Neue Werke in London

Muss ein Banksy wirklich immer was bedeuten?

Mit seinen jüngsten Tier-Silhouetten schafft Banksy endlich einmal Werke ohne simple Botschaften. Anstatt dies als überfällige Befreiung zu feiern, stürzt sich das Publikum in die Interpretation. Dabei liegen die Ursprünge von Graffiti gerade in der Bedeutungsleere

Ein Steinbock, zwei Elefanten, drei Affen, ein Wolf ... Banksy hat Anfang dieser Woche offenbar eine neue Werkserie gestartet, die jeden Tag dem Stadtraum von London eine weitere Tierart hinzufügt, mal als Individuum, mal als Mini-Herde, Mini-Horde. Der anonyme Street-Art-Künstler postet nun jeden Tag ein Bild auf seinen Instagram-Account von der jeweils neuesten Arbeit, und wie jedes Banksy-Werk werden sie in den Medien zu Nachricht und Ereignis. Hier nur scheint sich der Sinn erst in der Reihung und über die Zeit zu offenbaren, was man zunächst noch nicht wissen konnte. Voller Lust machte sich das Publikum deshalb schon an Tag eins in Feuilletons wie sozialen Netzwerken ans Entziffern. 

Der Steinbock sei ein Sündenbock, der dazu noch am bröckelnden Abgrund steht. Oder handelt es sich gar um eine Palästina-Berggazelle und also um eine Solidaritätsbekundung? Die Elefanten seien jedenfalls ganz klar ein Verweis auf das Symbol der republikanischen Partei, das Wandbild also ein Kommentar zum US-Wahlkampf, das sei ja wohl ein "elephant in the room". Die drei Affen seien jene, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. 

Tiere haben tatsächlich eine hohe Symboldichte in der Kunstgeschichte zugelegt. Aber es ist noch etwas anderes, was Banksy-Betrachter zu Interpretationen anstachelt: Meist haben die Werke des britischen Künstlers tatsächlich eine klare Botschaft, zumindest eine Pointe. Sollte es hier anders sein? 

Die Straße der Street-Art ist eine Sackgasse geworden

Schön wäre es, denn Banksy hat mit der einfachen Lesbarkeit seiner Werke oft genug auch dem Kitsch, dem neunmalklugen Witz und der einfachen politischen Botschaft die Tür aufgehalten. Ein Randalierer, der Blumen wirft, ein Mädchen, das ein Herz in die Luft schickt, ein Bauarbeiter, der nach dem Brexit einen Stern aus der EU-Flagge meißelt. Offene, vielschichtige Kunst ist das nicht.

Es stimmt, es gehört zur Street-Art, dass sie emblemhaft sein will und wie ein Straßenschild auch im Vorübergehen gelesen werden kann. Banksy ist ein Meister dieser Kunst. Gleichzeitig hat sich die Gattung damit auch komplett der kommerziellen Verwertung ausgeliefert, wie man an den vielen nicht-autorisierten Banksy-Ausstellungen sehen kann. Die Straße der Street-Art ist so zur Sackgasse geworden.

Dabei war Graffitikunst, aus der sich die Street-Art entwickelte, in ihren Anfängen so kryptisch wie es nur ging: Die in sich verschlungen Buchstaben der Writer-Namen waren meist nur für die Crews und Insider lesbar, teilweise waren es nur Codes aus Zahlen. Botschaften, die nichts bedeuten, wie der der französische Philosoph Jean Baudrillard 1975 in seinem Buch "Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen" beschrieb: "Irreduzibel aufgrund ihrer Armut selbst, widerstehen sie jeder Interpretation, jeder Konnotation, und sie denotieren nichts und niemanden". Die Zeichen rebellieren gegen ihren Sinn - was für eine Befreiung in einer kapitalistischen Welt, in der alles mit Symbolen und Logos belegt ist.

Vielleicht will Banksy mit seinem Stencil-Zoo zurück zu diesem freien Spiel der Zeichen? Das zu fragen ist vielleicht schon wieder zu viel Interpretation. Auch liegt der Verdacht nahe, dass doch wieder eine Pointe hinter der nächsten Straßenecke lauert. Bitte nicht!