Künstlerduo Mehmet und Kazim

"Eure Arbeiten sind scheiße, aber ihr seid zwei coole Jungs"

Das Künstlerduo Mehmet und Kazim arbeitet sich mit dem Wissen von Sprayern durch die Kunstgeschichte und fegt ihre Schwere lässig beiseite. In ihrer ersten Monografie zeigen die Münchner "Kissing Cousins" ihren kritisch-kreativen Umgang mit dem Zeitgeist

"Jung", "wild", "neu"… (Kunst-)Geschichte hat sich immer wieder reißerischen Attributen bedient, um einer vorwärtsgewandten Bewegung oder Gruppe einen Namen zu geben: der "Junge Westen", der "Wilde Westen", die "Neue Sachlichkeit". Am Ende der nominalen Originalität angekommen wurden es irgendwann die "Neuen Wilden" – jene Künstlergruppe, der auch Elvira Bach, A.R. Penck, Martin Kippenberger, Bernd Koberling oder die Brüder Markus und Albert Oehlen hinzugezählt werden.

"Junge Wilde" gab es aber nicht nur in der Kunst. In der Gastronomie, im Sport und nicht zuletzt in der Politik fanden sich aufrührerische Jungaktivisten, die mit – mal mehr, mal weniger – radikalen Ideen die geltenden Zustände in Frage stellten. Nostalgisch erinnert man sich heutzutage zurück an die jungen Wilden der Düsseldorfer FDP: Willi Weyer, Wolfgang Döring und Walter Scheel, die in den 1950er-Jahren den Koalitionswechsel von der CDU hin zur SPD einleiteten. Angelehnt an eine politische Bewegung im Osmanischen Reich, die im 19. Jahrhundert für liberale Reformen und eine konstitutionelle Staatsform kämpfte, wurde die deutsche Gruppe jungliberaler Politreformer auch als "Jungtürken" bezeichnet.


Und treffender könnte eine Bezeichnung für das Künstlerduo Mehmet und Kazim nicht ausfallen. Kritisch-kreative Auseinandersetzung mit ihrem Zeitgeist ist in die Biografie der "Kissing Cousins" eingeschrieben: Ihr Urgroßvater, Rasim Haşmet Akal war – nach Mehmets Aussage im Interview mit dem Kunsthistoriker Florian Matzner in ihrer Monografie – "der erste sozialistische Dichter der Türkei". Sein Sohn, und Großvater der beiden Münchner Künstler, Haşmet Akal war selbst Maler und verkehrte in den 1940er-Jahren während eines Auslandsaufenthaltes mit Größen der europäischen Moderne wie Fernand Léger und André Lhote. In der Türkei war er Gründungsmitglied der Künstlergruppe "Yeniler Grubu", die ins Deutsche übersetzt – wie könnte es anders sein – "Die Gruppe der Neuen" heißt.

Damit war zumindest der genealogische Künstlerkult gesichert. Doch bevor die beiden Maler Mehmet und Kazim Akal selbst den Weg auf der "Straße zum Glück" einschlagen konnten, war der Start an der Akademie der Bildenden Künste in München holprig; bei der Aufnahme an der Kunsthochschule empfing ihr zukünftiger Professor sie mit den Worten: "Eure Arbeiten sind scheiße, aber ihr seid zwei coole Jungs." Und wem könnte so eine wilde Wortwahl in den Sinn kommen? Dem eingangs erwähnten Markus Oehlen, der die beiden "Neuen Jungen Wilden" seit 2015 an der Münchner Akademie lehrt und begleitet.


Seither feilen die beiden Kunstcousins an ihrem Stil, erweitern die Palette ihrer künstlerischen Mittel und experimentieren mit Sujets und Referenzen. Für ihre Einzelausstellung "Rep Yo Colors" in der AkademieGalerie in München schufen sie 2018 eine Serie von Gemälden, in denen Jeansstoff, 3D-gedruckte Knöpfe, Schrift, Text und Embleme verarbeitet waren. Die zugrundeliegende Idee war eine von den Rückenansichten der New Yorker Street Gangs der 70er-Jahre inspirierten Jeansjacken-Hall-of-Fame mit "eigenen Gangs aus der Kunstgeschichte". Neben den "Yung Wilds" haben es die "Renaissance Kings", die "Blue Riders", die "Insane Dadaists" und die "Majestic Beuys" mit charakteristischen Gang-Jacken in die Ruhmeshalle der Kunstikonen geschafft.

Die drohende Gefahr, sich an diesen namhaften Strömungen lediglich mit Plattitüden entlangzuarbeiten, lassen Mehmet und Kazim an ihrem ästhetischen Selbstbewusstsein abprallen: Stilistisch kommen beide aus der Hip-Hop- und Sprayer-Szene und bringen ein organisch gewachsenes Sammelsurium von Street-Art und Graffiti-Wissen ein. In den ersten Semestern ihres Kunststudiums arbeiteten sich die Münchner "Jungs" durch die Standardwerke der Kunstwissenschaft, machten sich mit der Geschichte und Materie Kunst bekannt und entwickelten ein Verständnis für Malerei als Gattung. Dabei stießen sie auf den amerikanischen Maler Philip Guston, einem Hauptvertreter des New Image Painting, der für die damaligen Akademieneulinge sofort zu einer Art Vorbild avanciert. In der Mitte von Gustons abstraktem Expressionismus und ihrer eigenen Graffiti-Vergangenheit finden Mehmet und Kazim eine eigene Comic-Ästhetik, die sich großen Vorbildern bedient und sie durch den Filter der persönlichen Sozialisation in eine subjektive Gegenwart übersetzt. Heraus kommt dabei ein Werk wie "Straße zum Glück": In Anlehnung an die Ku-Klux-Klan Figuren in Philip Gustons "White Winter Hymnal" sitzen hier die kussmundformenden Cousins mit "Bubble Style"-geformten Augen in einem überdimensionierten Adidas-Sportschuh-Auto und verbreiten Çay-schwenkend liebevolle Stimmung.

Denn ein nicht wegzudenkendes Grundelement von Mehmet und Kazims Kunst ist Humor. Ein Blick durch das bisherige Werkverzeichnis mit Werktiteln wie "Berghain Nein", "Identität du scharfe Peperoni" oder "Fast monochrom" ist pure Ermunterung. Die Straße zum Glück (im Englischen Happy Trail) bezeichnet üblicherweise den kurzen, haarigen Pfad, der vom Bauchnabel zum männlichen Genitalbereich verläuft. Lastendes Gewicht monumentaler Werke oder altehrwürdiger Namen enthemmen Mehmet und Kazim mit lächelnder Leichtigkeit und ermöglichen so eine zeitgenössische Aufarbeitung einer sonst eher schwerfälligen Kunstgeschichte. Besonders im Kontext des Werks "Straße zum Glück" wird beispielhaft sichtbar, wie die gebürtigen Münchner pointiert und selbstironisch intervenieren und das ambivalent diskutierte Thema "Männlichkeit" in den Fokus stellen.

Und für diese erfrischende Aufarbeitung muss man fast dankbar sein. In einigen stark religiös geprägten Ländern gehören Begrüßungsküsse auf die Wange ebenso zum habituellen Alltag wie homophobe Haltungen oder diskriminierende Gesetze. Gleichzeitig ist die sonst so liberal orientierte Kunstwelt unglücklicherweise auch ein männerdominiertes und von diskriminierenden Strukturen durchsetztes Umfeld, in dem alle Minderheiten Minderheiten bleiben. Mittendrin und wertungsfrei cruisen die "Kissing Cousins" Mehmet und Kazim in ihrem Sportschuh-Auto und lassen deutungsfrei, wen sie küssen, wann oder warum. Allgemein treten sie konsequent als Duo auf, das dominante Einzelwerk kommt nicht in Frage. Diese inhaltliche Kontinuität bzw. der kontinuierliche Bruch mit Konventionen bildet sich wieder in den künstlerischen Mitteln ab: Für "Rep Yo Colors" sprengten Mehmet und Kazim mit Relief- oder Collagenerweiterungen die Gattungsgrenzen der Malerei; für die Pinakothek der Moderne fertigten sie ein riesiges Wandgemälde an; im Hotel Mariandl in München richteten sie eine Rauminstallation mit einem Stop Motion Film ein und bei "Straße zum Glück" finden sich – wie in allen bisherigen Werken – dominant die Farben rot und weiß.

Warten kann man lange, was aus der Bedeutungsschwangerschaft der Farbpsychologie hervorgeht: Rot als Signalfarbe wie bei der Feuerwehr, Rot für Wut, das Rot der Liebe und Leidenschaft, das Rot der "Bild"-Zeitung oder Türkisch-Rot? Mehmet stellt im Interview wiederum klar: "Wir reduzieren uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, unseren Nachnamen Akal, der übersetzt 'Weiß/Rot' bedeutet." Diese nüchterne Profanität, gepaart mit der Verdinglichung von Positionen im Diskurs-Dschungel der Kunstwelt weht frischen Wind herein. Und der duftet nach Çay und Malfarben.