Medienschau

"Kunst sollte uns in die Knie zwingen"

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Der Kultursenator will noch Änderungen und der Bürgermeister verteidigt Kürzungen im Berliner Kulturbereich, Dean Kissick beklagt die Politisierung der Kunst, und erste Reaktionen auf die Monopol Top 100: Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Monopol Top 100

Wir haben heute Morgen unser jährliches Ranking der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Kunstwelt veröffentlicht. Diesmal führt die Choreografin Florentina Holzinger die Monopol Top 100 an. Es sei "eine fluide junge, provokante" Liste, schreibt Ingeborg Ruthe in der "Berliner Zeitung", "die einen verdutzt lesen lässt und wo die Namen der Spitzengruppe jedes Jahr andere sind und die vorherigen Sieger nach hinten schieben –  bis sie rausfallen." Die Top-100-Liste von Monopol sorge deshalb "immer wieder für Überraschungen". Monopol bilde "zuverlässig ab, wer in den vergangenen zwölf Monaten am stärksten dem Kunstbetrieb seinen Stempel aufgedrückt hat", schreibt Nicola Kuhn im "Tagesspiegel". "Nur selten schleichen sich Außenseiter ein, die dafür umso mehr erfreuen: etwa das muslimisch-jüdische Ehepaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, das unermüdlich gegen die Spaltung des Kulturbetriebs durch den Nahost-Konflikt ankämpft. 2024 erhielt es dafür den Verdienstorden der Bundesrepublik."

Debatte

Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) will noch Änderungen bei den geplanten Streichungen im Kulturbereich erzielen. Für ihn sei der Kampf noch nicht vorbei, sagte Chialo dem RBB. "Die nächsten Tage werde ich nutzen, um weiter zu kämpfen, um einzelne Härten abzuwenden und die kulturfachliche Expertise stärker zum Tragen kommen zu lassen", sagte der Senator dem "Tagesspiegel". Chialo war nach Bekanntwerden der Haushaltskürzungen in die Kritik geraten. Ihm wird teils mangelndes Engagement vorgeworfen. Daniel Wesener, Kulturpolitischer Sprecher der Grünen, sprach in mehreren Medien von einem "politischen Offenbarungseid mit Ansage". Der Kultursenator habe "offenbar gar keinen aktiven Part in den Verhandlungen eingenommen, sondern die wesentlichen Entscheidungen anderen überlassen", zitiert ihn die "B.Z.". Insgesamt sollen bei der Berliner Kultur rund 130 Millionen Euro wegfallen, etwa 12 Prozent ihres Budgets. Der Etat für 2025 liegt bei rund 1,12 Milliarden Euro. Bereits seit Wochen warnen Häuser vor Insolvenz, Einschränkungen im Spielbetrieb und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat die Sparmaßnahmen indes verteidigt und auch für den Kulturbereich als dringend nötig bezeichnet. Es seien schmerzhafte Entscheidungen und der Senat habe sich das nicht leicht gemacht, sagte Wegner im RBB-Inforadio. "Wir haben einfach in den letzten Jahren in Berlin zu viel Geld ausgegeben." Selbst dieser geänderte Haushalt für 2025 sei immer noch ein Rekordhaushalt. Es gehe um die Zukunftsfähigkeit der Stadt. Bei der Kultur werde man noch mal nach "alternativen Finanzierungsformen" suchen, sagte Wegner mit Blick auf Kritik und Ankündigungen von Kultursenator Joe Chialo (CDU), der sich noch nicht mit den Kürzungen abfinden will. Wegner betonte aber zugleich, auch der Kulturbereich habe ein Rekordvolumen von rund einer Milliarde Euro im Jahr, "das gab es noch nie". Zu den "alternativen Finanzierungsformen" erläuterte Wegner, man wolle landeseigenen Unternehmen und Einrichtungen die Möglichkeiten geben, selbst Kredite aufzunehmen, die dann nicht über das Land Berlin liefen. "Da gibt es Gespräche mit dem Finanzsenator und dem Kultursenator." Da könne man noch "mit Kreativität" zu wichtigen Entscheidungen und Entlastungen in manchen Kultureinrichtungen kommen. Ansonsten habe das die Koalition so beschlossen.

In der "Berliner Zeitung" kommentiert Susanne Lenz den Streit um die Nan-Goldin-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie Berlin (siehe unsere Medienschau vom Montag). Sie kritisiert, dass der Account des Studios der Künstlerin unter einem Boykottaufruf zu einem begleitendem Symposium ein Like hinterlassen hat. "Ist es nur ungeschickt, dass Nan Goldin diesen Post mit einem Like versehen hat? Leider nicht, denn sie distanziert sich zudem auf Instagram: Sie habe nichts von dem Symposium gewusst, bis ein Verbündeter sie darüber informiert habe. Ein 'Verbündeter' (an ally) - was für eine vielsagende Wortwahl: Da teilt offenbar jemand die Welt in Freund und Feind."

Vor einem halben Jahrhundert beklagte Tom Wolfe im "Harper's"-Magazine, dass mit der zunehmenden Abstraktion der Kunst und den immer strengeren Interpretationen der Kritiker das Erscheinungsbild von Kunstwerken der Theorie untergeordnet wurde, die es zu erklären vorgab. Auf diesen Essay mit dem Titel "The Painted Word" spielt jetzt das Dezember-Cover von "Harper's" an, in dem Dean Kissisk (bekannt durch seine Kolumne im "Spike"-Magazin) die Politisierung der Kunst seit 2016 beklagt. "Als die Sorgen um Identität, soziale Fragen und Ungleichheiten zunahmen, entstand das Gefühl, dass die Kunstwelt frivol und dekadent geworden war", schreibt Kissick in dem "The Painted Protest" betiteltem Essay. Als Kuratoren und Kritiker gleichermaßen beschlossen, dass es ihre Aufgabe sei, in Fragen der Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit zu vermitteln, haben sie sich auf eine neue Antwort auf die Frage geeinigt, was Kunst tun sollte. "Es gab eine neue Richtung für die Kunst, ein Glaubenssystem, das ihr einen Teil ihrer Bedeutung und Relevanz zurückgeben konnte", schreibt Kissick. "Es gab eine neue Antwort auf die Frage, was Kunst tun sollte: Sie sollte die Stimmen der historisch Marginalisierten verstärken. Was sie nicht tun sollte, so schien es, war erfinderisch oder interessant zu sein." Kissick beklagt unter anderem die angebliche Ironie, dass die Kunst, obwohl sie inhaltlich so monolithisch progressiv geworden ist, in der Form regressiv und konservativ geworden ist. Er kritisiert auch die Monotonie didaktischer Wandtexte, die jede künstlerische Geste - zum Beispiel ein mit dem iPhone gedrehtes Video, an dem ein Vibrator befestigt ist - als eine Form des Widerstands und der Sozialkritik darstellen. "Mir ist es nicht besonders wichtig, dass mein Bewusstsein geschärft wird", sagt Kissick abschließend. "Kunst sollte mehr tun als kommunizieren: Sie sollte uns bewegen, sie sollte uns zum Weinen bringen, sie sollte uns in die Knie zwingen."

Kunstmarkt

Am Freitag entscheidet der Bundesrat über das Jahressteuergesetz 2024. Lässt er es passieren, dürfen Galerien auf ihre Verkäufe wieder sieben statt 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnen, berichtet das "Handelsblatt". "Wenn nun in Deutschland der ermäßigte Steuersatz kommt – leider noch nicht für die Fotografie, 'belichtete' Druckgrafik und Lichtkunst –, werden auch die Unsicherheiten beim Ausstellen von Rechnungen ein Ende haben. Viele Galeristen mieden nämlich aus Misstrauen gegenüber den Finanzbehörden die Differenzbesteuerung und schlugen sicherheitshalber lieber die 19 Prozent Mehrwertsteuer auf."

Ukraine-Krieg

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan betreibt im Militärdienst ein Frontradio in der ständig von Russland bombardierten Großstadt Charkiw. "Wir machen Interviews mit Soldaten und Zivilisten und versuchen, eine Brücke zwischen dem Militär und der Zivilbevölkerung zu schlagen", sagte der 50-Jährige in einem "Zeit"-Interview (bislang nur Print). "Wir wollen den Kämpfern, die in den Brigaden dienen, eine Stimme geben", sagte Zhadan, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2022. Der Autor ("Internat", "Die Erfindung des Jazz im Donbass") hatte sich im Frühjahr 2024 zur ukrainischen Nationalgarde gemeldet und die militärische Grundausbildung durchlaufen: "Truppenübungsplatz, Waffenkunde, medizinische Notversorgung." Nun mache er beim Militär, was er am besten könne und dem Land am meisten nutze: "Und das ist nicht das Kämpfen an der Front, sondern die Kommunikation." Angesichts des Krieges seien ihm Auftritte mit seiner Band Zhadan i Sobaky weniger wichtig geworden. Auch als Lyriker habe es ihm zeitweise die Sprache verschlagen. "Das Schreiben fällt mir immer noch schwer", sagte er. "Jede Nacht hörst du die Einschläge der Raketen. Und am Morgen wachst du dann auf und liest die Chronik der Getöteten. Das sind keine guten Zeiten für Gedichte." Wegen der Schäden am Energiesystem gehe die Ukraine in einen sehr harten dritten Kriegswinter, sagte Zhadan. Aber es gehe nicht an, sich der Aggression zu beugen. In Deutschland gebe es viele Menschen, die einen Frieden erwarteten, wenn die Ukraine die Waffen streckt. "Viele verstehen nicht, dass eine Kapitulation das Ende unseres Staates bedeuten und erst recht zu vielen Opfern führen würde." Zhadan stammt aus Starobilsk in der Region Luhansk, das von russischen Truppen besetzt ist.

Film/Mode

Angelina Jolie soll für ein weiteres Filmprojekt nach Paris kommen. Der 49-Jährige hatte ihren jüngsten Film, das Biopic "Maria" über die legendäre Opernsängerin Maria Callas, teilweise in Frankreich gedreht. Jetzt holt die französische Regisseurin Alice Winocour den Hollywood-Star für den geplanten Film "Stitches" ("Coutures") über die Haute-Couture-Modeszene vor die Kamera, wie die US-Branchenblätter "Variety" und "Deadline" berichten. Jolie soll eine Filmemacherin spielen, die während einer Modewoche in Paris mit dem Schicksal von zwei weiteren Frauen konfrontiert wird. Die Dreharbeiten sind für Anfang nächsten Jahres geplant.