Kommentar zu den jüngsten Vorwürfen gegen die Documenta

Mützenprobleme

Das Junge Forum der Deutsch-israelischen Gesellschaft beschuldigt die Documenta in Kassel, ein als antisemitisch kritisiertes Werk überklebt zu haben. Doch die Vorwürfe zeugen vor allem von Ignoranz

"Abgeklebtes Bild: Erneut Antisemitismus-Vorwürfe auf der Documenta", so titelte am Dienstag die "Tagesschau" einen Bericht auf ihrer Websiteund viele andere Medien berichteten ähnlich (hier die Dpa-Meldung bei Monopol). Quelle der Kritik war diesmal das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), das behauptete, dass die Documenta ein antisemitisches Werk in Teilen abgeklebt habe. Es geht diesmal um das im Hallenbad Ost ausgestellte großformatige Bild mit dem Titel "All Mining is Dangerous" aus dem Jahr 2000, das das schon früher im Zentrum der Kritik stehende indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi gemeinsam mit dem US-amerikanischen Kollektiv Justseeds aus Portland geschaffen hat.

Der Bundesvorsitzende des Jungen Forums der DIG, Constantin Ganß, sagte der Nachrichtenagentur epd, das Bild "All Mining is Dangerous" zeige antisemitische Stereotype: vier Personen, die große Mengen Geld in Form von Geldsäcken unter sich aufteilen – eine sei mit langer Nase und hämischem Grinsen abgebildet. Auf dem Kopf trage besagte Person eine Kopfbedeckung, die mit einem schwarzen Stück Klebeband überklebt worden sei, heißt es in der Mitteilung. Bei der überklebten Kopfbedeckung handele es sich um eine Kippa, wie nähere Betrachtungen vor Ort und der Vergleich mit älteren Aufnahmen des Bildes zeigten. "Es ist unfassbar, dass Verantwortliche bei der Documenta denken, durch das Abkleben einer Kippa sei das Problem gelöst", so ließ sich Ganß zitieren.

Mittlerweile haben sich Ruangrupa und die Documenta auf die neuerlichen Anschuldigungen gemeldet – diesmal erfreulich schnell. Und was sie in ihrer Kontextualisierung, die bald in der Ausstellung zu sehen wird und Monopol bereits vorliegt, erklären, ist eindeutig. Der betreffende Holzschnitt auf Stoff handelt von Ausbeutung durch den Bergbau sowohl in Indonesien als auch in Portland. Die geldgierigen Personen, die gezeigt werden, stellen keine Juden, sondern Vertreter der muslimischen religiösen Führung in Indonesien dar, die mit der ausbeuterischen Bergbauindustrie gemeinsame Sache machen. Das, was Herr Ganß auf dem Originalbild als Kippa zu erkennen meint, bildet stattdessen eine in Indonesien von muslimischen Männern getragene Mütze ab, die so genannte Hajj-Mütze. Sie wird von einer Figur des beliebten indonesischen Puppenspiels Wayang getragen – diese Figuren, Weltkulturerbe, sind unter anderem gekennzeichnet durch ihre markanten, schnabelartigen Nasen.

Fortbildung in Sachen muslimischer Kopfbedeckung

Die ursprünglich abgebildete Hajj-Mütze ist allerdings einer Kippa nicht unähnlich – darum veränderte die Gruppe Taring Padi das Bild so, dass nun eine Peci zu sehen ist, ebenfalls eine von Muslimen zu religiösen Anlässen getragene Kopfbedeckung. Warum? Um genau das zu verhindern, was jetzt passiert ist: Dass nach dem Skandal um das Banner "People’s Justice" von Taring Padi jemand fälschlicherweise darin eine Kippa sehen würde. Taring Padi selbst habe den Anstoß dazu gegeben: "Damit sollte eine weitere Fehlinterpretation vermieden werden", so die Erklärung von Ruangrupa.

Mit rührender Geduld zeigen Ruangrupa in ihrer Kontextualisierung Fotos von Hajj-Mütze und Peci, um der aufgeregten deutschen Öffentlichkeit den Unterschied zur Kippa beizubringen, und informieren über die reiche Tradition des indonesischen Puppenspiels. Sie haben genau diese Schulstunde auch gegenüber den Gesellschaftern der Documenta sowie dem Antisemitismusbeauftragten des Landes Hessens abgehalten, die jetzt, so gibt die Documenta bekannt, noch auf die Expertise der fachwissenschaftlichen Begleitung warten.

So haben also alle diese Menschen eine Fortbildung in Sachen muslimischer Kopfbedeckung und Wayang bekommen – es kann nur nützen, schließlich ist das Wissen darüber ganz offensichtlich nicht sehr gut entwickelt. Schön wäre auch gewesen, wenn das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft sich erst einmal bei der Documenta oder bei den betreffenden Künstlerinnen und Künstlern informiert hätte, bevor es die Schlagzeilen produziert hätte, die die deutsche Öffentlichkeit in Bezug auf die Documenta so gern zu lesen scheint. Bilder zu inkriminieren, ohne auch nur eine Sekunde nach ihrem Inhalt und Kontext zu fragen, ist nichts als peinliche Ignoranz.