Debatte
Nach der Diskussion um die Rede von Nan Goldin und die Proteste in der Neuen Nationalgalerie berichten die Zeitungen nun von dem die Ausstellung begleitendem Symposium "Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung", das bereits im Vorfeld für Zerwürfnisse gesorgt hatte. "Hyperpolitische Verwirrtheit" und "bauchlinkes Geraune" hat Jakob Hayner auf dem Panel gehört. "Mehr Dialog heißt eben nicht automatisch mehr Klarheit", schreibt er in der "Welt". "Die bräuchte es aber dringend. So wurde Hito Steyerl schmerzlich vermisst, die den Eröffnungsvortrag hätte halten sollen und die mit ihrer begrifflichen Schärfe momentan Maßstäbe setzt. Das ist weniger das, was Mendel und Cheema auszeichnet, mehr die persönliche Courage. Durch die haben sie sich inzwischen, nachdem sie bereits im Sommer in den Berliner Festspielen mit 'Reflexe & Reflexionen' eine ähnliche Veranstaltung organisierten, redlich den Titel als Dialogbeauftragte des deutschen Kulturbetriebs in Nahost-Fragen verdient."
Peter Richter geht in seinem "SZ"-Bericht vom Symposium am Rande noch einmal auf die von Cornelius Tittel in der "Welt" vorgetragene Forderung nach einem Rücktritt von Klaus Biesenbach ein: "Dass ausgerechnet dieses Blatt mal einer Meinung mit den radikalen Israelgegnern im Berliner Kunstbetrieb ist, muss man erst einmal hinbekommen. Vielleicht hat ja, wer von zwei so konträren Lagern angefeindet wird, irgendetwas zumindest nicht ganz falsch gemacht."
Für Dirk Peitz wurde eine dringliche Frage in dem Symposium nicht geklärt: Warum es in Deutschland am Theater, in Literatur, Film und Musik "nicht ansatzweise ähnliche Konflikte über den Terror und den Krieg im Nahen Osten gibt wie in der bildenden Kunst"? Und gibt sich in der "Zeit" die Antwort gleich selbst: "Die einfachste Erklärung wäre die, dass die bildende Kunst auch und gerade in Deutschland die mit Abstand internationalste Szene aller Kunstgattungen darstellt. Doch warum sich Künstlerinnen und Künstler aus dem Globalen Norden wie Süden immer wieder auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern konzentrieren, und zwar fast ausnahmslos in Kritik an Israel bis hin zu eindeutig antisemitischen Aussagen, und woher überhaupt die stramme Durchpolitisierung der Kunstszene kommt (dass das womöglich mit vulgären Ausdeutungen postkolonialer Theorie zu tun hat, deutete Fanizadeh immerhin an): Diese Fragen muss dann wohl ein anderes Symposium beantworten."
Für Nicola Kuhn ist schon ein gutes Zeichen, dass das Symposium überhaupt stattgefunden hat, "allen Absagen diverser Redner und den Torpedierungen durch 'Strike Germany' zum Trotz". "Es könnte ein Wendepunkt in der Kontroverse sein, die lang erwartete Gegenbewegung zur bisherigen Eskalation: nicht länger radikale Stimmen den Ton bestimmen zu lassen, die Zwischentöne hörbar zu machen", hofft sie im "Tagesspiegel". Doch der Boykottaufruf von Strike Germany habe ganz schön an der Nationalgalerie gesägt, wirft wiederum Sophie Jung in der "taz" ein. "Das bedeutet vor allem Stillstand in der Kultur. Menschenleben in Gaza werden dadurch nicht gerettet."
Museen
Größe ist doch wichtig: zumindest bei der Betrachtung von Kunst. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie, von der die Nachrichtenagentur APA (via "Der Standard") berichtet: "Großformaten wird demnach deutlich längere Aufmerksamkeit geschenkt". Auch bei Gattungen fällt ein Unterschied auf: "Insgesamt werden Gemälde systematisch länger als Skulpturen betrachtet. Während ein Gemälde im Median bei 9,59 Sekunden liegt, liegt der Median bei einer Skulptur bei 5,50 Sekunden."
Interview
"GQ" ehrt Michèle Lamy als "Art Icon" des Jahres 2024 und hat mit der 80-jährigen Mode-Unternehmerin, die mit ihrem Mann Rick Owens die Owenscorp leitet, ein Interview geführt: "Für mich existieren diese Kategorien nicht. Mode, Kunst – das ist Unsinn. Für mich ist alles eins, und ich liebe es, damit zu spielen." Kunst sei schon immer ein Teil ihres Lebens gewesen. "Mein Großvater war Kunsthandwerker, er stellte Gürtelschnallen für den Designer Poiret her. Ich war immer von Künstler:innen umgeben. Der große Impuls und der Grund, weshalb ich Anfang der 1970er in die USA ging, waren die dortigen Künstler:innen wie Ed Ruscha oder später Basquiat. Ich sah in ihnen eine neue Stimme, sie wurden zum Sprachrohr des Zeitgeistes. In Frankreich gab es die Philosoph:innen wie etwa Gilles Deleuze. Wir haben die 68er-Revolution begonnen. Das war auch ein Weg, sich auszudrücken. Aber mich haben die Performance-Künstler:innen in den USA mehr fasziniert. Ich musste dorthin. Ich wollte von Anfang an dabei sein."