Der September ist der Januar der Modewelt. Das Jahr beginnt geschmeidig mit 69 Modenschauen allein in New York City, der ersten Location des Modemonats. Nach einem Sommer im Bikini und generell in so wenig Kleidung wie möglich, konzentriert sich endlich wieder alles auf umhüllende Stoffe und die, die sie kreiert haben.
Das wohl meisterwartete Debüt der New Yorker Fashion Week war Peter Dos erste Kollektion für Helmut Lang. Der 32-Jährige sollte das Kult-Modehaus der 1990er-Jahre für eine neue Generation aufleben lassen und nahm die ersten Tage der Modewoche, gewollt oder nicht, in Beschlag. Doch auch viele weitere junge, aufstrebende Designer verschafften sich Raum für ihre Kleider und die damit verbundenen Botschaften und Visionen - die letztlich weit über die Modebubble heraus reichen.
Peter Do erklärte vor seiner Show am Freitag, er wolle Helmut Lang nicht nur um der Sache Willen wiederbeleben. "Selbst, wenn ich nicht mehr bei der Marke bin, hoffe ich, dass ich ein ausreichend starkes Fundament geschaffen habe, damit sie weiterbesteht“, sagte er der "New York Times".
Ein bedeutendes Statement in einer Welt, in der Kollektionen für einen völlig aus dem Takt geratenen Kalender kreiert werden. Nicht mehr aus einem kreativen Drang heraus, sondern, um die Einkäufer zu beliefern und das Publikum entertained zu halten. Helmut Lang hatte sein eigenes Label, das einst als eines der coolsten, cleversten und modernsten galt, im Jahr 2005 auf seinem Erfolgs-Peak verlassen, um sich dem Künstlersein zu widmen. Alle Versuche, die Position des kreativen Kopfes seitdem zufriedenstellend neu zu besetzen, endeten in einer Sackgasse.
Der von Phoebe Philo trainierte Peter Do wurde im Mai als neuer Creative Director ernannt. Und wie an alle aufstrebenden Designtalente wurde auch an ihn die unausgesprochene Anforderung gestellt, das Erbe des Hauses fortzuführen, aber bitte auf eine eigene, progressive Art und Weise. Und Do nahm die Challenge an. Der in Vietnam geborene Modedesigner entschied sich, mit dem ebenfalls vietnamesischen Dichter Ocean Vuong zusammen zu arbeiten und rekonstruierte eine Kollaboration, die Helmut Lang und die Künstlerin Jenny Holzer einst eingegangen waren.
Vuongs Zeilen standen großzügig auf dem Boden der Location geschrieben, aber auch auf einigen Teilen der gezeigten Mode. Für die hatte Do charakteristische Stücke aus Langs Archiv – Crombie-Mäntel, schlanke Anzüge, androgyne Jacken – mit seinen eigenen Erfahrungen – seine erste Autofahrt als 14-Jähriger in Philadelphia – gepaart.
An Sicherheitsgurte erinnernde Schärpen-Gürtel und schräg über den Torso verlaufende Prints in Fuchsia und New Yorker Taxi-Gelb, klassische weiße Hemden, Slogan-Tanktops und in Color-Block-Collagen zusammengesetzte Kleider verbanden Do und Langs Geschichten in einem sehr gelungenen Debut: 185 Prozent mehr Traffic registrierte die Mode-Suchmaschine "Tagwalk" für die Marke Helmut Lang unter Peter Do als neuem Kopf.
Sandy Liangs Kollektion war von der Idee der uniformen Bekleidung inspiriert und der Macht, mit der bestimmte Dresscodes ein Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft hervorrufen. Liang erklärte, sie habe "ähnlich gekleidete Gruppen von Mädchen und Frauen und ihre gemeinsame Art, sich über Zeit und Kulturen hinweg einheitlich auszustatten" studiert. Dabei habe sie auch Sofia Coppolas "The Virgin Suicides" in ihre Recherche aufgenommen, gerade den Character der Cecilia Lisbon.
Die in Liangs Mode wesentlichen Rosenköpfe und Schleifen-Elemente trafen zu dieser Saison punktgenau den Mermaid-Ballerina-Y2K-Trend. Zusammen mit kurzen Faltenröcken, asymmetrischen Tops und stretchigen Rock-über-Hose-Kombinationen, die sich mit Hüftröcken, feinen Cardigans und ja, tatsächlich: Capri-Hosen abwechselten. Prinzessin trifft auf Britney Spears im Jahr 2003 und eine stilsichere Büroangestellte.
Das Sandy-Liang-Mädchen "trägt ein feines Kleid, die Knöpfe sind aus Perlmutt, doch ihr Haar ist immer nass, und unter ihren Fingernägeln ist Schmutz. Sie steckt sich eine Blume hinters Ohr, bevor sie den Käfern hinterherjagt, wobei die Bänder und Schärpen ihres Kleides hinter ihr zurückbleiben", hieß es in den Shownotes. Tüllkleider wurden durch eckige Ballerina-Schuhe oder Teva-Flip-Flops auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, und pastellfarbene 3/4-Leggings nach mehreren Jahren der Verbannung wieder in das Frühling-Sommer-Repertoire eingeführt. Als Highlight sollten die übergroßen, zu Taschen umfunktionieren Satinschleifen gelten, die jeden Look zu einem verträumten Coppola-Charakter werden lassen.
Jackson Wiederhoefts Präsentation seiner bühnenreifen Frühling-Sommer-2024-Kollektion "Night Terror at the Opera" konnte nur in einem Theater stattfinden. Der Modedesigner erkor den "Le Mama Experimental Theatre Club" zum Ort des Geschehens. In drei Akten präsentierte er seine positiv kitschigen, extravaganten und berührenden Entwürfe, in denen Traum und Bühnenshow einander an der Hand hielten.
"Ich habe das Gefühl, dass die verrücktesten Träume der Welt die schönsten sein können", erklärte er "Vogue Runway". Die Show begann, ohne dass das einströmende Publikum es zuerst mitbekam: In einer Performance nahmen Models in pfirsichfarbenen Kostümen in der Mitte des Raumes auf Klappstühlen Platz. Die Kleider waren aus einem Stoff gefertigt, den Widerhoeft selbst von der neuen Bepolsterung seiner Couch übrig hatte. Im zweiten Akt "Dream" dann startete die wirkliche Schau, eröffnet von einem mit langen Perlenschnüren besetzen Kleid, die den Satz "Wonderful Memories, Dreams of our Love, Together forever" ergaben.
Dramatisch bestickte, bodenlange Abendkleider und Glasperlenbesatz auf der einen Seite, ein legeres Tanktop mit "Heiress"-Schriftzug und über den Arm geworfener Jeansjacke auf der anderen. Dazwischen Showkleidung, glitzernde Korsetts, ellenbogenlange Handschuhe und kurze Bustiertops.
Für den dritten Akt, "Nightmare", erschienen zwei Tänzer in mit tausenden Tüllfalten besetzten Braut- und Bräutigam-Outfits, gefolgt von einem "Starlet" im rosa Kleid, umgeben von einer männlichen Security-Crew in bauchfreien Spaghettitops. Das Finale bildete ein silbernes Lamékleid. Zwischen Tanz und Catwalk endete die Show, die Jackson Wiederhoeft als sein Bewerbungsschreiben für das Design von Outfits für die ganz große Bühne beschrieb.
Rosen haben ein modisches Momentum und führten auch durch Palomo Spains "Cruising in the Rose Garden"- Kollektion. Der Titel ist eine Andeutung an die schwule Cruising-Szene, also wies Alejandro Gómez Palomo seine Models an, flirtend Augenkontakt mit dem Publikum zu suchen und es so in sein neckisches Spiel zu integrieren.
Begehren und Romantik vereinte der spanische Modedesigner in den 42 Looks seiner Frühling-Sommer-2024-Kollektion – eine Seite gleiche dem Engel, die andere eher dem Teufel. Oder, wie er es audrückte: "eine ist eine eher animalische, von fleischlicher Begierde geblendete, und eine ist eher romantisch, von der Natur und der weiblichen Sinnlichkeit getrieben".
Weiße, transparente Spitze gepaart mit Korsetts und Federdetails ging über in zart pastellenes Flieder und Rosa mit niedlichem Rosen-Print. Negligées, Rüschenshorts und fein bestickter Tüll wechselten sich ab mit Denim-Briefs und ausgestellten Jeanshosen und machten bald Platz für die dunkle Seite der Leidenschaft.
Schwarze Lederbustiers, Mäntel, winzige Hotpants und Bomberjacken, mit weißen Wäsche-Details kombiniert, nahmen den von bunten Blüten gesäumten Laufsteg ein. Es folgten rote Rosenköpfe zu Kleidern und Tops zusammengesetzt, als Ohrschmuck, Choker und als glitzernde Perlenstickerei auf feinsten Seidenstoffen.
Wie kaum ein anderer spielt Palomo Spains mit geschlechterspezifischen Kleidungsstücken und entzieht sie ihren einstigen Aufgaben, macht sie sich zueigen. So wurde der größte Teil der verführerischen Lingerie-Kleider, Seidenschleppen und verspielten Büstenhalter von männlich gelesenen Models präsentiert. Palomo Spains löste, wie man es von der Marke gewohnt ist, binäre Geschlechterrollen auf und gestand seinen Looks und ihren Trägern die Vielschichtigkeit einer erblühten Rose zu.
Auch Elena Velez widmete sich mit ihrer Kollektion "The Longhouse" der Flora, oder eher deren Basis, der Erde. Ein mit Matsch ausgelegter Laufsteg erwartete die geladenen Gäste, die letztlich verschont blieben von der braunen Masse. Die Models jedoch gaben sich am Ende der Show einer ausgedehnten Schlammschlacht hin. "Antiheroes" nannte die US-amerikanische Modedeschöpferin ihre Modelle, während auch sie selbst sich als eine, gegen das System arbeitende working class Designerin beschreibt. Eine Antiheldin der New Yorker Modewelt könnte man meinen.
Velez spricht die Schwierigkeiten an, die aufstrebende Designer mit niedrigerem sozioökonomischen Hintergrund haben, und verkörperte ihren Kampf mit der Industrie quasi in dem Walk der Models durch die zähen Schlammmassen. Monochrome Looks in unterschiedlichen Beige-Nuancen, Schwarz und Grauschattierungen kombinierte Velez mit futuristischen Nike-Sneakern und Slides, zarten Schnürschuhen oder auch mit in weißer Farbe bearbeiteten kniehohen Stiefeln.
Auch einige Models selbst waren mit der weißen Textur einbalsamiert worden, die nun rissig von ihren Körpern bröckelte. Bestimmt, fast kriegerisch liefen sie auf. Gefallen wollten sie niemandem, sondern sich aus den ihnen auferlegten Zwängen befreien. In einem Manifest, das Velez nach der Show postete, erklärte sie: "Ich habe das Gefühl, dass die Hygienisierung und Einseitigkeit des Frauseins in der heutigen Populärkultur keinen Raum für die Nuancen und die Vielfältigkeit lässt, die wir als Architekten eines labyrinthischen Innenlebens verdienen."
Velez zeigte Trucker-Caps, offene Säume, halboffene Reifröcke, Hoodies und Bomberjacken. Grob verarbeitet, wild kombiniert. Stauchungen, Schnürungen und Raffungen enthielt jeder Look, was den Kleidungsstücken eine energiegeladene, spürbare Dynamik verlieh. Mit den Velez-Antiheroines möchte man nicht streiten, aber sie kämpfen sehen ist nicht schlecht.
Für Fforme war es die erste Modenschau, nachdem die Marke in den vorherigen Saisons nur nach Voranmeldung zur Sichtung ihrer Kleider geladen hatte. Bekannt für perfektionierte Eleganz, klares Understatement und raffinierten Minimalismus überzeugte Creative Director Paul Helbers mit ebendiesen Steckenpferden.
"Ich spüre den Hunger in New York nach einem Niveau der Kleidung - die Präzision, die Leichtigkeit und die Kombination, die Handwerkskunst. Ich denke, das geht zurück auf Dinge, die es in New York schon einmal gab, wie Halston, Geoffrey Beene und Zoran", sagte er zu "Vogue Runway". "Und ich denke, wir bringen das zurück".
Weite, die Körper umschmeichelnde Schnitte und eine limitierte Farbpalette aus Weiß, Schwarz, Nudetönen, Braun und einem gedämmten Pink bestimmten die Kollektion. Klassische T-Shirts wurden zu bodenlangen Röcken, kaftanartige Kleider über langen Hosen und sogar ein Paar schwarzer Leggings schritten über den Laufsteg. Bequemlichkeit strahlten die Kombinationen aus, jedoch ohne auch nur entfernt an einen Pyjama zu erinnern. Vielmehr scheinen sie die perfekten Looks für die nächste New Yorker Hitzewelle zu stellen, und die kommt bestimmt.