Antisemitismus-Debatte
Die "Antidiskriminierungsklausel" der Berliner Senatsverwaltung und die Festlegung auf die IHRA-Definition in der Kultusministerkonferenz und des Deutschen Kulturrats stößt auch auf Ablehnung bei der Präsidentin des Goethe-Instituts: "Letztlich bedroht dieser moralische Rigorismus die Internationalität der Kulturarbeit in Deutschland – und die Arbeit von weltweit arbeitenden deutschen Organisationen wie dem Goethe-Institut", schreibt Carola Lentz in einem Gastbeitrag im "Spiegel". "Langjährige Partner in der internationalen Kulturwelt verlieren das Vertrauen in die Liberalität der Demokratie in Deutschland. Dass die Findungskommission für die kommende Documenta kollektiv zurückgetreten ist und offen gefragt wird, ob man in Deutschland überhaupt noch eine solche weltoffene Ausstellung organisieren kann, ist beunruhigend."
Nachruf
Kerstin Holm vermeldet in der "FAZ" den Tod von Joseph Backstein. Der russische Kurator gründete die Moskauer Biennale für zeitgenössische Kunst sowie das Lehrinstitut für Zeitgenössische Kunst, "ein Symbol für die Epoche der kulturellen Offenheit Russlands, als fast alles möglich schien." Backstein wurde 78 Jahre alt.
Kunstgeschichte
Das berühmteste Readymade der Welt? Natürlich Marcel Duchamps "Fountain". Aber vielleicht ist das nicht die ganze Wahrheit. Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Lohringhoven könnte wahre Urheberin des weltberühmten Pissoirs sein. Diese These geistert seit einigen Jahren durch die Kunstwelt und ist auch Gegenstand des Romans "Damals" (2019) der US-Autorin Siri Hustvedt. Nun ist das Buch "Art Exposed" erschienen, in dem Julian Spalding und Glyn Thompson noch einmal Indizien zusammengetragen haben, die die These von der Autorenschaft Freytag-Lohringhovens stützen. "Bis heute kann niemand mit letzter Gewissheit sagen, wer eigentlich auf die Idee kam, diesen Kunstwitz auf einer Ausstellung unterzubringen, noch dazu auf der bis dahin größten ihrer Art in New York", schreibt Hanno Rauterberg in der "Zeit". Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass sich weder Duchamp noch die Baronin wenig um den Verbleib der Readymades scherten. "So gesehen, gibt Duchamp bis heute allen unrecht: allen, die sich in Urheberfragen verkrallen. Die das Original zum Fetisch machen. Die für das Verwirrende keinen Sinn haben. Zugleich hätte er sich gefreut, dass seine Readymades noch immer schwer umkämpfte Rätsel aufgeben."
Kunstmarkt
Ursula Scheer berichtet in der "FAZ" von dem New Yorker Prozess des russischen Oligarchen Dmitri Rybolowlew gegen das Auktionshaus Sotheby's. Der Milliardär fühlt sich betrogen von seinem einstigen Kunstberater Yves Bouvier. "Dieser einstige 'König der Zollfreilager' aus der Schweiz soll bis 2014 ein doppeltes Spiel mit dem Russen gespielt haben: als Rybolowlews Mittelsmann beim Ankauf von Kunstwerken, der für ihn die besten Preise aushandeln sollte, und als verdeckter Zwischenhändler in eigener Sache."
Film
Schauspieler Willem Dafoe will mit seinen Filmen keine politischen Botschaften transportieren. "Ich denke nicht in Kategorien von Botschaften", sagte der 68-Jährige im Interview der dpa und anderen Medienvertretern. "Jedes Mal, wenn man etwas veröffentlicht, spiegelt das die eigenen Erfahrungen wider. Und die Art und Weise, wie ich lebe, ist meine politische Haltung, und das gilt auch für die Filme, die ich mache. Ich denke also nicht darüber nach, mich hinter eine politische Haltung zu stellen." Dafoe spielt in "Poor Things" mit, dem neuen Film von Giorgos Lanthimos (deutscher Kinostart 18. Januar). Er verkörpert in der Fantasy-Komödie einen skurrilen Wissenschaftler, der einer Frau namens Bella (Emma Stone) das Gehirn eines Babys einsetzt. Bella stellt, während ihr Gehirn heranreift, alle gesellschaftlichen Konventionen in Frage und irritiert damit immer wieder ihre Mitmenschen. Der Film wurde gerade mit einem Golden Globe in der Sparte "Komödie/Musical" ausgezeichnet, Stone gewann als Hauptdarstellerin in einer Komödie. "Ich bin stolz darauf, an diesem Film mitzuwirken", sagte Dafoe. "Poor Things" werde die Menschen zum Nachdenken anregen und das könne er nur unterstützen. Dieser Ansatz liege ihm näher, als konkrete politische Anliegen zu unterstützen. Im Film gehe es darum, Dinge zu hinterfragen. "Und das ist an sich schon ein politischer Akt."
Das Drama "Oppenheimer" ist der große Gewinner der Critics Choice Awards. Der Historien-Film von Christopher Nolan siegte in der Nacht zu Montag in acht Kategorien, unter anderem in der Top-Sparte "Bester Film". Nolan gewann als bester Regisseur, Robert Downey Jr. für seine Nebenrolle in dem Film über den Mit-Erfinder der Atombombe. "Oppenheimer" entwickelt sich damit zum Top-Favoriten in der aktuellen Preissaison. Auch bei den Golden Globes gewann das Historien-Epos über J. Robert Oppenheimer die meisten Preise. Die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller war als beste Hauptdarstellerin nominiert, musste sich aber gegen Emma Stone ("Poor Things") geschlagen geben. Als bester Hauptdarsteller gewann Paul Giamatti für seine Rolle in "The Holdovers". Die Critics Choice Association ist mit über 500 Mitgliedern der größte Kritikerverband für Film und Fernsehen in den USA und Kanada.
Das besondere Kunstwerk
Der iranische Grammy-Preisträger Scherwin Hadschipur hat erstmals nach seiner Protestballade "Baraye" wieder einen neuen Song veröffentlicht. Dies gab der 26 Jahre alte Künstler am Freitag auf Instagram bekannt. "Ashghal" lautet der persische Titel des neuen gesellschaftskritischen Songs, der mit "Abfall" übersetzt wird. Auf Instagram erhielt der Post inzwischen fast zwei Millionen Likes. Hadschipur hatte während der Protestwelle im Herbst 2022 Millionen Menschen weltweit mit seiner Ballade "Baraye" ("Für") berührt. Darin gab der Künstler den Menschen, die damals im Iran gegen die repressive Politik auf die Straße gingen, eine Stimme. Kurz nach Veröffentlichung wurde der Sänger festgenommen und musste sich - wahrscheinlich unter massiver Einschüchterung - dafür entschuldigen. Vor fast einem Jahr wurde das Lied mit einem Grammy ausgezeichnet. Auf Instagram schrieb der 26-Jährige zu der Veröffentlichung des neuen Lieds, er könne nicht mehr zählen, wie oft er für den Song "Baraye" vor Gericht geladen wurde. "Ich weiß nicht, wie lange diese Angst und Ungewissheit weitergeht", schrieb Hadschipur. Protest sei nötig, um Probleme zu lösen, habe er gedacht. Doch heute zweifle er. "Vielleicht ist die Heimat nichts für uns normale Menschen." Und ein Mensch ohne seine Heimat sei nichts als Abfall, schrieb er weiter. In dem neuen Song singt Hadschipur nun über die Gefühlswelt vieler Iranerinnen und Iraner, mehr als ein Jahr nach den Protesten gegen die repressive Politik. Er beschreibt darin die Unentschiedenheit, zu gehen oder zu bleiben. "Niemand wollte uns hier", heißt es in einer Zeile. "Bittet mich nicht, dieses Land zu verlassen. Wohin ich auch gehe, mein Herz ist hier", singt der Popmusiker weiter. Vor mehr als einem Jahr hatte der Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini die bislang schwersten Proteste in der Geschichte der Islamischen Republik ausgelöst. Monatelang gingen vor allem junge Menschen auf die Straßen, um gegen das islamische Herrschaftssystem zu demonstrieren. Amini war nach einem mutmaßlich gewaltsamen Zusammenstoß mit den berüchtigten Sittenwächtern ins Koma gefallen und kurz darauf verstorben. Der Staat reagierte mit äußerste Härte.