Medienschau

"Man weiß gar nicht mehr, wie man sich amüsieren soll"

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Ein Buch über die freudlosen Eskapaden der Kunstblase, Gedenkarbeit von Chris Ofili und der Boom von Wunderglauben in der Kultur: Das ist unsere Medienschau am Dienstag


Buchkritik

In der "FAZ" bespricht Kira Kramer den Roman "Nichts in den Pflanzen" von Nora Haddada, in dem sich die undurchsichtige Drehbuchautorin Leila in der großstädtischen Kunstblase herumtreibt. "Nicht weniger zwielichtig als ihre Protagonistin entwirft Haddada die Welt, in der sich Leila bewegt", schreibt Kramer. "In der Film- und Kulturszene (mutmaßlich von Berlin) scheint es keine Trennung mehr zwischen Privatem und Beruflichem zu geben. Nicht nur wird gemeinsam sauniert und konsumiert – vornehmlich auf Smartphone-Displays mit Plastikkarten Zerhacktes –, sondern auch intimste Körperlichkeit ausgetauscht, ohne dass dabei Freude aufkäme." Die Kritikerin attestiert Haddadas Debüt ein "geschickt inszeniertes Schillern zwischen Fiktionalität und Nonfiktionalität". Außerdem hebt sie "hellsichtige" Aussagen wie diese hervor: "Weißt du, es ist so unglaublich langweilig geworden, seitdem sie die Tabus abgeschafft haben. Man weiß gar nicht mehr, wie man sich amüsieren soll".


Think-Piece

In einem lesenswerten Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" analysiert der Historiker Tillmann Bendikowski den gegenwärtigen Boom von Esoterik und Wunderglauben. "Historisch betrachtet ist das magische Denken vor allem ein Phänomen von Krisenzeiten, und die Angst ist der Schlüssel dazu: In individuellen Notlagen, bei Krieg und Hunger blühte stets die Sehnsucht nach Hilfe durch übernatürliche Kräfte in besonderem Maße", schreibt der Historiker – sei es der Einfall der Wikinger in Mitteleuropa im frühen Mittelalter, der Dreißigjährige Krieg, die "German Angst" während der Tschernobyl-Jahre oder die Corona-Krise, durch die sich "das esoterische Milieu in Deutschland politisch mitunter erheblich radikalisiert" habe. Gerade auch das "Dritte Reich" war durchdrungen von magischen Vorstellungen, "allen voran hatte der Wahn vom 'Blut' um sich gegriffen, das wahlweise als 'germanisches' vergöttert oder als 'jüdisches' verteufelt wurde", schreibt  Bendikowski und resümiert: "Unser Aberglauben ist ein vielschichtiges spirituelles, aber eben auch ein brisantes Erbe."
 

Debatte

Rüdiger Schaper setzt sich im "Tagesspiegel" mit der Kunst im Berliner Stadtraum auseinander. Genauer gesagt mit dem, was fehlt. Denn während es an skulpturalen Darstellungen, die "Teil der Erinnerungskultur" sind, nicht mangele ("das kann angesichts der deutschen Geschichte in der Hauptstadt auch nicht anders sein"), tue ich Berlin mit "zeitgenössischer Skulptur, die frei steht und frei dreht", aber schwer. "Es fällt immer besonders auf, wenn man von einer Reise zurückkehrt und sich unvermittelt nach etwas umschaut, das anderswo ins Auge springt. Das Überraschende, Spielerische, Provokante: wo wäre es hier zu finden?" Aber vielleicht könne die in dieser Woche beginnende Art Week, so Schapers Hoffnung, Impulse geben für Kunst draußen auf den Plätzen.
 

Porträt

Die "Berliner Zeitung" bringt ein schönes Porträt des Malers Norbert Bisky. In dessen Werk, so Ingeborg Ruthe, erfasse man "rasch, um was es geht, nicht abbildhaft, sondern universal ausgedrückt: Chaos, Gewalt, Zerstörung. Kein Halt. Nirgends. Aber auch Zärtlichkeit: Das Leben ist schön, aber die Welt ist leider an vielen Orten schlecht. Und wir Wohlstandsdeutschen leben mit vorauseilendem Lamento in der 'Sub-Apokalypse'". Ganz anlassfrei erscheint der Text nicht: Zur Berlin Art Week gestaltet Bisky vom morgigen Mittwoch bis Samstag vier Titelseiten der "Berliner Zeitung".
 

Podcast

War der Augenklappen-Post von Olaf Scholz jetzt große Bildpolitik (hier unser Artikel zum Thema) oder ein verzweifelter Versuch von Humor eines Humorlosen? Ist die Meme-Flut voller Piraten- und "Mit dem Zweiten sieht man besser"-Bilder im Netz noch auszuhalten? Im "Übermedien"-Podcast bespricht Moderator Holger Klein diese Fragen mit dem Satiriker Tim Wolff. Der ist überhaupt kein Fan der Kanzler-Aktion. "Die ganze Situation ist einfach falsch", sagt der ehemalige "Titanic"-Chef und heutige Autor für "Neo Magazin Royale": "Wenn ein Kanzler so etwas in die sozialen Medien gibt und sagt: Hier, macht mal Witze, dann hat sich die ganze Öffentlichkeit in eine Art 'Titanic'-Redaktionssitzung verwandelt. Und ich kann mit sehr viel Erfahrung sagen: Die Welt sollte keine 'Titanic'-Redaktionssitzung sein."


Das besondere Kunstwerk

Im "Guardian" hat Gary Younge mit dem Künstler Chris Ofili gesprochen, der sich nach langem Zögern in einem epischen Wandbild mit dem verheerenden Brand im Londoner Grenfell Tower auseinandergesetzt hat. Im Juni 2017 kamen dabei 72 Menschen ums Leben kamen, der Brand wurde durch billiges, eigentlich verbotenes Dämmmaterial begünstigt. Ofili hat sich auf das Schicksal der Künstlerin Khadija Saye konzentriert, die in den Flammen zu Tode kam. Sein "Requiem" für die Grenfell-Opfer ist im Treppenhaus der Tate Britain zu sehen.