Medienschau

"Das Motto könnte heißen: Masturbieren, masturbieren, masturbieren"

artikelbild_monopol-medienschau

Kunst als Ressource für Gesundheit, Bad Gastein als Kunstort und Miranda July als Verteidigerin der Autoerotik: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Debatte

Kann Kunst die Gefühle und Weltanschauung von Menschen beeinflussen? Zumindest möchte das die institutionelle Kulturwelt gern glauben - und eine Studie der Universität Wien liefert nun auch Indizien dafür, wie der österreichische "Kurier" berichtet. Die Forschenden testeten die Einstellung von Probandinnen und Probanden gegenüber Zugewanderten vor und nach dem Besuch einer Kunstschau. "In Kooperation mit dem Dom Museum Wien wurden anhand der Ausstellung 'Zeig mir deine Wunde', die sich mit dem Thema der Verletzlichkeit befasst, zwei Tests durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden 41 Teilnehmende unmittelbar vor und nach dem Museumsbesuch zu ihrer Haltung gegenüber eingewanderten Personen und ihrem Einfühlungsvermögen befragt. Hier zeigte sich bereits, dass die Personen mehr Akzeptanz und eine geringere Fremdenfeindlichkeit nach dem Besuch der Ausstellung aufwiesen." Dieser Effekt halte auch im Leben außerhalb des Museums weiter an. Der Artikel zitiert auch den Hauptautor der Studie, Matthew Pelowski von der Fakultät für Psychologie der Uni Wien. "Unsere Studie untermauert die Idee, dass Ausstellungen ein verlässliches Instrument sind, um gesellschaftliche Themen zu beleuchten. In den vergangenen Jahren hat sich der Blick auf die Kunst in unserer Gesellschaft gewandelt. Die Künste werden nicht mehr als reine Freizeitbeschäftigung angesehen, sondern vielmehr als eine mächtige und oft ungenutzte Ressource für Gesundheit, Lernen und persönliches oder gesellschaftliches Wohlbefinden." 

Bücher

Nach langem betretenen Schweigen über die weibliche Menopause dominieren Geschichten über das Klimakterium gerade die Bücherregale und Social Media - und die einst schamhaft besetzte "Midlife Crisis" wird ratgebertauglich zur besten Zeit des Lebens umgedeutet. Literarisch virtuos bearbeitet dagegen die Künstlerin, Autorin und Filmemacherin Miranda July das Thema in ihrem aktuellen Roman. Marie-Luise Goldmann ist in der "Welt" begeistert. "Die Amerikanerin Miranda July hat der weiblichen Midlife-Crisis jetzt ein Denkmal gesetzt. Und zwar eines, bei dem man erst beim Lesen merkt, welche klaffende Lücke vorher dort war: Julys Roman 'Auf allen vieren' ist nicht nur die humorvolle Geschichte einer Frau, die mit 45 Jahren ihr Leben auf den Kopf stellt, sondern auch eine der umfassendsten, präzisesten und aufschlussreichsten Erkundungen der weiblichen (Prä)Menopause, die es jemals aus der Expertenecke auf die Bestsellerlisten geschafft hat." Dabei geht laut Goldmann auch um eine Art von Begehren, die Mainstream-Romantik entgegenläuft. "Man hat es hier mit einer 'Eat Pray Love'-Version für postmoderne und sexuell befreite Großstadt-Alternative zu tun. Statt 'Essen, Beten, Lieben' könnte das Motto insofern auch heißen: Masturbieren, masturbieren, masturbieren. July etabliert die Autoerotik als Kreativitätsmaschine und Fiktionsgenerator – gar als Beginn aller Literatur?"

Street-Art

In dieser Woche sind in London zwei neue Werke von Banksy aufgetaucht. Michael Neudecker ist für die "Süddeutsche Zeitung" vor Ort und rätselt über die politische Botschaft der einen Arbeit, deren Autorschaft vom Künstler via Social Media bestätigt wurde. Auf einen realen Mauervorsprung am Kew Green im Londoner Südwesten hat Banksy eine Ziege (oder einen Steinbock) gesprüht, daneben fallen virtuelle Steine herab. Eine Überwachungskamera an der Wand wurde so gedreht, dass sie auf das Symboltier hält. Symbol – für was eigentlich? "Wenig Platz, die herunterfallenden Steine – ist das nicht ein Hinweis auf die Wohnungsbaukrise im Land? Auf 'Broken Britain'? Und die Kamera ist vielleicht ein Verweis auf die omnipräsenten Medien im Königreich, die auch dann noch draufhalten, wenn der Absturz kurz bevorsteht?", fragt Neudecker. Neue Hinweise für die Banksy-Suche gibt es in Kew ebenso. Einiges spricht ja dafür, dass der (oder die?) Rätselhafte in London lebt. Ein Mann wurde gegenüber der Ziege gesichtet, "Ein mutiges Mädchen spricht ihn an: 'Are you Banksy?', fragt sie ohne Umschweife. Der Mann blickt irritiert. Er sagt 'no', sonst nichts, einfach 'no*, um dann den Ort des Geschehens schnell zu verlassen, sich weiter – aha! – verdächtig umblickend." Zu Banksys Tierleben zählen nun auch noch zwei Elefanten in Chelsea im Südwesten Londons, ergänzt Stefan Trinks in der "FAZ", "ein veritabler animalischer Repräsentant der republikanischen Trump-Partei in den USA auf den Plan, der seinem Gegenüber J. D. Vance den in den vergangenen Wochen zigfach in den Medien gesehenen symbolischen Handschlag gibt, gewissermaßen eine altrömische Dextrarum iunctio der Rüssel à la Aesop."

Der besondere Kunstort

Einst ein Badeort für die Aristokratie und Kulturelite des alten Europa, lag das österreichische Bad Gastein im Salzburger Land lange im substanzangreifenden Dornröschenschlaf. Nun sollen die einst prächtigen Paläste und Hotels für ein kulturaffines Hipsterpublikum erschlossen werden, wie Thomas Mießgang in der "Zeit" schreibt. Dabei sei gerade die pittoreske Verfallenheit ein Anziehungsmerkmal des Ortes: Das angestrebte Klientel schätze den "ruin porn vergammelter Grandezza, der ihre Kreativität stimuliert: spinnwebenüberzogene Räume, in denen noch Luster aus der Zwischenkriegszeit hängen. Speisesäle, deren Tische seit 20 Jahren mit Silberbesteck und feinstem Porzellan eingedeckt sind." Eine besondere Rolle beim Wachküssen spielt die Kunst, beispielsweise das alljährliche Festival der Kulturmangerin Andrea von Goetz und Schwanenfliess, das zur Sommerfrische-Option für den Kultur-Jetset geworden ist. "Die diversen Kunstaktivitäten, die sich alle Jahre schwerpunktmäßig im Juli entfalten, seien sicher nicht der große 'monetäre Burner' für die Gemeinde, sagt Goetz: 'weil wir nicht 5.000 Betten pro Tag belegen'. Gelungen sei aber ein fundamentaler Kultur- und Imagewandel. Was man auch an der hohen Dichte von Hipsterbärten am Straubingerplatz ermessen kann." Unser Autor Timo Feldhaus hat das Festival 2023 besucht und war ebenfalls ganz verzaubert.