mit Satelliten-Kopfschmuck gekrönte Modelle in langen beigen Kleidern, mit bunt gemalten Drucken verziert, die an Kinderbilder erinnerten.

Ausladende, doppelreihige Bouclé-Mäntel, im Mustermix mit den darunter gestylten Anzügen, wurden von dekonstruierten, wild zusammengesetzten Blazern und Hemden in unendlich vielen Anordnungen abgelöst. Das Brautkleid, der letzte Look, war eine Komposition aus voluminösen Puffärmeln und einem Rock aus Elfenbeinfarbenen Anzug-Jacken. Backstage sagte Browne, das Interessante sei, "dass die Geschichte besagt, dass Kinder mehr sehen als Erwachsene. Das war wirklich der Unterschied zwischen der strengen Schneiderei und der konzeptionellen Schneiderei – dass die Kinder tatsächlich interessantere Dinge sehen. Denn ich mag es, solche Dinge zu sehen."

Ein Look, der Sarah Lucas sicherlich gefallen könnte, ließ sich bei Puppets & Puppets erspähen: ein mit zwei wohl eingesetzten Spiegeleiern tragbar gemachtes Perlen-Bustier, kombiniert mit einer weiten, fließenden Hose. Ihr Stoff war beprintet mit einem Vergrößerungsdruck des Gemäldes "Die Operation" von Gaspare Traversi aus dem Jahr 1783, darauf zu sehen das Gesicht eines aus der Haut fahrenden, schreienden Mannes, der offenbar ohne Betäubung operiert wird. Zwischen goldgelben Gerichten und Horrorfilm-Material fand Designerin Carly Marks Herbst-Winter-Kollektion eine wunderbare Balance zwischen sexy und makaber, verspielt und edgy.

Rote Rosenköpfe wurden auf Brüsten platziert, um den Hals und in den Händen getragen, rote Pailletten, Samt und Schlangenleder machten bald Platz für einen flauschigen Mantel in Tigerprint und kleine Schulter-Harnische, die mit Minikleidern kombiniert wurden. In einigen Looks spielte eine Strumpfhose mit Hüftknochen-Cut-Outs die Hauptrolle, in anderen die Halbmondförmige Handtaschen, mit einem altmodischen Telefonhörer als Henkel.


Eine verlässliche New Yorker Show ist die von Proenza Schouler. Ihre Kollektion diese Saison widmete das Design-Duo aus Jack McCollough und Lazaro Hernandez den Frauen, die mit der Marke zusammengewachsen und älter geworden waren. "Dies ist unsere bisher persönlichste Kollektion", sagte McCollough. "Sie dreht sich weniger um ein Thema als vielmehr um die Frauen in unserem Leben: Was wollen sie?"

Laut Proenza Schouler also wünschen sich Frauen flauschig-fellige Kapuzenpullover, bodenlange Bustier-Lederkleider, mit einer Lederkordel in der Taille geschnürte Blazer-Hemd-Kombinationen und geschlitzte wollene Röcke, gepaart mit einem klassischen Rollkragenpullover. Sie wollen asymmetrische, luftige, an mancher Stelle transparente Kostüme, samtene Hemdkleider, schwingende und strukturierte Wollmäntel mit breiten Revers. Und riesige knautschige Ledertaschen, die sowohl über der Schulter als auch gefaltet in der Hand getragen werden können. Klassisch, aber mit einem Twist. “Es geht darum, unsere Zutaten zu verwenden und nicht alles wegzuwerfen und jede Saison von vorne anzufangen“, erklärte es Hernandez.

Luar – das ist eine Modemarke von und für unterrepräsentierte, historisch unterdrückte Menschen, gegründet von Raul Lopez. Gerade die queere Latinx-Bevölkerung in Brooklyn möchte er durch sie vertreten und erreichen. Am bekanntesten ist das junge Label vermutlich für seine "Ana Bag", die sich mit ihren kreisförmigen Riemen und der quadratischen Box-Form in die Hände von etwa Dua Lipa und Julia Fox schlich. Unter dem Titel "Calle Pero Elegante" lief Luars Herbst-Winter-Kollektion aus 58 Looks über den Laufsteg.

Die oft genderfluiden Entwürfe erinnerten teilweise an auf Couture-Ebene gehobene Büro-Looks: Steife, weiße Hemden mit Krawatte traten zusammen mit monumentalen Wickel-Röcken auf, Anzugjacken waren so groß, dass sie fast von den Schultern rutschten, doppelreihige, bodenlange Mäntel waren zu Kleidern geschneidert worden. Dann wiederum wurden Jogging-Anzüge mit Hut und Aktentasche bürotauglich gemacht, schwarze Zipper-Jacken durch Federkragen und Spitzen-Schleppe extravagant, voluminöse Ski-Jacken in Kombination mit gemusterten Strumpfhosen Party-adäquat.