Documenta
Viele Medien sind sich einig, dass die Berufung der Guggenheim-Vizechefin Naomi Beckwith als Kuratorin der Documenta 16 eine "Nummer-Sicher-Wahl" für Kassel ist. Dementsprechend wohlwollend fallen auch die meisten Kommentare aus. "Wie so oft in der Geschichte der Ausstellung bildet diese Wahl den Gegensatz zur vorangegangenen. Nach dem in Europa bis dahin weitgehend unbekannten Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Indonesien, das anfangs mit sympathischer Unbefangenheit bestach, setzt diese Findungskommission den Kontrapunkt", schreibt Mark-Christian von Busse in der Kasseler Regionalzeitung "Hessische Niedersächsische Allgemeine". "Mit der Chefkuratorin des Guggenheim-Museums verantwortet ein absoluter Vollprofi die Ausstellung 2027."
Ähnlich beurteilt es Nicola Kuhn im "Tagesspiegel": "Mit Beckwith ist eine allseits abgesicherte Kuratorin gewählt: kein unberechenbares Team wie zuletzt Ruangrupa, das Kollektiv aus Indonesien, sondern eine klare Verantwortungsträgerin, verankert im westlichen Establishment, die mit institutionellen Strukturen umzugehen weiß und als Frau wie Person of Color unausgesprochene Proporz-Erwartungen erfüllt. Zudem kennt sie vom eigenen Museum politische Auseinandersetzungen: 'Die Documenta ist nicht die einzige Institution, die ein schweres Jahr hinter sich hat.' Die Documenta geht auf Nummer sicher: bloß keine Experimente mehr aus dem Globalen Süden."
"Eine kluge, eine gute, vor allem auch eine sichere Wahl" diagnostiziert auch Tobias Timm in der "Zeit". Sein Text blickt auf die vagen Andeutungen, die die Kuratorin zu ihrem Ausstellungskonzept gemacht hat. "Die Agitation, zu der es viele Künstler drängt, möchte Beckwith nach eigenen Aussagen ausbalancieren mit dem Kontext, in dem man arbeite. Auch im Guggenheim Museum musste sie mit den Polarisierungen angesichts der aktuellen weltpolitischen Lagen umgehen. Man solle sich sicher fühlen und frei im Dialog der Documenta 16, kündigte sie an. Gemütlich werde es wahrscheinlich trotzdem nicht immer, fügte sie dann noch hinzu."
Für den "Spiegel" hat Ulrike Knöfel schon ein Gespräch mit Noami Beckwith geführt, die nach eigener Aussage im Frühjahr ganz nach Kassel ziehen will. In dem Interview geht es auch um die Debattenlage in Deutschland und die Verwerfungen um die Themen Antisemitismus und Nahostkrieg in der Kunstszene. Dazu sagt Beckwith: "Künstler sind Menschen und Bürger wie alle anderen auch, ihnen ist die Welt, in der wir leben, wichtig. Und sie haben ein Recht darauf, ihre Meinung zu haben und diese zu äußern. Für mich ist die Frage, ob es einen produktiven Weg gibt, dies zu tun. Wir sollten miteinander reden, uns nicht abschotten. Auch im Guggenheim-Museum mussten wir zu einem gemeinsamen Verständnis darüber kommen, was unsere Prioritäten und Werte sind. Das kann eine Herausforderung sein."
Den Monopol-Kommentar zur Personalie Naomi Beckwith lesen Sie hier.
Kulturpolitik
In der "Zeit" spricht Kulturstaatsministerin Claudia Roth über die Kulturkürzungen, die in Berlin und auch anderswo die Künstlerinnen und Institutionen schockieren. "Diese haben tatsächlich das Potenzial, die Zukunftsfähigkeit von Kulturinstitutionen massiv infrage zu stellen", sagt die Grünen-Politikerin im Gespräch mit Raoul Löbbert und Dirk Peitz. "Schlimmer noch ist aus meiner Sicht aber das bei einigen politischen Verantwortlichen fehlende Bewusstsein dafür, dass Kunst und Kultur in politischen Umbruchzeiten eine gesellschaftliche Stabilisierungsfunktion übernehmen. Die Menschen brauchen Kultur, um Kraft zu schöpfen." Den Vorwurf von Berlins Kultursenator Joe Chialo, die Kultur habe ein Akzeptanzproblem in der Bevölkerung, weist sie zurück: "Das kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Viele Theater und Opernhäuser sind sehr gut ausgelastet – erst in dieser Woche konnte ich mir davon wieder einen Eindruck bei einem Theaterbesuch in der Schaubühne hier in Berlin machen. Wer von einem Akzeptanzproblem spricht, hat oft vergessen, wie es während der Pandemie war, als es keine Konzerte gab und Theater und Kinos geschlossen bleiben mussten. Da wurde es auf einmal verdammt still in diesem Land. Das will ich nicht noch einmal erleben müssen."
Syrien
Am liebsten würde der in Deutschland lebende syrische Kurator Jabbar Abdullah sofort in die Heimat aufbrechen. Er möchte dort ein Dokumentationszentrum nach dem Vorbild des Kölner EL-DE-Hauses aufbauen, das den Nazis einst als Dienstelle der Gestapo und Gefängnis diente und heute erfolgreich NS-Geschichte aufarbeitet, berichtet die Deutsche Welle in einem Bericht über die syrische Kulturszene nach dem Sturz des Assad-Regimes. Doch die "Menschen brauchen Zeit, um die Angst zu überwinden", sagt Ramy Al-Asheq. Der Lyriker, Journalist und Kurator ist das erste Mal nach langer Zeit wieder in Damaskus. "Die größte Barriere zwischen uns und der Fantasie, zwischen uns und dem Frieden, zwischen uns und der Freiheit, die ist jetzt verschwunden." Vor allem Menschen aus der Kulturszene sollten jetzt nach Syrien gehen. "Wir alle haben Bedenken, wer oder was nach Assad kommt, Ja. Aber wir müssen jetzt Teil des Wandels sein!"
Kunstgeschichte
Dass auch Vincent van Gogh unter den Nationalsozialisten als "entartet" eingestuft wurde, bekam auch das Städel-Museum in Frankfurt am Main schmerzhaft zu spüren: Van Goghs "Das Bildnis des Doktor Gachet" wurde beschlagnahmt. An dieses düstere Kapitel deutscher Kunstgeschichte erinnert die "New York Times" – und nennt es "eines der größten Geheimnisse der Kunstwelt". Der aktuelle Besitzer verleiht das Gemälde nicht und ist überhaupt nur wenigen Insidern des Kunstmarktes bekannt. Das Bild ist eng verwoben mit der Biografie des Künstlers, mit seiner Hoffnung, dass ihm Dr. Paul Gachet die ersehnte Heilung seiner psychischen und körperlichen Leiden bringen könnte – und mit der enttäuschenden Erkenntnis darüber, dass jener Arzt "genauso krank ist" wie van Gogh selbst. Es entstand 1890, nur wenige Wochen, bevor der Künstler sich selbst umbrachte. "Er hat es nicht nur als Porträt von Dr. Gachet gemacht, sondern als Selbstporträt; als Porträt des modernen Künstlers und des Geisteszustandes der modernen Welt", sagte die New Yorker Kunsthistorikerin und Journalistin Cynthia Saltzman in dem Podcast "Finding van Gogh", mit dem das Städel vor fünf Jahren die Geschichte des Gemäldes erzählte, das mittlerweile 300 Millionen Dollar wert sein könnte. Jetzt haben Reporter der "New York Times" monatelang die kleine Gruppe von Personen, die an dem Christie's-Verkauf des Gemäldes im Jahr 1998 beteiligt waren, und die größere Gruppe von Experten, die solche Käufe verfolgen, ausfindig gemacht. "Ihr Bemühungen, den Gachet zu finden - eine Reise, die im Laufe der Jahre von vielen anderen unternommen wurde - erstreckten sich von den Auktionshäusern und Galerien in New York bis hin zu einer märchenhaften Schweizer Villa am Luganer See." Am Ende haben die Journalisten jedoch auch diesmal kaum etwas herausgefunden.
Der einzige überlebende Erbe des von den Nazis verfolgten jüdischen Kunstsammlers Alfred Flechtheim hat dem "Guardian" erzählt, dass er bei seinen langwierigen Bemühungen, Kunstwerke von Picasso und Klee von deutschen Institutionen zurückzubekommen, "gegen eine Wand" stößt. Die Restitutionsbemühungen von Michael Hulton sind mit bürokratischen Hürden und endlosen Verzögerungen verbunden, und "Kritiker sagen, Hultons lange Wartezeit sei symptomatisch für eine deutsche Restitutionspolitik, die von Bürokratie und Verzögerungen geprägt ist, und dass die vorgeschlagenen Änderungen, die im nächsten Jahr umgesetzt werden sollen, eine Verschlimmbesserung darstellen."
Kunstmarkt
Die New Yorker Jack Hanley Gallery schließt nach 37 Jahren, berichtet "ArtNews". "Hanleys Galerie zeichnete sich durch eine hohe Risikobereitschaft aus. Allein in den 90er-Jahren bot seine Galerie Einzelausstellungen für Zoe Leonard, Christian Marclay, Jack Pierson, Erwin Wurm und Rirkrit Tiravanija. Obwohl alle diese Künstler heute bekannt sind, befanden sie sich noch in den Anfängen ihrer Karriere, als Hanley ihre Werke ausstellte, und die meisten von ihnen hatten gerade einmal eine Handvoll Einzelausstellungen vorzuweisen."