Jetzt also auch in Hessen. Direkt vor dem Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach steht seit neuestem ein etwas nachlässig zusammengeklebter "Monolith". Weltweit sind damit in den letzten Wochen bereits sieben mysteriöse Stelen entdeckt worden, nach anderer Zählung sogar neun: in Kalifornien, Rumänien, Großbritannien, den Niederlanden und jetzt in Deutschland.
Die erste Säule wurde im November von Angestellten einer Behörde in der Wüste von Utah gefunden. Der "Utah-Monolith" (genau genommen passt die Bezeichnung nicht, denn ein Monolith ist aus Stein, dieser Quader aber aus Metall) erregte weltweit Aufmerksamkeit – bevor er eine Woche später wieder verschwand.
Schnell wurde eine Verbindung zu der Kunst von John McCracken gezogen. Der US-Künstler hatte lange nicht nahebei in New Mexico gelebt und fast identische freistehende Polyeder angefertigt. Galerist David Zwirner, der den Nachlass des 2011 verstorbenen Minimal-Art-Bildhauers vertritt, dementierte inzwischen einen Zusammenhang: "Wenn man sich die Fotos des Monolithen genau ansieht, sieht man Nieten und Schrauben, die nicht damit übereinstimmen, wie John seine Arbeiten konstruiert haben wollte. Er war Perfektionist." Trotzdem sei die Stele eine "wunderbare Hommage" an McCracken.
Bedeutungsverweigerung als Herausforderung
Und diese Hommage geht weiter – inzwischen auch in Europa. Offenbar fühlen sich viele von dem Geheimnis um den "Utah-Monolithen" inspiriert und basteln selbst Stelen, die sie aufstellen und verschwinden lassen. Als kollektives und dezentrales Kunstwerk passen diese Gegenstände perfekt in die von Unsicherheit geprägte Pandemiezeit, in der ein paranoides Lebensgefühl um sich greift und sich in Verschwörungserzählungen Bahn bricht.
Zum einen lassen sich diese Objekte mit dem Corona-Virus selbst vergleichen, das wie aus dem Nichts aufgetaucht ist, dessen Herkunft und Wesen umstritten bleibt, sich eben viral verbreitetet und das den Wünschen nach einfach so wieder verschwinden sollte.
Anderseits sind die Stelen weder aus sich heraus verständlich, noch sind Urheberschaft, Verbleib oder Sinn der globalen Serialität bekannt. Und trotzdem sind diese Gegenstände wie das Virus in ihrer Faktizität schwer zu leugnen. Sie haben also die Form eines Rätsels.
Der Kunstkritiker Hal Foster nannte das die "Crux" der Minimal Art, zu dessen Hauptvertreter John McCracken gehörte: die Bedeutungsverweigerung und allein selbstreferenzielle Präsenz minimalistischer Kunstwerke. Das Werk wird zum "exemplarischen Gegenstand", wie der Kunsthistoriker Sebastian Egenhofer einmal mit Rückgriff auf Robert Morris und Rosalind Krauss schrieb: "Seine Widerständigkeit gegen Bedeutung, die Einfachheit des Objekts und die Ablenkungsarmut der Situation lassen die ästhetische Erfahrung zur Konfrontation werden und erhöhen die Aufmerksamkeit für die elementaren Bedingungen subjektiver Wahrnehmung: etwa die zeitliche und räumliche Bindung, die Begrenztheit des Blickfelds oder der Einseitigkeit jedes Aspekts von Wahrnehmung."
Nachdenken über das eigene Weltverhältnis
Der "Utah-Monolith" und seine Geschwister werden, weil sie außerhalb der großen Zentren auftauchen und ohnehin im Lockdown wenig gereist wird, vor allem als Medienereignis erlebt. Und dennoch lösen sie wie minimalistische Objekte im Museum ein Nachdenken über das eigene Weltverhältnis aus, das in der Pandemie ohnehin brüchig geworden ist (Stichwort: "das neue Normal").
Weil uns diese rätselhaften Monolithen wie Minimal Art an die Begrenztheit unserer Erkenntnisfähigkeit erinnern, ist es auch kein Zufall, dass sie nicht nur als Kuriosität wahrgenommen werden, sondern Zorn auf sich ziehen: Ein in Kalifornien aufgetauchter "Monolith" wurde vor einigen Tagen von wütenden Trump-Anhängern gestürzt und durch ein Holzkreuz ersetzt. Denn das Kreuz als christliches Symbol bedeutet Gewissheit, ein "Monolith" hingegen Unsicherheit.
Als nicht aufgeklärtes Rätsel setzte auch Stanley Kubrick 1968 in seinem Film "2001 - Odyssee im Weltall" seinen Monolithen ein. Er beunruhigt in seiner enigmatischen Präsenz selbst die Horde Affenmenschen, die in der berühmten Eröffnungsgszene das Ding aggressiv umtanzen wie tausende Jahre später die Trump-Fans.
Spielerische Bewältigung der Unsicherheit
Der Soziologe Luc Boltanski hat in seinem wunderbaren Buch "Rätsel und Komplotte" beschrieben, wie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Paranoia als Phänomen der Psychiatrie bekannt wird. Sie fällt zusammen mit der Verbreitung der Massenmedien und moderner Wissenschaft, die täglich einen Rahmen an "normaler" Realität herstellen, vor dessen Hintergrund sich erst Eigentümlichkeiten besonders abheben. Sind singuläre Merkwürdigkeiten dermaßen "anormal", dass der Verstand sie nicht mehr in die Realität einordnen kann, verletzten sie das "nahtlose Gewebe der Realität".
Es ist nach Boltanski kein Zufall, dass damals Kriminalliteratur, Soziologie und Psychonanalyse entstehen, die einen Blick hinter die "reale Realität" wagen, indem sie problematisieren und Widersprüche bearbeiten. Doch dieser Versuch ist mit Risiken behaftet, weil er endlose Nachforschungen auslösen kann – was sich dann als Paranoia äußert. Oder, so könnten wir heute ergänzen, wütendes "Querdenken" befördert, das die Grenzen der eigenen und kollektiven Wahrnehmung nicht anerkennt.
Die aktuellen "Monolithen"-Sichtungen sind somit ein perfekter Inbegriff eines Rätsels, dass sich krass von der "realen Realität" abhebt und somit das Coronavirus spiegelt. Kriminalwerke wie die von Arthur Conan Doyle seien auch deshalb damals so erfolgreich geworden, so Boltanski, weil sie "einen Widerspruch in alle erdenkliche Richtungen drehen und wenden, nicht um ihn dialektisch zu überwinden, sondern schlich und einfach, damit man sich an ihn gewöhnt."
Die Faszination an den "Monolithen" entspringt vielleicht einem ähnlichen Wunsch, sich mit Widersprüchlichkeit anzufreunden, indem man sie seriell immer wieder in Form einer Stele herausstellt in die Welt. Kann also sein, dass wir deshalb noch mehr seltsame Quader in der Landschaft sehen werden, wie zu spielerischen Bewältigung der Unsicherheit, die uns die Pandemie auferlegt.