Medienschau

"Eine beschämende Ablenkung von der größten Gefahr"

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Jüdische Künstlerinnen und Intelektuelle protestieren gegen eine geplante Bundestagsresolution und in deutschen Museen lagern Altertümer aus dem Osmanischen Reich mit fragwürdiger Herkunft: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch
 

Debatte

In der "Taz" ist ein Protestbrief jüdischer Intellektueller und Kulturschaffender abgedruckt, die sich gegen die geplante Bundestagsresolution "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" aussprechen. Der Entwurf der Resolution sei auf Studierende, Künstlerinnen und Künstler und Migrantinnen und Migranten fixiert und suggeriere, dass die größte Gefahr für Jüdinnen und Juden von Menschen ausgehe, die mit linker Politik in Verbindung gebracht werden und von außerhalb Deutschlands kämen. Dabei sei klar, "dass die überwältigende Mehrheit der antisemitischen Straftaten ihren Ursprung im deutschen Rechtsextremismus hat, eine Tatsache, die seit langem von der Bundesstatistik bestätigt wird. Wir haben keine Angst vor unseren muslimischen Nach­ba­r*in­nen und auch nicht vor unseren Künstlerkolleg*innen, Schrift­stel­le­r*in­nen und Akademiker*innen. Wir fürchten die wachsende Rechte, wie sie sich in Massenversammlungen von Neonazis zeigt, die durch ein nationales Klima der fremdenfeindlichen Angst ermutigt werden. Wir fürchten die Alternative für Deutschland, die zweitstärkste politische Partei des Landes, deren Führungsfiguren wissentlich Nazi-Rhetorik verbreiten. Diese Bedrohung wird in der Resolution kaum erwähnt, die sich stattdessen auf Aus­län­de­r*in­nen und Minderheiten konzentriert – eine beschämende Ablenkung von der größten Gefahr für Jü­d*in­nen in Deutschland. Es zeigt, dass Deutschland seine Vergangenheit noch nicht bewältigt hat." Zu den rund 90 Unterzeichnenden gehören die Schriftstellerin Esther Dischereit, die Künstlerin Candice Breitz, die Autorin Deborah Feldman und die Musikerin Peaches Nisker.
 

In der "NZZ" stört sich Ueli Bernays am achtsamen Klima des Zürcher Festivals am Utoquai, dessen Star ein vermeintlich gestrandeter Pottwal ist. Vielmer stapfe aber in seinem Schatten ein Elefant mit einer lähmenden Fracht: "Awareness" und "Wokeness". Was Ueli Bernays auf dem Gelände schon vor der Entdeckung der All-Gender-Toiletten festmacht. "Die Wokeness beginnt allerdings bereits beim Eingang, wo eine Tafel den Besuchern 'Awareness' anempfiehlt: Es handle sich dabei um Aufmerksamkeit für die eigenen Grenzen und Sicherheitsgefühle ebenso wie die der anderen. Sollten die eigenen Grenzen, der eigene Horizont denn nicht erweitert werden an einem Theaterfestival, mag man sich fragen. Aber darum geht es nicht. Es geht um 'voreilige Berührungen, einen starren Blick auf eine Person oder eine unbedachte Aussage, die Menschen verletzen könnten.'" Dazu gebe es auch eine Art Awareness-Polizei in grünen Westen. Auch vom Festival-Safer-Space, in den man sich zurückziehen kann, hatte Ueli Bernays sich mehr versprochen: "Es handelt sich indes um ein enttäuschend kleines Zimmer mit ein paar Sitzgelegenheiten."


Interview

Juliane Liebert führt in der "Zeit" ein aufschlussreiches Gespräch mit der Musikerin, Filmemacherin und Performance-Künstlerin Laurie Anderson, deren neues Album am 30. August erscheint. Die Avantgarde-Musikerin hat es einer Pionierin der Luftfahrt gewidmet, Amelia Earhart, die vor 87 Jahren über dem Pazifischen Ozean abstürzte. "Ich habe versucht, mir ihren Gemütszustand vorzustellen", sagt Anderson. Sie habe es nicht wiedergeben können. "Ich verstehe ja kaum meinen eigenen Verstand." Stattdessen sah sie sich Earharts Aufzeichungen an und spürte ihre Erschöpfung. "Mein Song 'Road to Mandalay' beschreibt den Moment von Earharts letzter Reise, an dem sie den Faden verliert. Sie begann, immer wieder die gleichen Worte zu wiederholen. Und als Musikerin liebe ich Loops." Außerdem erzählt die 1947 geborene New Yorker Künstlerin, dass sie mit 27 Jahren zum Nordpol trampen wollte – was sie fast geschafft hätte – und währenddessen ihr Atelier und viele ihrer Gemälde von Einbrechern zerstört wurden. "Danach habe ich zum ersten Mal in einem Aufnahmestudio gearbeitet." Rückblickend scheint sie kein großer Fan ihrer eigenen Bilder zu sein: "Ehrlich gesagt ist es besser, dass sie zerstört wurden. Sie waren nicht besonders gut."


Raubkunst

Im "Tagesspiegel" rezensiert Rolf Brockschmidt das Buch des Historikers Sebastian Willert, der Beweise dafür hat, dass deutsche Ausgrabungsleiter im Osmanischen Reich Anfang des 20. Jahrhunderts Funde ausführten, auf die sie keinen Rechtsanspruch hatten. Sowohl die Königlichen Museen zu Berlin als auch das 1869 neu gegründete Müze-i-Hümayun (Imperiales Museum) in Istanbul hatten sich Altertümer aus dem Osmanischen Reich in großem Stil angeeignet, um im Wettstreit mit den Museen in Paris und London zu bestehen. Willerts Arbeit deckt Tricksereien der Deutschen auf, die beispielsweise 1906 Funde aus Tell Halaf und anderen Orten als Umzugsgut oder privates Gepäck deklarierten. "Dieses verdienstvolle Buch stellt vor allem die Staatlichen Museen zu Berlin vor die heikle Aufgabe, ihre Provenienzforschung weiter voranzutreiben," schreibt Brockschmidt.

Die besondere Kunststadt

Bernhard Spring macht für die "FAZ" einen ausführlichen Spaziergang durch Görlitz, das als international beliebter Film-Drehort auch "Görliwood" genannt wird. Hinter den Kulissen der östlichsten Stadt Deutschlands findet der Autor einige Schattenseiten, über die man sonst schweigt. Dass die die detailgetreue Nachbildung des Heiligen Grabs aus Jerusalem, eine der Sehenswürdigkeiten, in der Renaissance als Buße für eine Vergewaltigung errichtet wurde, werde beispielsweise verschwiegen. Die Entpolitisierung der Geschichte ist auch in Ausstellungen zur Stadthistorie spürbar: "In den Räumen zur Zeitgeschichte hängen große Porträts der Widerstandskämpfer aus Schlesien, nicht aber der Top-Nazis aus dieser Region. Überhaupt interessiert mehr, welchen Mantel aus Wolle und Schaffell ein älterer Mann während der Vertreibung trug, als die Frage, wie er zuvor möglicherweise das NS-Regime vor Ort unterstützt haben könnte." Die gezielte Kulissenhaftigkeit setzt sich bis ins polnischen Zgorzelec am anderen Ufer der Neiße fort. "Die Häuser dort empfangen die deutschen Touristen, die über die Altstadtbrücke die benachbarte Partnerstadt besuchen. Erst beim zweiten Blick fällt auf, dass das Ensemble aus einem guten Dutzend Häusern komplett leer steht. Auf den Fenstern kleben noch die Lieferscheine." Der Leerstand in Görlitz mache die mehr als 120 Filmdrehs hier andererseits überhaupt erst möglich. Eine der schönsten Attraktionen der Stadt: das Jugendstil-Kaufhaus am Demianiplatz mit Freitreppen und Glaskuppel, auch bekannt als Empfangshalle des "Grand Budapest Hotel" von Wes Anderson. Doch seit Jahren stockten die Bemühungen eines Investors und der Stadt, das Gebäude wieder zu beleben. "Abgehängtheit, Schrumpfung, Überforderung: Die AfD hat hier bei der Europawahl 40,1 Prozent der Stimmen erhalten, mehr als überall sonst in Sachsen. Bei der letzten Kommunalwahl waren es immerhin 36,1 Prozent. Im Stadtrat stellen die Rechten die größte Fraktion, auf der in der Mittagshitze menschenleeren Straße werben sie mit 'Sicherheit statt Chaos' für die bevorstehende Landtagswahl", schreibt Spring.