Medienschau

"Es ist noch viel Zeit, im Grab nichts zu tun"

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Wie geht Deutschland künftig mit NS-Raubkunst um? Kann sich die Frieze London gegen die Art Basel Paris behaupten? Und warum will Marina Abramović nicht in Rente gehen? Das ist unsere Presseschau am Mittwoch

Debatte

Wie geht Deutschland künftig mit NS-Raubkunst um? Das wollen Bund, Länder und Kommunen heute nach langen Beratungen verkünden. "Trotz einiger Verbesserungen für die Opfer kommt nur eine Notlösung heraus", meint Jörg Häntzschel in der "SZ" und fordert von der Bundesregierung und insbesondere von Kulturstaatsministerin Claudia Roth eine umfassendere und proaktive Herangehensweise an das Thema, um die Ansprüche der Erben besser zu berücksichtigen. Dabei beleuchtet er die Schwierigkeiten, die sich aus rechtlichen, moralischen und historischen Aspekten ergeben: "Es gibt sehr ernsthafte Hürden wie das Eigentumsrecht. Würde das neue Gesetz auch für private Sammler gelten, müsste der Staat nicht nur Tausende Bilder aus seinen eigenen Museen zurückgeben, er müsste auch private Besitzer entschädigen. Doch dass man es nicht einmal ernsthaft versucht hat, ist nur mit mangelndem Bewusstsein und Ignoranz zu erklären – und manch einer mag den Nachkommen der Opfer sogar schlicht Gier unterstellen, so wie es der Berliner Auktionator Bernd Schultz 2007 in einem Beitrag für die FAZ aussprach: 'Man sagt 'Holocaust' und meint Geld'". Auch Ulrike Knöfel ist im "Spiegel" bislang nicht zufrieden: "Zwar wird in Aussicht gestellt, dass sich die öffentlichen Institutionen künftig nicht mehr gegen Überprüfungen wehren können. Aber noch sind die Experten nicht überzeugt, dass das in absehbarer Zeit erreicht werden kann. Und es darf auch nach der Konferenz am Mittwoch nicht nur darum gehen, die Reform als Erfolg zu verkaufen, sie muss wirklich einer sein. Im Ausland, etwa in den USA, blickt man bereits skeptisch auf die Entwicklungen in Deutschland – deren Folgen hierzulande immer noch nicht erfasst werden."

Porträt

Im "Guardian"-Gespräch spricht Marina Abramović über ihre Kunst, das Altern und ihre eigene Sterblichkeit. Sie ist eine Anhängerin der Longevity-Bewegung, die mit mehr oder weniger wissenschaftlichen Methoden ein langes und gesundes Leben anstrebt. "Auch wenn ich die Wissenschaftlichkeit anzweifle, scheint die Sache mit der Langlebigkeit zu funktionieren", schreibt Autor Sam Wollaston: "Sie sieht großartig aus. Sie sagt, sie sei voller Energie und arbeite mit 77 Jahren härter als je zuvor. Im November ist zwar ein neues Knie fällig, aber sie hat nicht vor, langsamer zu machen oder mit der Arbeit aufzuhören. 'Das ist etwas, das mir einen Sinn gibt. Es ist noch viel Zeit, im Grab zu bleiben und nichts zu tun. Die Vorstellung, in Rente zu gehen, ist schrecklich: vor dem Fernseher zu sitzen und auf den Tod zu warten. Das bin nicht ich.'"

Unter dem Titel "Die Streitbare" porträtiert Deutschlandfunk Kultur in einem Feature die Malerin Miriam Cahn. Mit ihrer Kunst reagiere die Schweizerin auf das, was Menschen widerfährt: Unterdrückung, Krieg, Sexualität und Gewalt: "Ihre Bilder von Geschlechtsteilen und Ertrinkenden, von Panzern oder Atombomben provozieren und machen nachdenklich." Am Wochenende erhält die Künstlerin den Kaiserring der Stadt Goslar, wird aber nicht zur Verleihung erscheinen.

Kunstmarkt

Stephanie Dieckvoss berichtet im "Handelsblatt", dass viele US-Galerien sich von der Kunstmesse Frieze London abwenden und stattdessen eine Woche später auf der Art Basel Paris ausstellen: "Im Vergleich zum Vorjahr kehren fast ein Viertel der Aussteller, 38 von 168 Galerien, nicht zur Frieze London zurück. Fünfzehn von ihnen nehmen allerdings stattdessen an der Art Basel in Paris Teil. Es gibt viele Galerien, die traditionell an beiden Standorten im Messeherbst ausstellen, aber vermehrt bevorzugen sie Paris. Unter den Verlusten finden sich bedeutende amerikanische Galerien wie Matthew Marks, Tanya Bonakdar, Casey Kaplan und auch David Kordansky. Marks und Bonakdar waren seit der ersten Frieze in London dabei. Aber auch die Londoner Galerie Pilar Corrias setzt alle ihre Karten auf Paris, ähnlich wie der Italiener Massimo de Carlo." Stephanie Dieckvoss zählt viele Neuerungen auf, mit denen die Frieze gegensteuern möchte. Was aber bislang nicht angetastet wird, ist die Aufteilung in die Frieze Art Fair und Frieze Masters, wobei die Letztere eigentlich ältere Kunst präsentieren soll. "Die Aufteilung in zwei Parallelmessen scheint immer weniger Sinn zu machen, je mehr sich die Programme einander annähern. Bei einem schwächelnden Markt wird sich zeigen, wie lange sich die beiden Zelte im Londoner Regent’s Park noch halten können."

Ausstellung

Boris Pofalla ist in der "Welt" nicht ganz überzeugt von Erwin Wurms Retrospektive in der Wiener Albertina Modern, wo "jedes einzelne Werk einen in sich geschlossenen Eindruck macht und wie eine gut gesetzte Pointe funktioniert". Der österreichische Künstler behandele "alles, leider immer mit denselben Mitteln. Und so eilt man bald schneller als sonst durchs Museum, holt sich hier und da noch eine Pointe ab, bis man vor nahtlos ausgeführten Einfällen ganz matt ist" Als überraschend empfand der Autor hingegen die frühen Werke aus den 1980er-Jahren. "Ob Erwin Wurm in die Kunstgeschichte als einer der großen Weiterentwickler des Skulpturenbegriffs eingehen wird?", fragt sich auch Hannes Hintermeier in der "FAZ". "Indem sie Absurdität und Paradoxie als grundierendes Element von Wurms Werk betont, korrigiert die Ausstellung das Bild, es handele sich um mit dem Lächerlichen spielende oder komische Kunst. Vordergründig witzig sind viele Exponate nur, weil sie mit ihrer Plakativität die Sehgewohnheiten verrücken, aber nicht so weit, dass es gedanklich kompliziert würde. Man kann es dabei belassen oder, wie es der Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem Katalogbeitrag tut, Wurm in der Nachfolge von Kierkegaard und Camus verorten."

KI

Künstliche Intelligenz macht die Entscheidung darüber, wo erlaubte Inspiration zur Urheberrechtsverletzung wird, immer schwieriger. In ihrem Gastbeitrag für die "FAZ" geben Viktoria Kraetzig und Jannis Lennartz aus rechtswissenschaftlicher Sicht zu bedenken, dass auch Kunstfreiheit und Pastiche-Schranke keinen unbegrenzten Zugriff auf fremde Werke geben. "Aber der Zugriff liegt eben nicht allein in der Hand ihrer Eigentümer: Schutzgüter sind Mitteilungsgut, wie es schon in der Begründung des Urheberrechtsgesetzes von 1966 heißt. Sie sind immer auch das Produkt aus Vorangegangenem sowie Stoff für nachkommendes Schaffen. Dass KI diesen Prozess beschleunigt, stärkt die Kulturproduktion, der das Gesetz dient. Mein und Dein hängen also nicht nur an Lizenzen, wenn Künstler KI einsetzen, um Kunst zu schaffen." Das Grundrecht der Kunstfreiheit schütze das Werk ebenso wie den Wirkbereich. "In Bezug auf die Technik des Samplings, bei der Musik- und Tonaufnahmen in einem neuen beziehungsweise anderen Song verwertet werden, haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof das ausdrücklich bestätigt. Ein fertiges Gemälde ist grundrechtlich ebenso geschützt wie das Anrühren der Farbe im Atelier. Und das Anlernen einer KI entspricht dem Anrühren der Farbe."