Medienschau

"Cancel Culture ist eine Waffe mit einer langen Geschichte"

Monopol Medienschau

Sollten Museumsbesucher über künftige Ausstellungen abstimmen? Wird die linke jetzt durch rechte Wokeness ersetzt? Lenkt der Trend der Wiederentdeckungen von junger Kunst ab? Das ist unsere Presseschau am Freitag 

Debatte

Kritiker Stefan Heidenreich richtet sich erneut gegen den vermeintlichen Elitismus im Kunstbetrieb, diesmal in seinem neuen Buch "Attraktion und Mitmacht. Wie Kunst dem Kult des Exklusiven entkommt", das Vincent Sauer im "Tagesspiegel" bespricht. In dem Merve-Band "skizziert er, wie eine kleine Gruppe mit großem Kapital bestimmt, welche Kunst überhaupt in Räume gelangt, wo sie jemand sehen kann. Die Kunstwerke gehören ihnen, sind Wertanlagen. Will es der Besitzer so, fristen sie ihr Dasein unbesehen im Lagerraum, dienen dort als Spekulationsobjekt." Heidenreich habe aber auch Vorschläge, um dem Publikum die Kunst wieder näherzubringen: "Sterile White Cubes sollen durch 'Like Cubes' ersetzt werden, wo das Publikum wählt, was ausgestellt wird, live kommentiert, Laien freisteht, an Werken von Künstlern weiterzuarbeiten. Es geht um 'Erfassen statt Besitzen'."

Wird die linke jetzt durch rechte Wokeness ersetzt? Timo Feldhaus sieht in der "Berliner Zeitung" mit der neuen Trump-Regierung und dem Rechtsruck in Europa ein "Trommelfeuer der Umbenennung, Sprachverbote, Denkgesetze und Cancel Culture" einsetzen und befragt Susan Neiman dazu. "Cancel Culture ist eine Waffe mit einer langen Geschichte, die von rechts wie links benutzt werden kann", sagt die Philosophin. "In den USA haben die Rechten viel mehr Macht und Geld und sind damit gefährlicher als die Linken. Was mich dabei derzeit beschäftigt: Trump hat einen perfiden Trick angewendet: Breite Teile der Gesellschaft, und zwar nicht nur in den USA und Europa, haben Wokeness satt. Bis vor Kurzem wollte niemand Woke aus einer linken Perspektive kritisieren, auch, weil man genau das befürchtet hat, was jetzt passiert: Den Rechten einen neuen Grund zu geben, gegen jedes Streben nach sozialer Gerechtigkeit zu poltern. Heimlich aber gab es schon lange eine große Unzufriedenheit mit Wokeness, die ich immer wieder zu hören bekommen habe. Trump hat diese Unzufriedenheit benutzt, um eine rechtsradikale Agenda durchzuziehen, die offen rassistisch, misogyn und homophob ist."

Kunstmarkt

Sammler sind von Unbeachtetem und Entdeckungen fasziniert - aber stiehlt dieser Trend jüngeren Künstlern wertvolle Aufmerksamkeit? Der New Yorker Kunsthändler Emmanuel Di Donna räumt in einem "Financial Times"-Artikel ein, dass "'nicht alles es wert ist, wiederentdeckt zu werden. Manche Künstler haben es nicht geschafft, weil sie nicht großartig waren'. Er sagt jedoch, dass verstorbene Künstler einen deutlichen Vorteil gegenüber ihren lebenden Kollegen haben. 'Sammler können ein ganzes Werk sehen, man kann die Entwicklung verfolgen. Ein zeitgenössischer Künstler könnte jetzt etwas Cooles, Lustiges und Teures machen, aber man hat keine Ahnung, was er in 20 Jahren machen könnte.'" Diese fehlende Wertschätzung für die junge Gegenwart zeigte sich zuletzt auch auf Großveranstaltungen, beobachtet "FT"-Autorin Melanie Gerlis: "Die Biennale von Venedig, die als Schaufenster für zeitgenössische Trends gedacht ist, hat 181 von insgesamt 331 Künstlern ausgestellt, die 2024 bereits verstorben waren. Doch Experten zufolge hat sich das Verhältnis in etwa auf dem richtigen Niveau eingependelt. 'Anfänglich war ich besorgt, dass die gezielte Hervorhebung von Künstlern, die vom Kunstbetrieb zu Unrecht ignoriert wurden, dazu führen könnte, dass jüngere Künstler nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Dies geschah vor dem Hintergrund schwindender finanzieller Mittel für jene Galerien, die aufstrebenden Künstlern Raum bieten', sagt Ben Luke, Kunstkritiker und Podcast-Moderator bei The Art Newspaper. Jetzt meint er: 'Ich freue mich, sagen zu können, dass meine Bedenken unbegründet waren. Ich denke, das Gleichgewicht ist so gut wie noch nie in meinem Leben, auch wenn die Unterstützungsstruktur etwas prekär bleibt.'"

Sabine Spindler schreibt im "Handelsblatt" zur Schließung der Galerie Blau: "Von schwieriger gewordenen Verhältnissen auf dem Kunstmarkt fällt kein Wort in dem Rundschreiben. Der stets subtil agierende Galerist, der 1999 kurz eine zweite Dependance in London betrieb, spricht eher von einer Erfolgsgeschichte. Seit den 1990er-Jahren fanden seine klug kuratierten Ausstellungen mit Werken von Mark Rothko, Lucian Freud, George Grosz große Resonanz. Blau realisierte die erste Ausstellung mit Polaroids von Chuck Close. In den letzten Jahren setzte er einen Fokus auf frühe Fotografie aus Japan und Frankreich und publizierte zahlreiche Kunstbände." Für die "FAZ" berichtet Brita Sachs: "Blau hat eine Reihe schöner Bücher herausgebracht, etwa zu Themen der Fotografie, die stets ein Schwerpunkt seines Galerieprogramms war, aber auch zu Warhol-Zeichnungen. Zwei Bände widmete er den prächtigen Angelhaken der pazifischen Inseln, eine seiner privaten Sammelleidenschaften. Jetzt ist auch Zeit für ein Projekt, das sehr lange in der Warteschleife war: ein Buch mit eigenen Aufnahmen, die der gelernte Fotograf vor vier Jahrzehnten auf Hawaii von den Petroglyphen der Ureinwohner machte."

Kulturpolitik

Auch Frankreich spart an der Kultur und fördert fortan lieber Blasorchester als zeitgenössische Kunst. Gerade viele rechte Politiker scheinen "Kultur als eine Ausgabe anzusehen, nicht als eine Bereicherung", berichtet Marc Zitzmann in der "FAZ": "Vertreter dieses Lagers stilisieren sich gern zu Tabubrechern, die im Kampf gegen Privilegierte, gegen 'die Elite' Mut und gesunden Menschenverstand bezeugen. Sie bemühen dabei den üblichen rhetorischen Mix aus darwinistischem Populismus und marktwirtschaftlichem Laissez-faire: 'Das Volk' solle sich aussuchen, was ihm gefällt, der Rest verdiene nicht zu überleben."

Ausstellung

Laure Prouvost habe keine Ahnung von Quantenphysik, stellt Andrian Kreye in der "SZ" fest. Gerade deshalb sei es eine "hervorragende Idee" gewesen, die französische Künstlerin mit einer Arbeit dazu zu beauftragen, wie jetzt von der LAS Foundation im Kraftwerk Berlin geschehen. "Prouvost hat es geschafft, die Begegnung mit der Welt der Quanten mit den vertrauten Mitteln der zeitgenössischen Kunst und vor allem der Emotionen umzusetzen. Da ist dann in der oberen Halle das Licht mal blau, mal gelb, mal herrscht Finsternis. Riesige schwarze Stoffbahnen bilden mit Wind und Schwerkraft Wellen, die einen hin und wieder unerwartet berühren, so wie die Energiewellen der Quantenphysik. Kleine Installationen stehen herum, die 'Cutebits' schweben auf und ab. Stimmen, Klangflächen, Gerüche und Geräusche erfüllen den Raum. Zentrum der Installation ist eine Polsterlandschaft, über der auf einer kreisförmigen Projektionsfläche ihre Videoinstallation läuft, eine gut halbstündige Abfolge von Bildern, Referenzen, Metaphern, die man am besten im Liegen betrachtet. Das ist alles so überwältigend wie rätselhaft. Genau darum geht es."

Mode

Aura ist alles – und nicht etwa Inhalt. In seinem neuen Buch "Midcareer Writing" argumentiert Federico Sargentone, dass die Aura das ultimative Branding der jüngeren Generation ist. Für "032c" spricht Claire Koron Elat mit dem in Mailand lebenden Autor über die Krise des Luxusmarktes und die Begehrlichkeit von Produkten: "Auf dem Luxusmarkt ist alles vergänglich, und alles kann schnell ersetzt werden. Sie können eine Louis-Vuitton-Tasche durch eine Prada-Tasche ersetzen. Aber wenn man sich für Prada entscheidet, entscheidet man sich für die Marke und nicht für die Tasche. In einem Markt, der völlig auf Produkte fixiert ist, kauft niemand ein Produkt, weil es gut gemacht ist – auch nicht, weil es nicht gut ist. Der Secondhand-Markt ist ein großartiges Beispiel, weil man ein gebrauchtes Kleidungsstück – auch wenn es ein wenig kaputt oder zerkratzt ist – gern wegen der Marke trägt. Die meisten von uns würden eine Prada-Jacke mit einem Kratzer tragen, weil man Prada trägt. Die Marke ist die Aura der Mode."