Als Kunstkritiker und als Journalist überhaupt mag man manchmal an seinem Bedeutungsverlust verzweifeln: Die Auflagen sinken, Zeitungen werden gleichermaßen von Wutbürgern und Staatslenkern als "Lügenpresse" niedergemacht, in den sozialen Medien ist jetzt jedermann – wie es Karl Marx sich einst wünschte – "kritischer Kritiker". Und Karrieren hängen längst nicht mehr von Rezensionen ab.
Zum Glück gibt es aber Neo Rauch, der die Bedeutung von Kritikern offenbar sehr hoch einschätzt. Jetzt hat er sogar einem Vertreter der darbenden Branche ein Bild gemalt. Es ist diffamierend bis zur Schmerzgrenze. Und doch: Dass sich Neo Rauch überhaupt die Mühe macht, ist unfassbar rührend!
Dass der Leipziger Maler keine hohe Meinung vom freien Diskurs hat, weiß man: Journalisten bezeichnet er gerne als "Skribenten" und "Schmieranten", Kunstkritik als "Unrat". Dahinter steht ein Verständnis von Kunst als autonome Sphäre, als etwas, das sich dem Zugang und der Vermittlung durch Worte entzieht. Welchen Anteil die publizistische Begleitung der Arbeit von Neo Rauch an seinem Erfolg hat, lässt sich schwer ausmachen. Rauch selbst würde sicher behaupten: keinen. Qualität setze sich von allein durch.
Wolfgang Ullrich, der jetzt von Rauch mit der Karikatur beschenkte Kunsthistoriker, hat in einem "Zeit"-Essay darauf aufmerksam gemacht, dass früher linke, heute aber eher konservative und rechte Künstler von der Freiheit der Kunst sprechen. Weil er darin auch Neo Rauch erwähnte, antwortete der mit dieser Karikatur mit dem bei Ernst Jünger entliehenen Titel "Anbräuner".
Gegen die Texte der "Schmieranten" stellt Rauch nicht nur seine Bilder, sondern eine eigene altertümliche Sprache, die er wahrscheinlich als überhistorisch empfindet, die aber deutlich an die Frühzeit des bürgerlichen Zeitalters erinnert, aus der auch seine Vorstellung von der Autonomie der Kunst stammt.
Rauch erschafft sich selbst als Außenseiterfigur
Mit seiner Sprache, seiner Malerei und seinem Auftreten als medienscheues Genie erschafft Neo Rauch sich selbst als Außenseiterfigur. Möglicherweise ärgert sich Rauch gar nicht so sehr darüber, dass er in einer Reihe mit angeblich rechten Künstlern genannt wird, sondern dass er überhaupt einer Gruppe zugeordnet wird.
Dabei ist Neo Rauch genauso wenig Außenseiter wie Georg Baselitz, der sich auf ähnliche Weise ständig als Outlaw stilisiert. In fast 200 Ausstellungen waren Rauch-Werke allein in Deutschland zu sehen, seine Bilder hängen im Bundestag und 2018 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Nicht nur die Anerkennung von öffentlichen, steuerfinanzierten Institutionen ist ihm gewiss, sondern auch die des Kunstmarktes. Erst vor wenigen Tagen wurde bei Sotheby’s in London eines seiner Bilder für umgerechnet fast eine Million Euro verkauft. Rauch hat nichts direkt davon, aber hohe Ergebnisse auf dem Auktionsmarkt schlagen sich natürlich auf die Galerienpreise nieder. Laut "Manager Magazin" besitzt Neo Rauch ein Vermögen von 100 Millionen Euro und gehört damit neben Gerhard Richter und Anselm Kiefer zu den drei reichsten Künstlern Deutschlands.
Wenn alles so gut für ihn läuft, warum reagiert er dann so empfindlich auf Kritik? Weil jeder Angriff eine willkommenes Mittel zu Aufrechterhaltung des Selbstbildes als genialer Außenseiter ist, ein Status, den Rauch sich aus der DDR-Zeit herleitet: "Die permanente Diktatur der Staatsbürgerkundelehrer und Gesinnungswächter. Von Jugend an hat mich das in eine innere Emigration getrieben. Ich habe nie offen revoltiert, dazu war ich zu feige. Mir fehlte ein kameradschaftliches Umfeld im Sinne einer Leidensgemeinschaft. Ich war ein Einzelgänger, habe mich in meinen Mikrokosmos zurückgezogen ..."
Abscheu gegen "Politkommissare"
Aus dieser DDR-Erfahrung kommt sicher der Abscheu gegen Kritiker, vor allem aber gegen die sich öffentlich äußernde so genannte Politische Korrektheit, gegen die "Bagage der Blockwarte, der Gesinnungsschnüffler und Politkommissare", wie Rauch einmal schimpfte.
Erst in Abgrenzung dazu kann sich der Erfolgsmensch Neo Rauch weiterhin als Einzelgänger inszenieren – obwohl er es längst nicht mehr ist. Nicht nur weil er ein wohlhabender und etablierter Künstler ist, der alle Möglichkeiten zur Teilhabe hat, sondern weil der Chor gegen Politische Korrektheit und jeglichen moralischen Anspruch sowieso groß und laut ist.
Außenseiter und Kämpfer für die Kunst sind Künstler, die von ihrer Kunst nicht leben können und trotzdem nicht aufgeben. Außenseiterin ist die alleinerziehende Mutter, die trotz Kind und Stress Künstlerin bleibt. Außenseiter sind unterbezahlte Kuratoren, Kritiker, Saalwächter, Hausmeister, Galeriemitarbeiter, ja, alle steuerzahlenden Geringstverdiener, die einen Erfolg wie den von Neo Rauch möglich machen.