Debatte
"Vorsicht mit den starken Worten", ermahnt Elmar Schütze in der "Berliner Zeitung" die Kunstszene, die angesichts der angesichts der gestern beschlossenen Kürzungen des Berliner Kulturetats protestiert: "Berlin wird auch im nächsten Jahr rund eine Milliarde Euro für die Kultur ausgeben. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren hat der Kulturetat noch 450 Millionen Euro betragen. Wer schämt sich hier also für was?" Und er nimmt Kultursenator Joe Chialo in Schutz: "Wieso gilt der Mann als ein Versager? Der Newcomer von der CDU hat nie behauptet, er würde die üppig alimentierte Szene voller wunderbarer, nur leider oft leerer Museen wie der Gemäldegalerie, oder großartiger, nur leider aufgrund obszön niedriger Eintrittspreise chronisch defizitärer Opernhäuser weiter so päppeln, wie es sein so beliebter Vorgänger Klaus Lederer von den Linken stets zuverlässig getan hat. Das ist übrigens derselbe Lederer, über den Finanzer heute sagen, er habe dreimal so viel Geld ausgegeben, wie er zur Verfügung hatte. Das soll jetzt anders werden, und das muss nicht schaden. So wird sich die Branche noch intensiver auf die Suche nach privaten Finanziers machen. Was ist daran schlecht?" Schlecht daran ist, dass durch die Kürzungen Teilhabe eingeschränkt wird, wie Saskia Trebing in ihrem Monopol-Kommentar schreibt. Und voller werden die gar nicht wirklich leeren Museen so auch nicht: Seit dem Start des jetzt abgeschafften Museumssonntag 2021 zählten die Veranstalter mehr als 2,2 Millionen Besucher.
Jakob Hayner fragt sich in der "Welt", welche Lehren die Kultur aus der von oben auferlegten Austeritätspolitik zieht - und erhofft einen Sinneswandel: "Unter diesen Bedingungen kann man in der Kultur nicht mehr davon ausgehen, dass ein Kultursenator per se der beste Vertreter der eigenen Interessen ist. Die Desillusionierung kann heilsam sein, weil Distanz zum Apparat auch die Chance eröffnet, für eine neue öffentliche Rechtfertigung von Kultur zu streiten. Nur wird man dabei berücksichtigen müssen, dass das inmitten aktueller Hegemoniekämpfe geschieht, die zu einer politischen und medialen Polarisierung führen. Statt sich bloß auf eine Seite zu schlagen, könnten die Kultureinrichtungen diese Polarisierungen zu ihrem Gegenstand machen und dadurch eine Legitimität erringen, die nicht nur bröckelnder Kitt ist. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Kultur ihre Lehren aus dem Schock zieht oder mit einem 'gerade nochmal Glück gehabt' weitermacht – bis zum nächsten Mal."
"New York, rette uns!", fleht Jörg Häntzschel in der "SZ" nach der Berufung der Guggenheim-Vize Naomi Beckwith zur Documenta-Kuratorin: "Nach ihren Andeutungen zu schließen, plant Beckwith, Krisen und deren Überwindung zum zentralen Thema ihrer Ausstellung zu machen: Jeder, so sagte sie 'hat im Moment das Gefühl, dass die Dinge unsicher sind, nicht geregelt'. Künstler hätten als 'Meister der Improvisation' schon immer Möglichkeiten aufgezeigt, solche Situationen zu überwinden und Neues zu schaffen. Vielleicht waren die Verantwortlichen auch deshalb so angetan von Beckwith, weil ihre Krisendiagnose nicht nur die Weltlage, sondern auch die Lage der Documenta ganz gut beschreibt." Es dürfe keine Hinderung eines Austauschs geben, sagte Beckwith am Mittwoch, "und scheint sich von der Vorstellung, zu ihrer künftigen documenta vor Publikum Stellung beziehen zu müssen, nicht in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt zu fühlen", schreibt Sophie Jung in der "taz". "Das hatte man befürchtet letztes Jahr, in den teils hitzig geführten Debatten um eine Umstrukturierung der Kunstschau, die infolge der antisemitischen Verfehlungen auf der documenta 15 nun den Spagat zwischen Kontrolle und Kunstfreiheit vollführen muss." Als einen "absoluten Profi" bezeichnet Marcus Woeller in der "Welt" die Kuratorin. "Die Documenta 16 geht auf Nummer Sicher. Es gibt keine riskanten Kollektiv-Manöver wie mit Ruangrupa. Stattdessen wird an die Kontinuität von bedeutenden Documenta-Kuratoren wie Catherine David, Okwui Enwezor oder Carolyn Christov-Bakargiev angeknüpft."
Der "Tagesspiegel" spricht mit Manos Tsangaris und Anh-Linh Ngo, den neuen Leitern der Berliner Akademie der Künste, über das Jahr, unter anderem auch über die Bundestagsresolution zum Schutz jüdischen Lebens: "Die im November verabschiedete Resolution sorgt allerdings in ihrem Empfehlungscharakter für große Unsicherheit", sagt Ngo. "So mancher Sachbearbeiter im Kulturamt denkt, er muss herausfinden, ob die Künstlerin, die Förderung beantragt hat oder zu einer Veranstaltung eingeladen wird, mal eine BDS-Resolution unterschrieben hat. Ein gefährlicher Mechanismus der Selbstzensur."
Kunstmarkt
Einen Rückblick auf den durchwachsenen Kunstmarkt 2024 liefert das "Handelsblatt": "Es ist international ein Jahr der Widersprüche", schreibt Susanne Schreiber. Auch der deutsche Kunstmarkt gebe ein heterogenes Bild ab: "Auf der einen Seite prägten ablehnende oder reservierte Bieter das allgemeine Bild, die nicht mehr als die untere Schätzung boten. Auf der anderen standen stürmische Sammler, die immer noch ein Gebot drauflegten, um an ihr Ziel zu kommen. Ganz oben bei den Top Ten der deutschsprachigen Länder steht Robert Ketterer aus München mit einem Bruttopreis für Alexej Jawlenskys 'Spanische Tänzerin' zu 8,3 Millionen Euro."