Was sehen Astronauten, die auf dem Rücken in die Sterne gucken? Entspannt liegen zwei von ihnen nebeneinander. Oder ist es Erschöpfung? Die Installation aus Schaufensterpuppen und mehreren technisch anmutenden Materialien von Isa Genzken hat den Titel "Oil", seit hundert Jahren der Treibstoff dieses Planeten. "Channeling" heißt die neue Präsentation der Sammlung des Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main benannt nach einer Technik, die Wahrnehmung auf einen Sinn oder Aspekt zu richten und zu intensivieren. Im Vokabular der Parapsychologie beschreibt es auch die Kontaktaufnahme zu außerweltlichen Wesen wie Geistern, Verstorbenen, Engeln – warum nicht auch Sternen.
Die reiche Sammlung des MMK stammt aus mehreren Konvoluten. Die Sammlung Ströher, die hauptsächlich aus Werken der US-amerikanischen Pop-Art bestand, und die Sammlung Ricke mit Schwerpunkt US-amerikanischem Post-Minimalismus und Konzeptkunst. Hinzu kommen die Ankäufe aus mehr als 30 Jahren unter den Leitungen von Jean-Christophe Ammann, Udo Kittelmann, Susanne Gaensheimer und Susanne Pfeffer.
Zwei neue junge Kuratoren des Hauses, Julia Eichler und Lukas Flygare, stellen aus der mehr als 5.000 Werke zählenden Sammlung jetzt die Bestände den Neuankäufe aus den letzten Jahren gegenüber.
Die Herausforderung gilt auch umgekehrt
Im ersten Stock wurde eine große Fensterfront geöffnet und die Stadt als Bild hereingelassen. Hier steht eine große Eiskarte als Paravent, ein Kunstwerk von Hans-Peter Feldmann, inklusive "Kosakenbecher 6,40", davor gruppiert sind Aluminiumtische und Stühle. Ganz ähnlich sieht es auf der nahen Fußgängerzone vor der Paulskirche aus – eine freundliche Öffnung in die Stadt und vice versa. In Sichtweite hängt ein transparenter Regenmantel des Frankfurters Thomas Bayrle zwischen seriellen Werken seines früh verstorbenen Gefährten Peter Roehr, der eng befreundet war mit Charlotte Posenenske, deren formalistische Wandobjekte wie kleine schützende Dächer in den Raum ragen als ganz gelassene Selbstvergewisserung der Kunststadt Frankfurt.
Viele Publikumslieblinge wie das fantastische Schlafzimmer-Interieur von Claes Oldenburg sind wieder installiert. Der Raum mit dem gewaltigen "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" von Joseph Beuys ist wieder geöffnet, Sturtevant und Gustav Metzger, Donald Judd und Marcel Duchamp sind zu sehen. Und es zeigt sich, dass nicht nur die Neuzugänge sich gegen den imposanten Bestand behaupten müssen, sondern die Herausforderung auch umgekehrt gilt.
War Joseph Beuys‘ "Boxkampf für direkte Demokratie" an eine symbolische Handlung, den Zweikampf, geknüpft, so treten Forensic Architecture mit ihren Forschungen als unnachgiebiger Gegenüber in die demokratische Realität ein. "The Murder of Halit Yozgat", eindrucksvoll im Erdgeschoss installiert, zeichnet das Internetcafé nach, in dem der 21-jährige Deutschtürke Yozgat 2006 von der rechten Terrorgruppe NSU ermordet wurde, in Anwesenheit von Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas Temme im Nebenraum. Mit Schauspielern wurde der Tathergang nachgespielt und alle akustischen und visuellen Vermessungen ausgewertet. Temme, der sich nie als Zeuge meldete und den seine Log-in-Daten verrieten, muss den Mörder gesehen, den Mord gehört und gerochen haben.
Dinge können keine Schuld auf sich laden
Denselben Komplex der deutschen Geschichte untersucht Henrike Naumann. Als NSU-Mitglied Beate Zschäpe 2011 das Haus der Terrorzelle in der Frühlingsstraße in Zwickau anzündete, war die gebürtige Zwickauerin nur einen Kilometer entfernt zu Besuch bei ihrer Großmutter. Zur Wende im Jahr 1989 war sie noch ein Kleinkind, das dem Umbruch vor allem ästhetisch wahrnahm. Dadurch, dass alle plötzlich neue Möbel hatten, erzählt Naumann, die zur Eröffnung kam und eine kurze Einführung hielt. Diese ästhetische Wende – zumeist wurden das alte Mobiliar gegen preiswert produzierte 90er-Jahre-Postmoderne aus dem Möbelhaus ausgetauscht – spielt in ihren Installationen eine wichtige Rolle. Wie haben diese reihenweise abrupt entstandenen neuen Räume Gedanken, Empfindungen und Gesinnungen geformt?
Das MMK kaufte schon früh ihr Werk "14 Words" von 2018 an. Es ist das Mobiliar eines Blumenladens aus Sachsen, den die Künstlerin auf eBay fand. Ohne Blumen wirkt schon die Farbgebung der diagonalen Regale aggressiv und manipulativ, das pastellige Türkis ist einschläfernd soft und eiskalt zugleich. Naumann hat mit Schafsfellen und Vasen eine Einrichtung errichtet, die frösteln lässt und sich zugleich großartig in die obere Etage des postmodernen Hans-Hollein-Baus einfügt. Hinter dem Kassentresen läuft auf Kniehöhe ein Video auf einem kleinen Monitor. Verfremdet und verzerrt sieht man, wie Hände ein herzförmiges Blumengesteck anfertigen. Dazu läuft eine extrem düstere Gabber-Techno-Version von Henry Mancinis "Pink Panther" – dem Maskottchen des NSU.
Dinge können keine Schuld auf sich laden, aber Objekte können Medien beim Channeling der gegenwärtigen Fragen sein. Etwa Cady Nolands Weißwandreifen gegenüber von Sky Hopinkas Mehrkanal-Installation über die Posie und den Schmerz der First Nations. Oder Henrik Olesens Milchtüte, deren Kleingedrucktes homophobe Gewalt auflistet. Oder Gustav Metzgers zwischen zwei Stahlplatten für immer versiegeltes Pressefoto der Hitlerjugend. Oder eben die ins leicht Lächerliche hochskalierte Eiskarte, die wie die Parteienwerbung draußen an den Laternenpfählen zeigt, was es bedeutet, die Wahl zu haben.