Debatte
Der Bundestag hat eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens verabschiedet. "Die Zeit" versammelt Konstantin Kuhle von der FDP, der den Entschließungsantrag mitverfasst, und Nina Scheer von der SPD, die ihre Zustimmung verweigert hat, zum Streitgespräch. "Kontroverse ist kein Selbstzweck, Herr Kuhle. Es ist wenig konstruktiv, wenn eine Resolution den Eindruck erweckt, dass Antisemitismus ein Problem vor allem von Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Nordafrika sei", sagt Scheer. "Hier wird ein Generalverdacht gegenüber Zuwanderern mit einem bestimmten Migrationshintergrund formuliert, der geeignet ist, Menschen gegeneinander aufzubringen. Ähnlich verhält es sich mit den Passagen zum Kulturbetrieb, vor allem zu den antisemitischen Vorfällen etwa bei der Documenta 15 in Kassel, wo Kunstwerke mit antisemitischen Motiven zu sehen waren, oder bei der Berlinale und den dort geäußerten Genozid-Vorwürfen. Es wird suggeriert, dies sei nicht aufgearbeitet worden. Das ist schlicht falsch." FDP-Mann Kuhle antwortet: "Muslime in Deutschland erleben Diskriminierung. Das wird oft nicht gesehen. Wer allerdings für sich selbst den Schutz vor Diskriminierung zu Recht einfordert, der muss sich auch mit Diskriminierungen durch die eigene Gruppe selbstkritisch beschäftigen. Es ist gerade das Ziel unseres Antrags gewesen, hier eine Debatte innerhalb der muslimischen Gemeinden anzustoßen. Wenig konstruktiv wäre es, einzelne Communitys in Watte zu packen, aus Angst vor einer befürchteten Verhetzung." Die Resolution sei das falsche Instrument, um am Antisemitismus im Bereich Kultur etwas zu ändern, meint auch Stella Leder, Geschäftsführerin des Instituts für Neue Soziale Plastik, im "Freitag": "Während an Schulen Workshops zu Antisemitismus angeboten werden und in Zeitungen über die Resolution diskutiert wird, fragen sich jüdische und israelische Künstler*innen, die von Antisemitismus und Boykott betroffen sind, ob sie in Deutschland eigentlich noch Arbeitsperspektiven haben. Will man sie unterstützen, sollten Förderprogramme zu diesem Zweck auf den Weg kommen. Deutsch-israelische Kulturbeziehungen könnten ebenfalls gestärkt werden in Zeiten von Boykott. Für Einrichtungen, die von Boykott getroffen werden, könnte es finanzielle Unterstützung geben."
Das Performance-Kollektiv Pussy Riot ist am vergangenen Sonntag in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg aufgetreten. Der "Tagesspiegel" spricht mit den Mitgliedern Marija Wladimirowna Aljochina und Alexander Cheparukinüber Putins Russland, das Gefängnissystem und die prekäre Situation der Künste. Sie habe "Wut", erklärt Aljochina, wenn sie sehe, "wie der Westen Putins Regime füttert, wie er verficktes Öl und Gas von ihm kauft, wie westliche Firmen Mikrochips für Waffen und Polizeimunition verkaufen – also die Polizeimunition, die uns trifft. Aber nur wütend aufeinander zu sein, bringt uns ja nicht weiter. Denn das ist ja genau das, was dieses Regime will: dass wir uns spalten. Deshalb unterstützt Putin auch rechtsextreme Parteien in Europa." Auch Forderungen nach mehr diplomatischer Bemühungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges, wie sie von einigen deutschen Parteien geäußert werden, lehnt Aljochina ab. "Es überrascht mich nicht, aber da frage ich mich schon, ob wir auf demselben Planeten leben. Russland ist euer Nachbar, hat einen verrückten Diktator mit verrückten Ambitionen und Atomwaffen – das ist die Realität. Was macht Ihr, wenn Putin als Nächstes meint, Ostberlin gehöre zur russischen Welt, wenn die USA unter Trump euch nicht mehr beschützt?"
Eine neurologische Studie hat bewiesen, dass das Original eines Kunstwerks das Gehirn bis zu zehnmal stärker stimuliert als seine Kopie. Philipp Meier fragt sich in der "NZZ" woran es liegt. Eine Antwort: "Die Ausstrahlungskraft eines Werks wird eben auch durch den Glauben daran gestärkt, dass es grosse Kunst sei. Wir sehen, was wir sehen wollen. Und erblicken manchmal Kunst, wo es gar keine zu sehen gibt." Die Überlegung führt den Autor - etwas überraschend - zu dem Hype um das "Wunderkind" Laurent Schwarz aus Bayern. "Gewiss, die Bilder sind Originale. Sie sind auf ihre Weise auch originell. Aber ist das Kunst? Weiss der Dreijährige auch, was er da macht? Hat er eine Botschaft oder überhaupt eine Vorstellung von Kunst? Das scheint in dem Fall nebensächlich zu sein. Was allein zählt, ist die Begeisterung des Publikums. Und diese steigert sich simultan mit den steigenden Preisen. Nicht zuletzt dürfte sich das auch in den Hirnströmen der Wunderkind-Bewunderer messen lassen. So findet dann der schiere Glaube an genuine Kunst letztlich seine eigene Bestätigung." Einen Monopol-Kommentar von Daniel Völzke zu der vom Mauritshuis in Auftrag gegebenen Studie finden Sie hier, ein Meinungsstück zu Laurent Schwarz von Laura Ewert hier.
Restitution
Nach jahrelangen Verhandlungen ist nun klar, dass Camille Pissarro Gemälde "Le Repos" (auch bekannt als "Im Gras liegendes Mädchen") in der Kunsthalle Bremen bleibt, berichtet die "New York Times". Das Museum soll dabei helfen, ein Buch zu veröffentlichen, das die Geschichte und die Verluste der Familie van den Bergh erzählt. "Christoph Grunenberg, der Direktor der Kunsthalle Bremen, bezeichnete das Restitutionsabkommen als 'ideale Lösung', die dazu beiträgt, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, 'wie persönliche Schicksale durch den Zweiten Weltkrieg und die NS-Diktatur beeinflusst wurden', und gleichzeitig 'den Nachkommen gerecht zu werden, indem die Geschichte erzählt wird'."
Performance-Kunst
Über einen neuen Trend berichtet die "SZ": Auf öffentlichen Plätzen treffen sich Menschen zu Doppelgänger-Wettbewerben. Ende Oktober, schreibt Sven Fröhlich, versammelte sich im Washington Square in New York eine Armada an Menschen, die behaupteten, wie der Schauspieler Timothée Chalamet auszusehen. Gefolgt waren sie einem Aufruf des Youtubers Anthony Po, der die Wettbewerbs-Idee als "so eine Art Performance-Kunst" beschreibt. "An jenem Sonntag Ende Oktober", so Fröhlich, war "ein Trend geboren worden. Überall, wo sich Menschen in Massen versammeln können, sprießen seitdem Doppelgänger-Wettbewerbe aus dem Boden, in Dublin, London und San Francisco, gesucht wurden Paul Mescal, Harry Styles oder Dev Patel.“ Auch auf die Frage "Warum das alles?" geht Fröhlich ein: "Vielleicht geht es also – Identitätskrise hin, Aufmerksamkeitsdrang her – doch nur darum: Ablenkung, für einen kurzen Augenblick."