Der Maria-Lassnig-Film "Mit einem Tiger schlafen", Romuald Karmakars "Der unsichtbare Zoo" und das Nilpferd-Epos "Pepe": Auf der Berlinale geht es diesmal auffällig viel um Tiere - als Metapher, als Wirklichkeit, als Beobachter
Für Insekten taugt das Kino nicht. Bei Menschen hilft die Trägheit von Auge und Hirn, aus 24 Bildern pro Sekunde einen Bewegungsfluss zu zaubern. Für Libellen oder Fruchtfliegen müsste die Bildfrequenz ungleich höher sein, und auch das Facettenauge von Ameisen lässt sich nicht so leicht übertölpeln. Film interessiert die nicht. Malerei vielleicht eher. Im Berlinale-Forum läuft Anja Salomonowitz' Film über Maria Lassnig, die von Birgit Minichmayr mit angenehm-ironischer Distanz gespielt wird. (Der Schauspiel-Typ "Chamäleon" scheint sogar in Hollywood allmählich auszusterben.)
In einer schönen Szene steht die Künstlerin spätabends nach einer Ausstellung mit einer Überzahl bemalter Keilrahmen auf der Straße. Arnulf Rainer und die anderen Kollegen haben sich längst aus dem Staub gemacht, aus dem jetzt eine Gruppe Ameisen krabbelt, die Lassnig beim Bildtransport hilft. Computeranimierte Tiere, versteht sich. Und der Filmtitel "Mit einem Tiger schlafen" ist auch nicht wörtlich zu nehmen. No animals were harmed for this film.
Bei anderen Filmen im Forum kann man nicht sicher sein. Romuald Karmakar präsentiert dort endlich, nach acht Jahren Arbeitszeit, seinen Dokumentarfilm "Der unsichtbare Zoo". Auch dafür wurden keine Tiere gequält. Das übernimmt der Zoo schon selber, wobei "Quälerei" ein hartes Wort ist – und man nach drei fesselnden Filmstunden konstatiert: Als Aldabra-Riesenschildkröten oder Gelbbrustkapuziner wären wir, wenn schon gefangen, im Zoo Zürich in den besten Händen.
Dass Karmakar den Dreh vom Zoologischen Garten in Berlin (wo er trotz Drehgenehmigung nicht frei genug arbeiten konnte) in die Schweiz verlegte, prägt natürlich den Eindruck vom Mikrokosmos Zoo. Der Züricher Zoo gilt als einer der weltweit besten. Viele Arten sind dort besser aufgehoben als in ihrer natürlichen Umgebung. Ohnehin wertet Karmakar nicht, er verzichtet auf Off-Kommentare, er schildert nur, unter anderem: mit welchem Aufwand Ökosysteme simuliert werden. Die erste Einstellung zeigt ein täuschend naturidentisches Stück Regenwald. Fast wie am Amazonas, nur dass der künstliche Regenschauer sich Stück für Stück aus dem Hintergrund nach vorne vorarbeitet.
Karmakar geht dann bald zum Blick hinter die Maschinerie über, zu den Tierfutterschütten, den Tieren als Futter – weiße Mäuse in Reih und Glied wie Snacks aus der Plastik-Familienpackung –, berichtet von Teambesprechungen, zeigt Tierärztinnen und Tierpfleger und andere aus der insgesamt 400-köpfigen Crew bei der Arbeit. Oder wie Bauarbeiter an einem künftigen Savannen-Gelände mitwirken, für das ein riesiger Baobab-Baum mit Stahlgerüst geschaffen wird.
In langen Einstellungen widmet sich der Film vor allem den Tieren, man staunt über die Sprungkraft junger Antilopen, beobachtet einen Pfau, der gerade kein Rad schlägt und wird Zeuge eines Zwiegesprächs zwischen Pflegerin und Tiger mit Gitter dazwischen. Die Raubkatze ist hungrig und unruhig, weil sie aus irgendwelchen Gründen aufs Futter warten muss.
Vieldeutig der Titel "Der unsichtbare Zoo", der auf den Blick hinter die Kulissen anspielt, auf Kulissenhaftigkeit und Illusionismus aus der Zuschauerperspektive (Zürcher Slogan: "Afrika gleich vor der Tür") sowie auf das weitgehende Verschwinden der Maschinerie für die Tiere, die sich womöglich in freier Wildbahn wähnen. Unsichtbar werden bei Karmakar mitunter auch die Tiere selbst, wenn nämlich eine Andenbärin in eine Metallbox muss – Kistentraining für den baldigen Umzug nach Arizona –, hören wir nur noch ihre lautstarken und vergeblichen Versuche, ihrem Gefängnis zu entkommen. Quälend, doch. Auch fürs Publikum, das an dieser Stelle nichts sieht, aber das Stoßen und Zucken der Kreatur hört. Am Ende des großartigen Films, der mehr Fragen aufwirft als wohlfeile Antworten zu geben, gucken Tieraugen uns an. Gorilla fixiert Zuschauer. Was guckst du?
Schwierige Frage. In der Endphase der Berlinale würden Karmakars Tiere, sähen sie uns wirklich, Leute mit Augenringen sehen. Was vielleicht auch mit der sehr durchwachsenen Qualität des Wettbewerbs zu tun hat – im Forum und in anderen Sektionen wurden wir fündiger. Manche um die Bären konkurrierende Filme wie das italienisch-anachronistische Musical "Gloria!" – Venedig anno 1800: Jungmusikerinnen in einer Art Gianna-Nannini-Battle – waren sogar erschreckend Festspiel-unwürdig.
Leider nur im Mittelfeld: Nelson Carlos de Los Santos Arias' Nilpferdfilm "Pepe", dessen Vorankündigung sich besser las als der Film tatsächlich ist. Ein Flusspferd (Hippopotamus) namens Pepe erzählt mit brummiger Stimme, wie es aus Afrika nach Kolumbien verschifft wurde und dort – mit Artgenossen aus dem Privatzoo des Drogenbarons Pablo Escobar ausgebüxt – im Rio Magdalena landet. Trotzdem ist Arias’ essayistisch ausufernder Spielfilm weniger einer über Tiere denn eine Geschichte von Menschen, die sich mit der Jagd auf Nilpferde von zwischenmenschlichen Problemen ablenken. Hübsch ist die Episode zweier trotteliger junger Drogenmafiosi, die Nilpferde transportieren und eine Heidenangst vor den Tieren haben.
Die Geschichte von Escobar, der in den 1980ern vier afrikanische Flusspferde auf seine Hacienda transportieren ließ, wo er auch Elefanten, Giraffen und Kängurus hielt, ist wahr. Schade, dass sich der Film diesem Strang aber viel zu knapp widmet. Sehr ausgewalzt wird stattdessen die Ehe- und Männlichkeitskrise eines Fischers, der von der bloßen Existenz Pepes in seinem Heimatfluss beunruhigt wird.
Interessanter ist doch aber die Idee, dass gegen Escobar (der 1993 erschossen wurde) und seine Verbrechen wenig auszurichten war und dass dafür Pepe bluten muss. Am Ende franst der Film doch ziemlich aus. Mal abwarten, wie die Jury über den Film und seine Konkurrenten denkt. Am Samstag sind ja dann die Bären los.