Medienschau

"Mehr Arroganz der Gebildeten kann man sich nur schwer ausdenken"

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Die Mitverantwortung der Kunst für den Rechtsruck, kafkaeske Einreise-Bürokratie für afrikanische Museumsleute und Florentina Holzinger gegen die katholische Kirche: Das ist unsere Presseschau am Freitag
 

Debatte

Viele beklagen die Politisierung der Kunst (siehe Jonathan Meese in der Medienschau von gestern), der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates aber sieht eine "Entpolitisierung des Kulturbereiches". Die habe es den Rechtsextremen leicht gemacht, immer stärker zu werden, schreibt Olaf Zimmermann in seinem "Kulturpolitischen Wochenreport".  Der Kulturbereich ziehe sich viel zu oft in Nischen der Selbstbeschäftigung zurück: "Trotz allen Geredes von der Kultur für alle sind die meisten Kulturorte Tempel für Hochgebildete. Immer öfter werden zum Beispiel Kulturdiskussionen nicht mehr in Deutsch, sondern nur in Englisch, ohne Übersetzung angeboten. Mehr Arroganz der Gebildeten gegenüber der Breite der Bevölkerung, die mitnichten alle Englisch sprechen, kann man sich nur schwer ausdenken."

Ralf König (63) – Comic-Zeichner und Schwulen-Ikone – beobachtet eine neue Prüderie in der Gesellschaft und in der queeren Community einen Generationenkonflikt. "Instagram und Facebook erziehen uns allmählich zur amerikanischen Prüderie. Es gibt heute mehr Tabus als früher", sagte der Zeichner der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er brauche die sozialen Netzwerke, um sein Publikum zu erreichen. Wegen der Online-Veröffentlichung vermeide er inzwischen aber die Darstellung von Erektionen, sagte König. Und: "Das betrifft nicht nur die Bilder. Es geht auch um die Sprache. Eine meiner Figuren ist die homophobe Edeltraut. Wenn die ihren Bruder beleidigt, hagelt es Wörter wie 'Schwuchtel'. Bei Facebook gilt das als 'Hassrede'. Wie soll man als Comiczeichner damit umgehen, wenn Satire und Ironie nicht verstanden wird?" Apropos Sprache: "Nach meinem Coming-out in den 80ern haben wir schon diskutiert: Wie feminin darf ein Mann sein? Darf man sich die Nägel lackieren? Das waren schon immer politische Fragen. Nur haben wir damals von 'Tunten' gesprochen. Heute heißt es divers oder non-binär. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob das was anderes ist oder eben nur andere Wörter." Auch andere Begriffe sind heute belastet: "Beim Kölner CSD habe ich einmal auf einer Veranstaltung aus einem Comic gelesen. An einer Stelle fragt da eine Figur: 'Wollen wir uns auftransen?' Daraufhin ist im Publikum eine Transperson aufgestanden und hat sich beschwert, der Begriff sei völlig deplatziert. Das passt nicht für Tunten, die sich nur Frauenkleider anziehen und ihren Spaß haben. Alle guckten erstaunt und am erstauntesten war ich. Da habe ich begriffen, dass Wörter sich ändern. Wir wussten damals nicht viel von 'trans'." Bei der Regenbogenfahne gibt der 1960 geborene König zu, überfordert zu sein. "Die Regenbogen-Flagge sollte ursprünglich alle miteinbeziehen, aber mittlerweile kommt so viel diverse Symbolik dazu, dass man manchmal kaum noch den Regenbogen sieht."
 

Museen

Die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in den deutschen Museen geht voran, stellt Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in einem Gastbeitrag für den "Spiegel" fest. Doch von einer Partnerschaft auf Augenhöhe könne keine Rede sein: "Weil die Partnerinnen und Partner aus den betroffenen afrikanischen Ländern nicht oder kaum nach Deutschland einreisen dürfen. Auch nicht nach Frankreich oder Belgien, geschweige denn ins Post-Brexit-Großbritannien. In der knallharten, für die meisten von uns unsichtbaren Visawelt spielt die Wissenschaft nämlich überhaupt keine Rolle. Keine Rolle der Aufbau von vertrauensvollen Beziehungen in einem Bereich, in dem die individuellen und kollektiven Emotionen des Gegenübers zählen. Keine Rolle die Tatsache, dass Wissenschaft nicht nur intellektuelle Mobilität erfordert, sondern auch gemeinsame Arbeit in Bibliotheken, Archiven und Museen, das gemeinsame Diskutieren auf Tagungen und Konferenzen. Keine Rolle die dringende Notwendigkeit eines kontinuierlichen Austauschs von Wissen und Methoden."

Ulrike Knöfel kann im "Spiegel" auch nur mutmaßen, warum die amerikanisch-simbabwische Soziologin und Autorin Zoé Samudzi sich als Gastkuratorin der Ausstellung "Das Jahr 1983" am Dresdner Albertinum zurückgezogen hat. Die Schau kann nun nicht wie geplant eröffnen (siehe Medienschau von gestern). "Samudzi wollte selbst wohl die Gelegenheit der Ausstellung nutzen, um ihre Sicht aufs heutige Deutschland darzulegen. Auf Instagram schrieb sie: 'Wir wissen, dass das Ethos, das Deutschland in seiner kurzen Phase als imperiale Macht angetrieben hat, nie verschwunden ist.' Sie legte nach, 'dass die gegenwärtige völkermordende Außenpolitik eng mit den Grausamkeiten des faschistischen Imperialismus verbunden ist'. Kontroverse Behauptungen wie diese wären in der Dresdner Schau selbst nur möglich gewesen, wenn sie als Meinungsäußerungen der Kuratorin gekennzeichnet und nicht als vermeintlicher Fakt wiedergegeben worden wären. Darüber kam es wohl mit dem Museum zu Diskussionen."

Performance

Auf die katholische Kirche ist Verlass: "Bischöfe und Theologen empören sich über die nackten Nonnen der Extremperformerin Florentina Holzinger", nämlich über ihre Oper "Sancta" bei den Wiener Festwochen, berichtet Jakob Hayner in der "Welt". "Was ist es, was an 'Sancta' so anstößig ist? Dass Nacktheit und Selbstverletzung auf lose Anleihen bei der katholischen Liturgie treffen? Der naheliegende Einwand lautet, dass das Anstößige bereits in der Liturgie selbst liegt. Der Leib wird gegessen, das Blut wird getrunken, sich mit dem Vater vereinigt und den Nächsten soll man auch immer lieben, wie pervers ist bitte diese kannibalistische Liebe-über-alles-Fantasie?! Holzinger nimmt die Kirche beim Wort. Die bekanntlich solche Konkurrenz nicht sehr schätzt."

Kulturerbe

An der Welterbestätte Stonehenge sind nach Einschätzung einer Denkmalorganisation vorerst keine bleibenden Schäden zu erkennen, nachdem Klimaaktivisten dort Farbe versprüht hatten. "Unsere Experten haben es schon geschafft, das orangefarbene Pulver von den Steinen zu entfernen, weil wir wirklich Sorge hatten, was passieren würde, wenn sie mit Wasser in Berührung kämen", sagte der Chef der Organisation English Heritage, Nick Merriman, der BBC am Donnerstag. "Bisher scheint es keinen sichtbaren Schaden zu geben", sagte Merriman. Die Stätte sei wieder für die Öffentlichkeit geöffnet. In der Nacht zu Freitag soll wie geplant die Sommersonnenwende gefeiert werden. Zwei Aktivisten der Protestgruppe Just Stop Oil hatten eine orangefarbene Substanz versprüht, nach Angaben der Gruppe handelte es sich um abwaschbare Farbe aus Maisstärke. Die Polizei nahm zwei Verdächtige fest. Premierminister Rishi Sunak verurteilte die Aktion als Vandalismus. Stonehenge gehört zu den bekanntesten Wahrzeichen Großbritanniens. Die Steine sind auf den Sonnenstand der Sommer- und Wintersonnenwende ausgerichtet. Die Protestaktion sei schwer verständlich, stünden die Steine doch für den Wunsch, sich mit der Natur zu verbinden, sagte Merriman. Er respektiere das Demonstrationsrecht und wünsche sich, dass Leute ihre Protestaktionen von Kulturstätten, Museen und Galerien fernhielten, "weil wir den Eindruck haben, das hilft ihrem Anliegen nicht". Just Stop Oil veröffentlichte am Donnerstag ein neues Video, das zeigte, wie Flugzeuge mit Farbe besprüht wurden. Die Gruppe schrieb auf der Plattform X, auf dem privaten Flugfeld in Stansted nördlich von London sei auch das Flugzeug von US-Superstar Taylor Swift geparkt, die derzeit in Großbritannien tourt. Die Gruppe verlangte einen verbindlichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis 2030. Die Polizei nahm zwei Frauen fest.

Porträt

Birgit Rieger stellt im "Tagesspiegel" die südafrikanische Künstlerin Helena Uambembe vor, die nach ihrem DAAD-Stipendium in Berlin bleiben will. "Nicht-Zugehörigkeit, politische Transformationsprozesse, aus denen Gewinner und Verlierer hervorgehen, Resilienz, sieht Uambembe als universelle Themen, die in der DDR genauso verstanden werden wie in der Kalahari-Wüste. Anhand des Mikrokosmos Familie zeigt sie geopolitische Zusammenhänge auf. Etwa, dass der Kalte Krieg, die Machtkämpfe zwischen Sowjetunion und den USA, nicht nur im geteilten Deutschland oder in Europa, sondern auch in Angola, Namibia und Südafrika extreme politische und private Auswirkungen hatten."