Medienschau

"Ganz alltägliche Umgangsformen stehen plötzlich infrage und werden stigmatisiert"

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Gedanken zum Trigger-Thema "Kulturelle Aneignung", Anfeindungen gegen Florentina Holzinger und ein gelungenes Schauermärchen von Matias Faldbakken: Das ist unsere Presseschau am Freitag
 

Debatte

"Kulturelle Aneignung" ist zum Trigger-Begriff der Gegenwart geworden – Fälle wie das angebliche Sombrero-Verbots für Tänzerinnen auf der Bundesgartenschau in Mannheim letztes Jahr wurden zum Skandal hochgeschaukelt. Besonnen geht Thomas Thiemeyer, Professor für Empirische Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen, das Thema in einem Gastbeitrag in der "FAZ" an. "Die Idee der kulturellen Aneignung basiert auf einem Grundgedanken, der jede Solidarität verdient. Sie will schwache oder marginalisierte Gruppen, die schutzlos sind, vor Vereinnahmung und Ausbeutung durch jene schützen, die den Ton angeben und die Regeln festlegen", schreibt Thiemeyer. "Machtkritisch betrachtet, lautet die Frage: Wer kann solche Rechte geltend machen und wer nicht? So gefragt, verliert die einst so selbstverständliche Aneignung immer dann ihre Unschuld, wenn Machtasymmetrien im Spiel sein könnten. Das verärgert und verunsichert, weil ganz alltägliche Umgangsformen plötzlich infrage stehen und stigmatisiert werden."

Mehrere Medien greifen das Interview mit Florentina Holzinger auf, in dem sie mit Monopol über die Skandalisierung ihrer Opernperformance "Sancta" in Stuttgart spricht (lesen Sie das Interview hier). "Team der 'Skandal'-Oper 'Sancta' erhält Drohungen und braucht Schutz vor dem Publikum", titelt beispielsweise die "Frankfurter Rundschau". "ZDF heute" macht einen Instagram-Post mit einem Zitat aus dem Interview auf: "Ich will mich auf keinen Fall zensieren lassen".


Kunstmarkt

Stefan Kobel gerät bei seinem Besuch der Art Basel Paris im "Tagesspiegel" ins Schwärmen: "Das ist der große Wurf. Der erste Auftritt der Art Basel in Paris unter eigenem Namen im grundsanierten Grand Palais ist das Kunstereignis dieses Jahres. Wirklich alle sind gekommen, um bei der Premiere dabei zu sein: das Metropolitan Museum aus New York, das Hammer Museum aus Los Angeles, die vollzählige Sammlerfamilie Rubell, das Rheinland sowieso, dazu Belgier, Briten, Italiener etc. pp. Als hätten die Schweizer das Rad unter der riesigen Kreuzkuppel aus Stahl und Glas neu zu erfinden angekündigt, strömt die ganze Kunstwelt nach Paris und lässt die Frieze in London eine Woche zuvor fast wie eine Provinzmesse wirken", schreibt Kobel. Die einzelnen Messe-Sektionen überzeugen Kobel genauso wie die Architektur; auch die Galeristen zeigten sich mehr als zufrieden über den Zuspruch der Sammler. Einziges Manko: "Der Espresso eines sich kunstnah gebenden italienischen Kaffeerösters, der in Turin oder Madrid umsonst ausgeschenkt wird, kostet in der Halle 3,50 Euro."


Ausstellung

Den starken Typen zu markieren, der schon als Jugendlicher im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern den monströs großen John-Deere-Traktor fahren musste – auf Dauer war das nichts für Navot Miller. Die Synagoge des kleinen orthodoxen Ortes in der Westbank, in der er aufwuchs, wurde zum Schutzraum für ihn. "Noch vor der Bar Mizwa, als Elf- oder Zwölfjähriger, traf er sich mit anderen Jungs in der Synagoge, wenn sie nicht benutzt wurde, und machte dort seine ersten sexuellen Erfahrungen", schreibt Nicola Kuhn im "Tagesspiegel", die Miller anlässlich seiner Ausstellung "A Pink Shul" in der Galerie Wannsee Contemporary gesprochen hat. Queerness und Religion – in Navot Millers Malerei geht das zusammen. Eines seiner Gemälde zeige "eine Synagoge, deren Innenraum quietschbunt ausgemalt ist, vor allem in diversen Rosatönen, Männer, die paarweise oder zu dritt umschlungen, mit dem Rücken zum Betrachter im Gebetsraum stehen, dazu auch noch nackt", schreibt Kuhn. Provozieren wolle der Künstler, der seit 13 Jahren in Berlin lebt, damit aber nicht: "Man könnte dem Künstler Naivität unterstellen, doch er hat ein sehr ernsthaftes Anliegen, auch mit seiner 'Pink Shul', so der jiddische Begriff für Synagoge. Navot Miller wünscht sich, dass ein übergreifendes Zusammengehen noch so unterschiedlicher Religionen und Lebensentwürfe möglich ist, die rosa Synagoge könnte ein Ort für alle sein."

Bücher

Der Norweger Matias Faldbakken ist neben Künstler auch ein äußerst produktiver Romanautor. In seinen Werken "Wir sind fünf" oder "The Hills" geht es immer skurril und nicht selten geschmacklos zu. Äußerst gelungen findet Franz Haas Faldbakkens neuestes Werk "Armes Ding", "eine Mischung aus Volksmärchen und postmodernem Entwicklungsroman, einer zauberhaft ironisch grundierten Stadt-Land-Gruselgeschichte", wie er in der "NZZ" schreibt. Obwohl der Titel und auch einige Frankenstein-Motive an Yorgos Lanthimos' Blockbuster "Poor Things" von 2023 denken lassen, ist der Roman im Original schon vorher erschienen. Franz Haas findet: "Matias Faldbakken hat auch in diesem Roman ein faszinierendes Kunstwerk gebastelt, ein Produkt wie aus den Werkstätten von Frankenstein und Pygmalion, ein Hexengebräu aus Gruselromantik und Kunstmärchen, versetzt mit einem guten Schuss von Ironie und Sprachspielerei, die auch in der Übersetzung von Max Stadler überzeugend funkelt." Klingt nach einer Leseempfehlung!

Schriftsteller Clemens Meyer schimpft auf Buchpreis-Jury: "Ich habe gerufen, es sei eine Schande für die Literatur, dass mein Buch den Preis nicht bekommen hat", beschrieb er in einem "Spiegel"-Interview seine Reaktion bei der Verleihung. Meyer hatte am Montag die Zeremonie verlassen, als verkündet wurde, dass nicht sein Werk die renommierte Auszeichnung erhält, sondern Monika Hefters Buch "Hey guten Morgen, wie geht es dir?". Wie der Autor dem "Spiegel" sagte, wolle er zwar weiter literarisch schreiben, mit dem Deutschen Buchpreis habe er jedoch abgeschlossen: "Ich sage: nie wieder. Mir ist diese nervliche Anspannung zu groß." Und: "Wenn ich jetzt auf Platz eins der Bestsellerliste wäre, dann hätte ich 100.000 neue Leser und könnte meine Schulden bezahlen. Ich wäre meine finanziellen Sorgen für eine Weile los." Er müsse derzeit eine Scheidung finanzieren und habe 35.000 Euro Steuerschulden angehäuft, so der Autor. Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und wurde zum 20. Mal verliehen. Die siebenköpfige Jury hatte dafür 197 Romane aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gesichtet. In der Endrunde standen neben Hefter und Meyer auch Maren Kames ("Hasenprosa"), Ronya Othmann ("Vierundsiebzig"), Markus Thielemann ("Von Norden rollt ein Donner") und Iris Wolff ("Lichtungen"). Meyer, der 1977 in Halle/Saale geboren wurde und in Leipzig lebt, stand mit seinem Buch "Die Projektoren" in der Endrunde. Sein früheres Werk "Im Stein" war 2013 in der engeren Auswahl um den Deutschen Buchpreis gewesen. Der 47-Jährige ist schon mit mehr als 20 Literaturpreisen ausgezeichnet worden. 2008 gewann er den Preis der Leipziger Buchmesse für seinen Kurzgeschichtenband "Die Nacht, die Lichter".