Medienschau

"Die Bedeutung von Wörtern wird ständig verschoben und verdreht"

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Die Venedig-Biennale und der Nahostkonflikt, weiter Diskussion um die Auflösung der Beratenden Kommission zur NS-Raubkunst und Social-Media-Agenturen boomen in der Kunstwelt: Das ist unsere Presseschau am Montag

Venedig-Biennale

Die Kunstkritikerin Hili Perlson sammelt in einem Gastbeitrag für die "Welt" antisemitistische und anti-israelische Botschaften auf der Venedig-Biennale: eine Demo in den Giardini, Posts des Hauptkurators, Collateral-Events mit Künstlerinnen, die mit relativierenden oder menschenverachtenden Statements nach dem Hamas-Überfall aufgefallen sind, und nicht zuletzt die Abwesenheit israelischer Künstler. "Seit dem 7. Oktober haben sich Prozesse, die das Überschreiten roter Linien ermöglichen, beschleunigt. Die Bedeutung von Wörtern wird ständig verschoben und verdreht, bis hin zu dem Punkt, an dem jüdische Menschen allein durch die Erwähnung des Wortes 'Widerstand' in den Wahnsinn getrieben werden. Denn Widerstand ist zu einem Begriff geworden, mit dem Hamas-Sympathisanten, die sich als Menschenrechtsaktivisten ausgeben, Vergewaltigungen, mörderische Gewalt und Massaker an Zivilisten rechtfertigen. Dies geschieht auf globaler Ebene, und es ist beängstigend. Für eine Autorin, die, weil sie an das Existenzrecht Israels glaubt und Antisemitismus in der Kunstwelt anprangert, deshalb als rechte Zionistin gebrandmarkt und von einigen ehemaligen beruflichen Kontakten gemieden wird, ist es mehr als eine begriffliche Verschiebung von Bedeutungen."

Restitution 

Die "taz" blickt auf die Reform bei Raubkunstfällen, die im Oktober in Kraft treten soll, und die damit einhergehende Kritik an Claudia Roth. Die Kulturstaatsministerin will die Beratende Kommission zur NS-Raubkunst zugunsten eines neu eingesetzten Schiedsgerichts auflösen. "Die Kommission", gibt "taz"-Autor Klaus Hillenbrand zu bedenken, "genießt das Vertrauen potenziell Geschädigter von Naziraubtaten und besteht aus Personen des öffentlichen Lebens unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier". Laut Roth habe man sich in "zwischen Bund, Ländern und Kommunen (...) darauf geeinigt, diese Einführung der einseitige Anrufbarkeit mit der Errichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit zu verbinden“, so wird Roth zitiert. Mit der neuen Regelung kann die Entscheidung über eine Restitution getroffen werden, wenn nur eine Seite dem Prozedere zustimmt. Das klingt nach einer Verbesserung, denn "Bisher konnte eine dazu eingesetzte Beratende Kommission nur dann tätig werden, wenn beide Seiten – also etwa ein Museum und die Nachfahren früherer Besitzer eines Gemäldes – damit einverstanden waren", schreibt Hillenbrand. Doch: "Aus Kreisen der Kommission wird nun befürchtet, dass das projektierte Schiedsgericht ähnlich einem zahnlosen Tiger zu stark die Interessen der Museen verfolgen könnte. Zudem wird dort befürchtet, dass sich Roth die Meinung eines vor ihr bestellten Gutachters zu eigen machen könnte, nach dem jüdische Opferverbände nicht in das Schiedsgericht berufen werden sollten."

Museen

Menschenmassen und Aktivisten verleiden einen den Museumsbesuch, meint Alastair Sooke im britischen "Telegraph". "Viele Museumsbesucher werden sich mit Schrecken daran erinnern, wie sie sich durch überfüllte 'Blockbuster' gekämpft und dabei spitzen Ellbogen ausgewichen sind, oder wie sie durch endlose Galerien gelaufen sind, gedrängt von glasäugigen Schaulustigen, in dem hoffnungslosen Bemühen, eine berühmte Sammlung im Ausland zu sehen (als ob ein paar Sekunden vor einem Gemälde oder einer Skulptur zu stehen, bevor man weitergeht, als Beschäftigung mit der Kunst in irgendeinem sinnvollen Sinne zählen würde)." Als Lösung könnte eine Individualisierung stehen: dass Museumsbesucher in der Lage sind, das Besuchserlebnis selbst zu definieren. "Indem sie ihre Sammlungen vollständig öffnen", erklärt der Berater András Szántó, "'geben die Museen dem Betrachter viel mehr Handlungsspielraum, um zu definieren, wie seine Erfahrung im Umgang mit Kunst aussehen könnte'. Er argumentiert, dass diese Idee der 'Eigenverantwortung' zunehmend an Bedeutung gewinnen wird: 'Ich kann mir eine Zukunft vorstellen, in der Sie ein Museum, das Sie in einer Woche zu Ihrem Geburtstag besuchen werden, bitten, eine Ausstellung für Sie und Ihre Gäste in einem Raum zusammenzustellen. Das klingt kompliziert, aber vielleicht ist es machbar. Darüber hinaus bietet der virtuelle Raum seiner Meinung nach die Möglichkeit einer 'endlosen Individualisierung' und einer 'Verschmelzung des Museums zu einer Art Supermuseum': 'Wenn wir im Metaversum qualitativ hochwertige, befriedigende Besichtigungserlebnisse entwickeln - und vielleicht weist uns das [neue Vision Pro] Headset von Apple ein wenig in diese Richtung -, gibt es keinen Grund, nur ein Museum in diesem virtuellen Raum zu besuchen. Ich kann mir eine Zukunft vorstellen, in der wir so etwas wie einen Souk besuchen können: ein Dorf von Museen im virtuellen Raum, in dem man diese Straße hinuntergeht und in der Eremitage [in Sankt Petersburg] ist, oder jene Straße, in der man in der Tate ist".

Aimee Dawson schaut im "Art Newspaper" auf Social-Media-Agenturen in der Kunstwelt - und die spezielle Problemlage bei Museen. "Der belgische Digitalkreative Van Mierlo betreibt den preisgekrönten Social-Media-Account The Gaze und arbeitet seit 2023 als freiberuflicher Content Creator mit Museen wie der Royal Academy of Arts in London und dem Munch Museum in Oslo zusammen. Er ist ebenfalls der Meinung, dass Kunstorganisationen großartige Geschichten haben, aber oft Schwierigkeiten haben, sie zu erzählen. 'Die Art und Weise, wie man eine Geschichte in einem Museum, in einer Broschüre oder in einem Buch erzählt, unterscheidet sich völlig von der Art und Weise, wie man eine Geschichte für ein Online-Publikum erzählt', sagt er. 'Ich glaube, dass es vielen Museen und Institutionen an diesem speziellen Fachwissen im Bereich des Online-Storytellings mangelt.' Er glaubt, dass einer der Gründe, warum diese Nischenspezialisten entstanden sind, darin liegt, dass die Kunstwelt ihre eigene Sprache, Geschichte und ihren eigenen Kontext hat. 'Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte, ganz gleich, um welches Thema es sich handelt, aber natürlich braucht man ein fundiertes Wissen über die Kunst, um eine Geschichte darüber zu erzählen', fügt er hinzu."