Ausstellung zur Gastarbeit in Frankfurt

Die ungeschriebenen Kunstgeschichten

Seit den 1960er-Jahren ist die deutsche Geschichte stark von Migration und Gastarbeit geprägt. Welche Kunst in dieser Zeit zwischen Rassismus und Willkommenskultur entstanden ist, zeigt nun eine beeindruckende Schau im MMK in Frankfurt am Main

Während der Beitrag von Ersan Mondtag im deutschen Pavillon in Venedig mit bühnenhafter Inszenierung der Geschichte seines Großvaters überzeugt, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam und an den Folgen seiner Arbeit starb, hat in Frankfurt eine Ausstellung eröffnet, die aus mehr als 30 individuellen Geschichten eine differenzierte Übersicht gibt. Susanne Pfeffer und Co-Kurator Gürsoy Doğtaş suchten nach Künstlerinnen und Künstlern, die zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren aus dem Ausland in die DDR und die BRD kamen. Einige reisten als Arbeitsmigranten ein und wurden erst später Künstler, andere kamen mit Kunststipendien. 

Die Ausstellung traut den Werken und den Besuchenden viel zu, sie unterscheidet nicht zwischen Geflüchteten und Stipendiaten, zwischen DDR und BRD. Dennoch wiederholt sie nicht den oberflächlichen Nachkriegsblick auf "Ausländer", deren Gemeinsamkeit oft nur darin lag, wie sie von der deutschen Mehrheitsgesellschaft behandelt wurden. (Wie, das zeigt Navina Sundaram in ihrem Dokumentationsfilm "Binationale Ehen", in dem sehr nüchtern von Beschimpfungen und Bedrohungen berichtet wird, immer wenn die Presse über "Ausländer" berichtete.)
 
Die historische Schau macht aus den Unterschieden ästhetische Vielfalt: Kunst als Beiprodukt der Werktätigkeit wie bei den tollen kleinen Schleifpapier-Bildern von Ali Rıza Ceylan. Oder als Abbild der realen Lebensverhältnisse wie bei den Gemälden von Serpil Yeter: Auf ihrem Bild "Es ist 9 Uhr!" rahmt ein Radiogerät das häusliche Geschehen. Es bezieht sich auf die einzige Radiosendung in türkischer Sprache, "Köln Radyosu" vom WDR, die in der BRD ausgestrahlt wurde.

Ungezeigt und ungesehen

Es sei ein wenig wie ein Blick ins eigene Familienalbum, sagt Gürsoy Doğtaş, selbst Kind von Einwanderern aus der Türkei. Viele der Künstlerinnen und Künstler sind Geflüchtete, vor Pinochets Militärdiktatur in Chile wie Guillermo Deisler oder nach der 1979er-Revolution aus dem Iran wie Akbar Behkalam. Die Themen, auch die Auffassungen von Malerei und Skulptur sind verschieden, vielen Werken sieht man ihre Entstehungszeit an. 

Doch die Schau hat handfeste Aktualität, nicht nur bei der Frage, wie verwurzelt Fremdenhass in Deutschland von jeher war. Auch befinden wir uns erst am Anfang der Einordnung von Kunstgeschichten jenseits des eurozentrischen Kanons. Dabei waren diese Werke immer in Deutschland, jahrzehntelang, ungezeigt und ungesehen.