Als Kind trägt man zu einem festlichen Event sein liebstes Outfit. Das kann ein Prinzessinnenkleid zu Jeans mit Sweatshirt sein, oder eine Kombination, die als absurd-legendär in familiäre Geschichtsbücher eingeht. Ungefähr so muss man sich die roten Teppiche dieser Welt vor den 1990er-Jahren vorstellen. Vielleicht nicht ganz so extrem, aber vom Konzept her ähnlich.
Drew Barrymore erschien zu einer Filmpremiere in Jeansjacke und Micky-Maus-Rucksack, Reese Witherspoon in Spaghetti-Top und Tattoo-Kette, Melissa Joan Hart in Tanktop und Jeans. Auch Blumenkrone, Schwanenkleid (Sie wissen schon, Björk bei den Oscars), Bauchtanz-Outfit, Cowboy-Hut und Sprüche-Shirt waren gern getragene It-Pieces.
Was heute bei Award-Verleihungen geboten wird, lässt sich kaum damit vergleichen. "Worst-Dressed" gibt es objektiv gesehen kaum noch – jeder Gast ist von Lidstrich bis Louboutin-Schuh perfekt gestriegelt, wenn er oder sie über den Teppich schreitet. Teure Roben, schwere Diamanten und vertraglich festgehaltene Modedeals sind kurz beeindruckend, aber weniger amüsant. Und hinter all dem Vorher-Nachher steckt, wie sollte es anders sein, das ganz große Geschäft.
Kleider waren nicht die Hauptattraktion
Die erste Oscar-Verleihung fand 1929 statt, sie soll nur 15 Minuten gedauert haben. Erst ab 1944 wurde die Veranstaltung in den öffentlichen Medien übertragen. Ab 1964 dann hat man den roten Teppich außerhalb des Veranstaltungsortes gefilmt, um die Ankunft der Stars in den Limousinen zu zeigen - spätestens jetzt wuchs der Druck auf die Celebrities, sich besonders in Schale zu werfen.
Faszinierend sahen die Reichen und Schönen schon immer aus: Unvergessen bleibt Grace Kelly 1955 in einem hellgrünen Edith-HeadSatinkleid, Audrey Hepburn 1954 in Givenchy oder Barbra Streisand 1969 in einem Ensemble von Arnold Scaasi. Doch waren dies "nur" Kleider, festlich, dem Anlass entsprechend. Nicht die Hauptattraktion. Das sollte sich ändern mit Joan Rivers, die 1994 über den roten Teppich der Golden Globe berichtete und den Gästen mit "Wen tragen Sie?" eine Frage stellte, deren Antwort von nun an fast wichtiger war als die, wer den Preis mit nach Hause nehmen durfte.
Und die einzig angemessene Antwort war für eine lange Zeit "Armani". In "American Gigolo" von 1980 trug Richard Gere die lässig-schicken Anzüge der mailändischen Modemarke – aus der damaligen Kollektion, nicht extra für den Film angefertigt. Sie verbanden auf eine neue Art und Weise das Sich-Kleiden im Film und im wahren Leben, es wurde persönlicher und natürlicher, die Spanne zwischen Kostüm und Outfit deutlich schmaler.
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Film und Mode
Dies markierte den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Hollywood und dem Designer aus Piacenza, dessen Mode sich über ein Jahrzehnt mehr und mehr auf dem roten Teppich, und gerade dem der Oscars, etablierte. Vor Armanis Übernahme war den Filmstars Stilbewusstsein nicht unbedingt anzusehen, viel mehr spielten sie ihre Filmrollen vor den Kameras bei Preisverleihungen weiter. Sie trugen auffällige, theatralische, dramatische Roben.
"Es waren alles Abendkleider, die von Designern entworfen wurden, die nicht wirklich in normalen Geschäften verkauft wurden; oder von denselben Leuten, die Kostüme für den Karneval in Rio oder für den Broadway entwarfen; oder von den Kostümdesignern, die an Hollywood-Filmen arbeiteten", erklärt Elizabeth Saltzman, Stylistin und Mitglied des Armani-Teams von 1984-1992, dem "System Magazine". Diese Art des "Premieren-Dressing" feierte gerade im Ansatz ein Revival durch "Barbie": Hauptdrastellerin Margot Robbie verkörperte auch fern der Leinwand weiter den Stil der Puppe. Und auch die "Dune"-Stars sahen sehr wüstenwürdig aus, als sie ihren neuen Streifen promoteten.
Zu Beginn der 1980er-Jahre jedoch wurde die weitergetragene Rolle immer unmoderner - und Armani mit seinem Gespür für Understatement-Chic zum Red-Carpet-Designer der Wahl. Nonchalant, innovativ, dem Zeitgeist entsprechend, veränderte das Modehaus die Ästhetik der Filmstars bei Preisverleihungen. "Nach American Gigolo wurde mir klar, welch starken Einfluss das Kino auf die kollektive Vorstellungskraft haben kann und wie groß der Wunsch ist, sich mit dem Stil einer Figur zu identifizieren. Daraus entwickelte sich eine strukturierte Strategie mit kommerziellen Zielen", erzählte Giorgio Armani selbst.
Die neue Kunst des Einkleidens
Dazu gehörte auch das "Armani VIP Dressing Office", das das Haus 1988 in Los Angeles eröffnete. Hier konnten die Mitarbeiter ausgewählte Filmstars direkt für den roten Teppich einkleiden – so saßen beide Parteien direkt an der Quelle. Nach der Oscar-Verleihung 1990 veröffentlichte "Women Wear Daily" einen Artikel unter dem Titel "The Armani Awards". Alle großen Stars, von Julia Roberts, Jodie Foster und Tom Cruise über Billy Crystal, Steven Spielberg und Denzel Washington bis zu Kim Basinger und Robert De Niro, hatten am Abend davor die Frage "Wen trägst du?" mit "Armani" beantwortet. "Die Kleidungsstücke waren strukturiert und dennoch fließend, was sonst niemand bot, und sie brachten die Menschen aus der Unbequemlichkeit heraus und in die Bequemlichkeit hinein. Männeranzüge an Frauen. Aber immer mit Leichtigkeit," fasst Stylistin Saltzman die neue Kunst des (Ein-)Kleidens zusammen.
Etwa zur Jahrtausendwende dann hatten auch weitere Modehäuser aufgeholt und den Markt für Preisverleihungskleider verstanden. Halle Berry in einem weißem Valentino-Traum bei den Golden Globes im Jahr 2000, oder Uma Thurman in einer blasslila Prada-Robe bei den Oscars 1995 gehören zu unvergesslich gut gekleideten Filmstars auf dem roten Teppich. Ikonische Auftritte wie der von Gwyneth Paltrow in Ralph Laurens "Grace Kelly Gown" oder Elizabeth Hurley in Gianni Versaces "Safety-pin Gown" von 1994 markierten den Beginn einer neuen Ära, ab der Filmstars fantastisch gekleidete zu sein hatten, um nicht auf "Worst Dressed"-Listen zu landen.
Bald wurden immer regelmäßiger Stylisten engagiert, um den Berühmtheiten den bestmöglichen Auftritt zu garantieren. Die 2000er-Jahre werden als Zenit der "Rote-Teppich-Looks" betrachtet – Barrymore und der Micky-Maus-Rucksack hatten keine Chance mehr. Doch das spielerische "Welcher Designer ziert heute deinen Körper" entwickelte sich schnell zu einem Geschäft, in dem diese Frage gar nicht mehr gestellt werden muss.
Margot Robbie musste Chanel tragen
Heute entstehen die Looks für den roten Teppich aus fein justierten Verhandlungen zwischen Modemarken, Sytlisten, Agenten und den Stars, die die Kleider letztlich tragen. Dabei spielen Millionenbeträge keine kleine Rolle. Immer größere Teile des Marketingbudgets von Luxusmarken werden für eben jene gewichtigen Markenbotschafter eingesetzt: ein Investment, das gerade bei Preisverleihungen und Filmpremieren zur Geltung kommt.
Lange war etwa Margot Robbie vertraglich dazu verpflichtet, Chanel bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu tragen. Es fühlte sich für ihre Fans wie ein Britney-Spears-Befreiungsschlag an, als sie eines Tages in einem grünen Bottega-Veneta-Ensemble gesichtet wurde und die schläfrig-strengen Chanel-Tage vorbei schienen. Jennifer Lawrence spielt die gleiche Rolle bei Dior, Emma Stone bei Louis Vuitton. Dazu kommt, dass Stylisten oft gut bezahlte Deals mit großen Luxushäusern eingehen, und daher vorrangig deren Kleider bei ihrem Red-Carpet-Styling einsetzen müssen.
Wer am besten zahlen kann, wird also am öftesten gesehen, an den wichtigsten und meisten Stars. Glanz und Glamour scheinen neben einem viel wichtigeren Begriff zu verblassen: Marketing. Das Publikum findet das so mittel, die Einschaltquoten für die großen Events wie die Oscars, die Golden Globes und die Grammys verschlechtern sich zusehends. Das mag einerseits daran liegen, das alles live übertragen auf den sozialen Medien zu verfolgen ist. Andererseits ist das, was auf den roten Teppichen heute passiert, vorhersehbar und beinahe schon langweilig.
Man wünscht sich Cher zurück
"Jeder ist sich des Aspekts des Mode-Brandings von Veranstaltungen auf dem roten Teppich sehr bewusst geworden, und niemand möchte eine weitere privilegierte Person in einem teuren Kleid mit Werbevertrag sehen. Denken Sie darüber nach. Es geht darum, dass reiche Leute dafür bezahlt werden, teure Sachen umsonst zu bekommen, damit man davon träumt, Geld zu sparen, um es sich auch leisten zu können. In einer Zeit, in der die Menschen Mühe haben, ihre Miete zu bezahlen, ist das ziemlich lächerlich geworden", erklärt Elizabeth Castaldo Lundén, Autorin des Werks "Fashion on the Red Carpet: A History of the Oscars, Fashion and Globalisation”, beim Portal "WWD".
Alles an den einmal pompösen Events wirkt strategisch geplant, steril. Und so wünscht man sich eine sich selbst einkleidende Cameron Diaz, Rose McGowan im skandalösen "Naked Dress" oder Cher im Bob-Mackie-Ensemble mit Feder-Krone zurück. Sie sollen den pastellfarbenen Glitzer bitte austauschen. Oder, wie es die kürzlich gestorbene Mode-Ikone Iris Apfel sagte: "More is more and less is bore."