Medienschau

"Die Kulturszene ist in Panik"

artikelbild_monopol-medienschau

Die französische Kunstwelt vor den Parlamentswahlen, ein dahinschmelzendes Lincoln-Denkmal und kaum Überraschungen bei Londoner Auktionen: Das ist unsere Presseschau am Freitag

Debatte

Fatina Keilani findet in der "NZZ" den Vorstoß von Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg, den Verfassungsschutz zum ersten Kunstrichter im Land zu erklären, für "äusserst vage": "Verstösst eine abstossende Vergewaltigungsszene in einem Theaterstück gegen die Menschenwürde? Was ist mit Videokunst, die den Faschismus glorifiziert? Zudem weiss man vorher nicht, wie das geförderte Kunstwerk aussehen wird. Eine Rückforderung von staatlicher Kunstförderung ist laut dem Verfassungsrechtler Christoph Möllers ausgeschlossen. Politisch korrekte Kunst, vom Staat gutgeheissen und finanziert, ist nicht frei. Der Staat darf nicht zum Kunstrichter ernannt werden, er ist nur dazu da, die Einhaltung der gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Normen zu garantieren. Er kann keine präventive Kunstkontrolle vornehmen."

Politik

Angesichts der bevorstehenden französischen Parlamentswahlen, bei denen die rechtspopulistische Rassemblement National (RN) in den Umfragen vorne liegt, hat "Le Monde" mit Kulturschaffenden über die möglichen Auswirkungen eines Wahlsiegs der Partei gesprochen. Viele befürchten italienische Verhältnisse, so dass wichtige Führungspersönlichkeiten in Kultureinrichtungen durch rechtsgerichtete und konservative Personen ersetzt werden und dass Institutionen Mittelkürzungen und Zensur drohen. Das Wahlprogramm der RN bevorzugt auch die Erhaltung des französischen Kulturerbes gegenüber der zeitgenössischen Kunst. "Die Kulturszene ist in Panik", fassen die Autorinnen Roxana Azimi und Michel Guerrin zusammen.

Spätestens nach dem TV-Duell zwischen Donald Trump und Joe Biden gestern Nacht wissen wir, dass auch Präsidenten und Ex-Präsidenten in schlechter Form sein können. Da wirkt ein schmelzendes Wachsversion des Lincoln-Denkmals sehr symbolträchtig. Bei Rekordtemperaturen in Washington ist der Kopf der Statue des Künstlers Sandy Williams IV an einer Grundschule fast vollständig weggeschmolzen. Williams sagte der "New York Times", er habe gewusst, dass er sich eines Tages Gedanken darüber machen müsse, was steigende Temperaturen mit Kunstwerken aus Wachs wie den seinen anstellen würden, aber "ich habe nicht erwartet, dass dieser Zeitpunkt am vergangenen Wochenende sein würde". Inzwischen schlagen Bilder vom deformierten Lincoln hohe Wellen in den sozialen Medien.

Nach einem Deal mit der US-Justiz ist der Whistleblower Julian Assange nach Jahren in der equadorianischen Botschaft und einem Hochsicherheitsgefängnis in London ein freier Mann. Passend zu dieser Nachricht wurden auch Fotos veröffentlicht, die einen sichtlich gealterten Assange in einem Flugzeug zeigen. Für viele kamen diese Bilder überraschend, wie Daniel Hornuff in der "Zeit" schreibt. Dabei sei die Selbstinszenierung von Anfang an Teil der Strategie von Wikileaks gewesen: "Darin liegt die bildpolitische Kontinuität: Seit den frühen Wikileaks waren es Bilder, verstanden als Dokumente, die Assanges Aufstieg zu einer global beachteten Figur begründeten. Auf die Veröffentlichung von als geheim eingestuften Videos aus amerikanischen Militärkreisen vor 14 Jahren folgte die Ikonisierung von Assange selbst. Enthüllung und Selbstpräsentation gingen Hand in Hand. Bald schien unklar, was das eigentliche Anliegen von Assange gewesen sein mochte: Diente die mediale Selbstvermarktung dem Enthüllungsengagement – oder war dieses, umgekehrt, eher Mittel für Assanges Medienkarriere?"

Kunstmarkt

Stephanie Dieckvoss ist im "Handelsblatt" nicht überrascht vom Gesamtergebnis der Londoner Auktionen für moderne und zeitgenössische Kunst: "Es zeigt eindeutig, dass sich ausgewählte Werke etablierter Künstler aus einer Sammlung mit individuellem Geschmack gut verkaufen. Es zeigt aber auch, dass in einem global schwierigen Umfeld Markennamen allein den Markt nicht tragen. Dafür ist dieser zu groß, zu unstet, und es gibt darin zu viel mittelmäßiges Angebot. Da werden vor allem Spekulanten nervös, und das zu Recht."

Museen

Michelle Cotton hat ihre Pläne als neue Leiterin der Kunsthalle Wien vorgestellt, berichtet Michael Wurmitzer im "Standard", der mit der jüngsten Vergangenheit der Einrichtung nicht zufrieden ist: "Nach zwölf Jahren Dürre soll es Michelle Cotton jetzt richten. Seit dem Abgang von Pop-Gentleman Gerald Matt 2012 dämmert die Kunsthalle Wien vor sich hin. Erst hatte Nachfolger Nicolaus Schafhausen sieben Jahre lang kein Glück, dann das weibliche Kollektiv What, How & for Whom (WHW). Publikumsträchtige Schauen, Aufreger, Gesprächsstoff sein – das ging sich beim verkopften, mal theoretisch-sperrigen, mal diskursiv-aktivistischen Programm nicht aus. Anders als erhofft und weniger überraschend, zog die Idee 'Themen statt große Namen' beim Publikum nicht." Cotton wolle nun ein größeres, diverseres Publikum anlocken mit Ausstellungen, Workshops, Meisterklassen, Filmscreenings.